Normalerweise hält der russische Polit-Blogger Oleg Sarow seine 366.000 Fans täglich mit stark geschönten Propagandaberichten von der Front bei Laune. Nach der Ankündigung aus dem Weißen Haus, wonach die USA ihre Militärhilfe an Kiew bis auf Weiteres einstellen, warnte Sarow allerdings vor übertriebenen Hoffnungen und mühte sich, den "Optimismus zu dämpfen".
85 Prozent aller russischen Verluste seien auf ukrainische Drohnenangriffe zurückzuführen, und Drohnen würden aus chinesischen Komponenten zusammengebaut. Putin habe es in drei Jahren Krieg nicht geschafft, Peking davon zu überzeugen, die entsprechenden Lieferungen an die Ukraine einzustellen.
"Wir verüben keine Angriffe auf Europa"
Die Zahl der ukrainischen Drohnen wachse im Gegenteil "exponentiell", so der Blogger: "Mittlerweile fliegen ukrainische Langstreckendrohnen mehr Angriffe auf unser Hinterland als umgekehrt. Das Fehlen amerikanischer Raketen wird den Erfolg der ukrainischen Streitkräfte also nicht wesentlich schmälern."
Verschlechterungen bei der Luftabwehr würden die Kampffähigkeit der ukrainischen Streitkräfte auch nicht wesentlich beeinträchtigen, da das wahre Hinterland der Ukraine Europa sei: "Europa liefert alles, was für den Krieg benötigt wird. Wir verüben aber keine Angriffe auf Europa." Im Übrigen versorgten die USA Kiew offenkundig weiter mit Geheimdienstinformationen.
Politologe Georgi Bovt fragte sich, ob Trump der Ukraine auch untersage, direkt bei US-Rüstungsunternehmen einzukaufen: "Wenn nicht, dann könnte der Nachschub nicht ab-, sondern sogar zunehmen." Andere verwiesen auf die "Informationsblase", in der sich der US-Präsident befinde: "Trump dürfte eine herbe Enttäuschung erleben, denn die Front wird wohl auch ohne amerikanische Hilfe nicht zusammenbrechen. Auf der anderen Seite stehen Milliardenhilfen von der EU. Vielleicht wird Russland Probleme bekommen."
"Erst der Anfang vom Ende"
Der russische Kolumnist Dmitri Drise zeigte sich ebenfalls sehr skeptisch: "Es ist davon auszugehen, dass ein großer, langwieriger Konflikt vor allem Donald Trump schaden würde, der versprochen hatte, in kürzester Zeit Frieden zu schaffen. Und jetzt zeigt sich, dass die Konfrontation sich ausweitet und eine neue Ebene erreicht. Selenskyj versucht, Zähne zu zeigen. Insgesamt bleibt die Vorahnung einer großen Krise bestehen."
Michail Rostowski, der Chefkommentator der auflagenstarken russischen Zeitung "Moskowski Komsomolez", zog das Fazit: "Für Selenskyj bedeutet das noch nicht das Ende. Das ist erst der Anfang vom Ende." Die Einstellung der Militärhilfe werde erst langsam Wirkung entfalten. Ähnlich äußerte sich Politologe Dmitri Michailitschenko: "Es ist unwahrscheinlich, dass eine Unterbrechung der Waffenlieferungen durch die USA Selenskyj zu einer Änderung seines Standpunkts zwingen wird; es werden andere Durchsetzungsmaßnahmen erforderlich sein."
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Kommentator Anatoli Nesmijan schließt sich dem an: "Für den Kreml besteht in dieser Lage kein Grund zur Freude, denn erstens wird die bisherige Hilfe für die Ukraine zumindest bis zum Sommer reichen, und zweitens hat Trump selbst auch darauf hingewiesen, dass man, sollte man Russland zum Frieden zwingen müssen, ein weiteres Instrument bereithalte: die Verschärfung der Sanktionen."
Trumps Avancen gegenüber Moskau seien geradezu "widerlich süßlich", urteilt ein russischer Beobachter mit 100.000 Followern und argumentiert skurril: "Die russische Gesellschaft wird sich wahrscheinlich entspannen und Putins Zustimmungswerte werden deutlich abnehmen. Dann kann es jeden Moment zu einer neuen Perestroika kommen. Denken wir daran: Lockerungen und Entspannung führten oft zur Desorganisation innerhalb Russlands."
"Putin steht unangenehmer Moment bevor"
Der in London lehrende russische Politologe Wladislaw Pastuchow (163.000) spricht sogar von einem "taktischen Sieg" des ukrainischen Präsidenten Selenskyj über Donald Trump, bezweifelt jedoch, ob sich daraus ein strategischer Sieg machen lässt: "Natürlich könnte ich mich irren, aber ich fürchte, die Ukraine hat bereits alles erreicht, was mit militärischen Mitteln erreicht werden konnte. Der Rest muss mit politischen und diplomatischen Mitteln erreicht werden."
Auf ein Wunder zu warten, etwa einen Regimewechsel in Moskau, sei wenig vielversprechend: Eine weitere Mobilisierung und eine Wirtschaftskrise seien für Putin zwar unangenehm, doch die werde er politisch fast hundertprozentig überstehen. Das Kreml-Regime werde allenfalls langfristig erodieren.
Polit-Blogger Andrei Nikulin scherzte: "Die zweite Front, die die Vereinigten Staaten im vierten Kriegsjahr gegen uns eröffneten, kam aus einer völlig unerwarteten Richtung. Von hinten …"
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