Männer (fast) unter sich: Beim Spitzentreffen von Union und SPD sitzt Saskia Esken abseits
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Männer (fast) unter sich: Beim Spitzentreffen von Union und SPD sitzt Saskia Esken abseits

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Backlash im Bundestag? Wieder weniger Frauen in der Politik

Backlash im Bundestag? Wieder weniger Frauen in der Politik

Nicht mal ein Drittel: Im neuen Bundestag sitzen noch weniger Frauen, als im noch amtierenden. Vor allem die konservativen und liberalen Parteien haben ein eklatantes Paritätsproblem. Woran liegt das? Und wie ließe es sich ändern?

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

Man muss Bilder nicht überbewerten. Aber wo sich ein Muster andeutet, da lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Letzte Woche das Frühstücksfoto der Unionsspitze im Konrad Adenauer-Haus: sechs weiße, mittelalte Männer, die für den politischen Aufbruch stehen sollen, den das Land jetzt braucht. Frauen? Fehlanzeige.

Frühstücksfoto der Union erinnert Historikerin an die Achtziger

Fatal findet Heike Sprecht die Botschaft, die dieses Bild sendet. Die Historikerin beschäftigt sich viel mit der Geschichte weiblicher Emanzipation. Bei dem Foto aus dem Konrad Adenauer-Haus habe sie spontan an die Achtziger denken müssen, sagt sie. An die Zeit unter Kohl, als der Frauenanteil im Parlament noch unter 10 Prozent lag. "Das ist erschütternd, dass uns das als neue Normalität verkauft wird." Absicht unterstellt sie den Unionsgranden nicht, Instinktlosigkeit schon. "Die haben nicht mal auf dem Schirm, was sie da aussenden."

Noch mehr "schockiert" habe sie allerdings ein noch jüngeres Foto: das Treffen von SPD- und Unionsspitze am Mittwoch im Kanzleramt. Vier Männer im vertraulichen Gespräch, links, ganz am Rande des Tisches, die einzige Frau, SPD-Parteichefin Saskia Esken. "Das ist so schmerzhaft", sagt Specht. "Jede Frau, die dieses Bild anschaut, wird sich denken: Genau diese Situation habe ich schonmal erlebt."

Frauen sind im Parlament eklatant unterrepräsentiert

Wenn es nur die Bilder wären, man könnte vielleicht darüber hinwegsehen. Aber auch die Zahlen sprechen dafür, dass die deutsche Politik ein Paritäts-Problem hat. Im neuen Bundestag werden weniger Frauen sitzen, als noch im amtierenden. 32,4 Prozent, um genau zu sein. Nicht mal ein Drittel des Parlaments. Zu tun hat das vor allem mit der AfD (Frauenquote: 11,8 Prozent) und der Union (Frauenquote: 23,1 Prozent). "Ich fürchte, wir sind drauf und dran, etwas zu verlieren", meint Specht dazu.

Ähnlich sieht das auch die Juristin Christa Weigl-Schneider. "Wir Frauen stellen über 50 Prozent der Bevölkerung und sind politisch nach wie vor unterrepräsentiert." Seit über vierzig Jahren engagiert sich Weigl-Schneider für die Interessen von Frauen. Unter anderem im Deutschen Juristinnenbund oder im Stadtbund Münchner Frauenverbände. Obwohl SPD-Mitglied habe sie ein aktives politisches Amt nie angestrebt, sagt sie. "Ich hab mich für den Weg des zivilgesellschaftlichen Engagements entschieden."

Grafik: So hat sich der Frauenanteil im Bundestag entwickelt

Vorbild Frankreich: Brauchen wir strengere Quoten?

Auch sie erinnert sich noch an die Zeit, in denen man Frauen im Bundestag mit der Lupe suchen musste. Erst mit dem Einzug der Grünen ins Parlament habe sich das geändert. Der Grund: Dort gab es von Anfang an eine Quote. Ohne die geht es nicht, meint auch Barbara Kostolnik. "Die Geschichte lehrt uns, dass Freiwilligkeit einfach nicht zum Ziel führt ", so die Hauptstadtkorrespondentin der ARD.

Bis 2019 war Kostolnik als Korrespondentin in Paris. Dort habe sie selbst erlebt, was eine Qote bewirken können, sagt sie. Seit 2000 ist dort das sogenannte Paritätsgesetz in Kraft, das den Parteien vorschreibt, in den Fraktionen eine Frauenquote von mindestens 40 Prozent einzuhalten. In Deutschland ist die Sache allerdings komplizierter. Das Nominierungsverfahren ist hier nämlich Sache der Parteien selbst und damit auch die Gleichberechtigung innerhalb der Fraktion.

Und es gibt noch ein Problem: Zwar hat sogar die Union 2022 eine Frauenquote eingeführt. Die gilt aber nur für die Parteiliste, nicht für die Nominierung der Direktkandidaten. Und die sind bei CDU und CSU meist männlich. Solange die Parteien nicht generell weiblicher würden, werde sich daran nichts ändern, vermutet Kostolnik.

Juristin warnt vor einem Comeback des politischen Strongman

Christa Weigl-Schneider ist da zuversichtlicher. Auch hier seien neue rechtliche Regelungen nötig. Und vor allem auch möglich. "Es gibt für alles eine Lösung", sagt die Juristin. Und die sei umso drängender, als die Figur des politischen Strongman wieder attraktiver werde. Nicht nur in den USA, wo "Disruption" das neue Zauberwort zu sein scheint.

Bedenklich, findet das Heike Specht. Und genauso bedenklich sei es, dass diese Inszenierung auch in Deutschland verfange. Das zeige sich in der Übernahme von bestimmten politischen Gesten. Das zeigten aber auch die Wähleranalysen. "Vor allem junge Männer verspüren offenbar eine gewisse Faszination für diese Alpha-Männer-Politik." Hier werde eine Gegenbewegung sichtbar, so Specht, ein Backlash gegen die Errungenschaften der Gleichberechtigung.

"Auch Frauenrechte sind nicht in Stein gemeißelt", warnt die Historikerin. Junge Frauen in den USA hätten heute etwa weniger Rechte, als ihre Großmütter. In Polen sterben wieder mehr Frauen an Schwangerschaftsvergiftungen, weil sich Ärztinnen und Ärzte nicht trauen, Abbrüche vorzunehmen. Das alles seien Symptome einer Entwicklung, der man jetzt entgegentreten müsse. "Frauen sind als letzte an den Tisch gekommen im politischen Spiel und sie sind auch die ersten, die wieder ausgeschlossen werden können."

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