Frankreichs Präsident Macron ruft im Fernsehen Neuwahlen am 30. Juni aus.
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Frankreichs Präsident Macron ruft im Fernsehen Neuwahlen am 30. Juni aus.

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Welche Folgen haben Neuwahlen für Frankreich?

Frankreichs Präsident Macron löst nach den herben Verlusten seiner Allianz bei den Europawahlen die Nationalversammlung auf und ruft Neuwahlen aus. Was bedeutet das für Frankreich?

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Nach dem durchschlagenden Erfolg der Rechtspopulisten und der heftigen Niederlage seiner eigenen Partei bei der Europawahl hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron überraschend Neuwahlen für den 30. Juni und 7. Juli angekündigt, knapp drei Wochen vor Beginn der Olympischen Sommerspiele und zudem am ersten Ferienwochenende. Die Wahl der Nationalversammlung erfolgt in zwei Wahlgängen, daher gibt es zwei Termine.

"Diese Entscheidung ist ernst und schwer, aber sie ist vor allem ein Akt des Vertrauens", betonte Macron. Er sprach von einer Niederlage für alle Pro-Europäer. Die Wahlergebnisse seien "nicht gut für die Parteien, die Europa verteidigen".

Le Pen: "Wir sind bereit, Regierungsverantwortung auszuüben"

Macrons Partei Renaissance hatte am Sonntag eine heftige Wahlschlappe erlebt. Sie kam nach Auszählung aller Wahlbüros auf 14,6 Prozent der Stimmen, nicht einmal halb so viele wie die Rechtspopulisten des Rassemblement National. Die Sozialisten liegen mit 13,8 Prozent weniger als einen Punkt dahinter. Ex-Parteichefin Marine Le Pen berief am Wahlabend eine Sitzung der Parteispitze ein, die wie eine Kabinettssitzung inszeniert war. "Wir sind bereit, Regierungsverantwortung auszuüben", betonte sie. 

Reaktionen von Sozialisten und Konservativen

Der Sozialist Raphaël Glucksmann kündigte an, eine Widerstandskraft gegen die extreme Rechte bilden zu wollen. Macron warf er vor, einen politischen Poker zu spielen, der den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht werde. Frankreichs Konservative schließen eine Koalition mit dem Mitte-Lager von Macron aus. "Es kommt nicht infrage, eine Koalition mit dieser Macht einzugehen, die Frankreich so sehr geschädigt hat", sagte der Präsident der bürgerlich-konservativen Partei "Les Républicains", Eric Ciotti, am Sonntagabend. In Paris gingen Menschen gegen den Rechtsruck auf die Straßen.

Nach der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen in Frankreich gab der Euro im frühen asiatischen Handel nach. Die Gemeinschaftswährung fiel auf 1,0764 Dollar und damit auf den tiefsten Stand seit dem 9. Mai. Zuletzt notierte der Euro bei 1,0776 Dollar, ein Minus von 0,24 Prozent.

Welche Folgen haben Neuwahlen für Frankreich?

Was passiert, wenn Macron die Parlamentswahlen verliert?

Macrons Regierungsbündnis Renaissance ist mit 169 Abgeordneten derzeit die größte Fraktion in der Nationalversammlung, die 577 Sitze umfasst. Marine Le Pens rechtsextreme Partei Rassemblement National (RN) ist mit 88 Sitzen die größte Oppositionspartei.

Das starke Abschneiden der rechtsgerichteten Parteien bei der Europawahl zeigt die Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Regierungsarbeit bei Themen wie Einwanderung, Kriminalität und den gestiegenen Lebenshaltungskosten. Sollte die RN die Mehrheit im Parlament erlangen, müsste Macron jemanden aus ihren Reihen zum Ministerpräsidenten ernennen. Dieser bestimmt dann die Minister. Eine sogenannte "Kohabitation" wäre die Folge, bei der der Präsident und der Ministerpräsident unterschiedlichen Parteien angehören.

Was ist eine "Kohabitation"?

In dieser Konstellation behält der Präsident als Oberbefehlshaber die Führungsrolle in der Verteidigung und in der Außenpolitik, denn laut Verfassung verhandelt er internationale Verträge. Aber er würde die Befugnis verlieren, die Innenpolitik zu bestimmen – von der Wirtschaftspolitik bis zur inneren Sicherheit.

Dies geschah zuletzt 1997, als der Mitte-Rechts-Präsident Jacques Chirac das Parlament auflöste. Er glaubte, eine stärkere Mehrheit erlangen zu können, verlor aber unerwartet gegen eine von der sozialistischen Partei angeführte Linkskoalition. Der Sozialist Lionel Jospin wurde für fünf Jahre Ministerpräsident – und führte etwa die 35-Stunden-Woche ein. Seit der Gründung der Fünften Republik im Jahr 1958 gab es in Frankreich insgesamt drei "Kohabitationsperioden".

Wie könnte eine "Kohabitation" mit Le Pens Partei aussehen?

Jordan Bardella, Le Pens 28-jähriger Schützling und RN-Vorsitzender, war als möglicher Ministerpräsident für den Fall ins Gespräch gebracht worden, dass Le Pen 2027 Präsidentin wird.

Mit einer Mehrheit im Parlament könnten die Rechten ihre innenpolitische Agenda umsetzen. In ihrem Wahlprogramm für 2022 hatte sich Le Pen etwa dafür ausgesprochen, den Zugang zu Sozialwohnungen für französische Staatsangehörige zu fördern, Asylanträge außerhalb Frankreichs zu bearbeiten und die Erbschaftssteuer für Familien der Mittelschicht und mit geringem Einkommen abzuschaffen.

Außenpolitisch behielte der Präsident die Führung, die Regierung hätte aber ein gewisses Mitspracherecht. Das ließe Raum für scharfe Auseinandersetzungen. Zwischen Chirac und Jospin gab es beispielsweise Spannungen darüber, wer in der EU-Politik den Ton angibt. Auf EU-Gipfeln rangen die beiden um Einfluss.

Eine "Kohabitation" zwischen einem überzeugten Europa-Befürworter wie Macron und einer EU-skeptischen, nationalistischen Partei wie dem Rassemblement National wäre Neuland.

Mit Informationen von Reuters, AFP und dpa

Zum Audio: Neuwahlen - Tiefe Verunsicherung in Frankreich

Le Pen
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Die Rechtspopulisten haben bei der Europawahl 31,7 Prozent erzielt

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