Uniformierter in Kampfmontur mit fliegender Drohne, um die ein Abstandsgitter gelegt ist
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Ausbildung an der Drohne: Russischer Soldat

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"Appetit des Kremls stark gezügelt": Wie stark ist Putins Armee?

"Appetit des Kremls stark gezügelt": Wie stark ist Putins Armee?

Selbst den eifrigsten Propagandisten Putins fällt eine "veränderte Lage an der Front" auf. Von manchen Abschnitten kommen für den Kreml beunruhigende Nachrichten. Russlands Möglichkeiten zu einer "Massenmobilisierung" sind äußerst umstritten.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Die Ukraine hat die für sie schlimmsten Szenarien bereits vermieden. Sie hat überlebt. Der Kreml bestätigt inzwischen öffentlich, dass er nicht die Absicht habe, sie zu zerstören. Sein Appetit wurde in den letzten drei Jahren stark gezügelt", schreibt ein russischer Militärblogger, der damit weithin zitiert wird. Grund dafür: Die mittlerweile offenbar festgefahrene Offensive von Putins Armee, die für eine aufgeregte Diskussion sorgt – und für reichlich Spott.

"Kamele, Esel, einachsige Schlepper"

"Theoretisch hätte der Kreml diese Lage vereiteln können, wenn die Sonderoperation nicht für das russische Militär, sondern für die ukrainische Seite geheim gewesen wäre", so einer der Beobachter. Auch er stellte fest, dass der "Hunger" nach territorialen Gewinnen im Kreml stark rückläufig sei. Putins Handlungsfähigkeit nehme ab: "Kamele, Esel, einachsige Schlepper an der Front – all das spricht dafür, dass es nach der Erschöpfung der Reserven unmöglich geworden ist, eine normale Logistik sicherzustellen, doch die Lobbyisten der 'russischen' Autoindustrie haben sich bis zum Äußersten dagegen gewehrt, billige Pickup-Wagen zu importieren."

Der Bestand an Panzern aus Sowjetzeiten gehe zur Neige. Zwar habe Russland ungleich mehr "menschliche Reserven" und strategische Waffen als die Ukraine und könne etwa massenhaft junge Männer aus dem Nordkaukasus rekrutieren, doch dann müsse Putin die Propaganda-Fiktion einer "Spezialoperation" endgültig aufgeben.

"Wir warten auf kompetente Einschätzungen"

Es spricht für sich, dass ausgerechnet Propagandist Sergei Markow lang und breit aus einem angeblichen französischen Geheimdienstbericht zitiert und über eine "veränderte Lage an der Front" klagt, nämlich massive Rückschläge: "Vielleicht diente die vollständige Mobilisierung der Ukraine dazu, mehr Soldaten verfügbar zu machen? Oder sind die ukrainischen Streitkräfte zahlenmäßig im Vorteil? Natürlich werden wir von unseren Feinden verleumdet. Wir warten auf kompetente allgemeine Einschätzungen unserer eigenen Militäranalysten."

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In den großen russischen Telegram-Kanälen, etwa bei den "Zwei Majoren" mit 1,22 Millionen Followern, ist davon die Rede, Putins Armee habe bei Rückzügen "Personal gerettet". Manche Städte seien entgegen der offiziellen Darstellung des Verteidigungsministeriums "nie eingenommen" worden. Militärblogger wie "WarGonzo" Semjon Pegow oder Oleg Sarow sprechen wahlweise von einer "schwierigen", "sehr schwierigen" oder "äußerst schwierigen" Situation, wenn sie verlustreiche russische Niederlagen umschreiben müssen.

"Materialverluste kümmern niemanden"

Sogar Juri Podoljak, mit 3,1 Millionen Fans einer der populärsten russischen Kommentatoren, gibt sich düster: "Die ukrainischen Streitkräfte haben ihre Offensive fortgesetzt und dabei in der Breite der Front deutlich ausgeweitet. Und sie verbuchen deutliche taktische Erfolge. Im Moment ist die Situation schwierig, aber unsere Jungs halten durch."

Die Lage ist so angespannt, dass bereits die Verschwörungstheorie aufkam, der russische Generalstabschef Gerassimow arbeite insgeheim gegen den Frontkommandanten Andrei Mordwitschew, weil der "im Erfolgsfall" ein möglicher Nachfolger sei: "Unsere Probleme könnten demnach leider menschengemacht sein. Das sind die Konsequenzen des Drohnenkriegs auf Verwaltungsebene."

Von der Front kommen derweil sehr pessimistische Augenzeugen-Berichte russischer Soldaten: "Die Materialverluste in Richtung [der umkämpften ukrainischen Stadt] Pokrowsk wuchsen exponentiell, aber aus irgendeinem Grund kümmert es niemanden. Jetzt ist es uns nicht mal mehr erlaubt, Lebensmittelpakete in umliegende Dörfer zu liefern, und selbst in Städten laden wir sie nur in Begleitung von Militärangehörigen aus, die bereit sind, Drohnen abzuschießen."

"Es wimmelt von Drohnen"

Menschenansammlungen um gepanzerte Fahrzeuge würden strikt vermieden: "Auf Straßen, die vor einem Monat noch mehr oder weniger sicher waren, wimmelt es heute von Drohnen, und am Straßenrand liegt eine große Menge kürzlich ausgebrannter Geräte."

Weil russische Ultra-Patrioten seit langem eine "Generalmobilisierung" fordern, verwies Polit-Blogger Anatoli Nesmijan darauf, dass Putin aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage sei, einer größeren Auseinandersetzung mit der NATO standzuhalten. Dazu benötige er "mehrere Millionen" Soldaten.

"Möglicherweise keine weitere Gelegenheit"

Doch schon die Mobilisierung von rund 300.000 Reservisten im Jahr 2022 habe Russlands Militärverwaltung an den Rand des Zusammenbruchs gebracht: "In jedem Szenario eines solchen Konflikts müssten innerhalb einer Woche rund eine Million Menschen aus ihrem friedlichen Leben gerissen, bekleidet, beschuht und bewaffnet und in litauische Sümpfe verfrachtet werden, wo sie innerhalb weniger Tage unter der Erde liegen würden."

Der russische Blogger Alexei Schiwow (112.000 Fans) beschwörte die Armee geradezu: "Generell bestehen für uns nun gute Chancen, die Frontlinie zu durchbrechen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass wir hinsichtlich Personalstärke und Ausrüstung wahrscheinlich einen Vorteil von einem Drittel oder einem Viertel haben, das Problem aber bei den Drohnen des Feindes liegt, die dafür sorgen, dass die Front unbeweglich bleibt. Es ist Zeit für entschlossene Anstrengungen. Wenn wir Zeit verschwenden, ergibt sich möglicherweise keine weitere Gelegenheit."

Politologe Georgi Bovt meinte lakonisch: "Die Unterschätzung des Feindes war schon immer der Hauptgrund für alle militärischen Misserfolge. Na ja, genau wie im Sport."

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