Für einige Medien war die Sache schnell klar: Am 9. Mai steige in München ein Kongress mit bundesweit bekannten Hass-Predigern, so etwa die Moderatorin einer Nachrichtensendung. Einer der Teilnehmer, der Münchner Imam Ahmad Schekep Popal, gelte als liberal, berichtete die Moderatorin – und fuhr fort: "Nach Ansicht von Experten ist das allerdings nur vorgeschoben. Sein wahres Ziel sei das Anwerben von künftigen Terroristen."
Münchner Imam Popal: "Ich lebe Demokratie"
Inzwischen ist unklar, ob die geplante Diskussion stattfindet. Zu groß sei der mediale Druck, sagt Popal. Er gilt seit Jahren als liberaler Muslim, der sich klar gegen Anhänger islamistischer Strömungen positioniert, zum Beispiel gegen ultrakonservative Salafisten.
Ausgerechnet mit Vertretern dieser Strömung trifft sich Popal immer wieder öffentlich. Und mit ihnen wollte er auch beim geplanten Panel sprechen. "In dem Moment, wo ich mit einem Menschen rede, in die Diskussion gehe, öffne ich mich für eine Streitkultur, lebe ich Demokratie", erklärt Popal seine Motivation für derartige Begegnungen.
Verfassungsschutz beobachtet Popals Gesprächspartner
Vor allem wegen eines eingeplanten Diskussionsteilnehmers geriet Popal in der Berichterstattung auf einmal selbst unter Druck: Mit dem zum Islam konvertierten Internetprediger Marcel Krass traf sich Popal schon 2023. Zur Veranstaltung im Mai sollte Krass wieder nach München kommen. Er ist dem Verfassungsschutz kein Unbekannter. Krass wird wegen seiner Vernetzung in der salafistischen Szene beobachtet. Er hat rund 153.000 Follower auf Instagram.
Konkret lehnt Krass beispielsweise Homosexualität als "unislamisch" ab. Eine Haltung, die der Islamwissenschaftler Mathias Rohe von der Universität Erlangen-Nürnberg zwar kritisch sieht – aber nicht als verfassungsfeindlich. Ablehnung von Homosexualität sei mitunter auch bei konservativen Christen vorzufinden.
Wann ist der Rechtsstaat gefragt?
"Wir müssen aufpassen, dass wir nur die Richtigen erwischen, die sich wirklich gegen den Rechtsstaat richten", sagt Islamwissenschaftler Rohe und warnt davor, all jene in Verdacht zu nehmen, "die Positionen vertreten, die zwar nicht dem Mainstream entsprechen, aber eben in einer freiheitlichen Gesellschaft vertreten werden dürfen."
Auch der Bayerische Verfassungsschutz stellt fest, dass Krass sich nicht öffentlich extremistisch geäußert hat - auch wenn die Behörde davon ausgeht, dass er auch "in Zukunft ein wichtiger Akteur im salafistischen Phänomenbereich" bleibt.
Noch dazu sagt der Prediger auf Nachfrage des BR, dass er sich selbst nicht mehr als Salafist sieht. Krass hatte früher Kontakt zu einem der Attentäter vom 11. September 2001. Ende 1999 habe er ihn zweimal persönlich getroffen, bestätigt Krass auf BR-Anfrage, sogar mit ihm zu Abend gegessen. Dann, zwei Jahre später, kurz vor dem Attentat, habe ihn der Terrorist überraschend angerufen. Sie hätten ein im Nachhinein betrachtet "erschreckend belangloses Gespräch" geführt, berichtet Krass. Über Terrorismus habe er niemals mit dem Attentäter gesprochen, sagt er.
Anfang der 2000er-Jahre bewegte sich Krass zudem in Kreisen, die mit islamistischen Terrorgruppen sympathisieren. Der Internet-Prediger geht davon aus, dass er besonders in dieser Zeit mit seinen Vorträgen zur Radikalisierung von Jugendlichen beigetragen hat. "Das hat für viel Streit und Spaltung innerhalb der Gemeinden gesorgt. Und was noch viel erschreckender ist, das hat für viel Streit in Familien gesorgt", sagt Krass.
Salafisten wie Pierre Vogel distanzieren sich
Kürzlich hat sich Krass zu seinem Wandel in einem zweistündigen Youtube-Video geäußert. Schnell distanzierten sich deshalb radikale Prediger, so auch der bekannte Salafist Pierre Vogel. Die Aussagen seines langjährigen Weggefährten Krass bezeichnete Vogel in einem Internet-Video als "schockierend".
Und auch der Kontakt von Krass zur umstrittenen Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft (DMG) Braunschweig ist nach Angaben von Marcel Krass abgebrochen. Diese sorgt immer wieder bundesweit für Aufsehen: Dort treten bekannte Prediger auf, die in Videos gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hetzen.
Hat sich der ehemals radikale Krass gewandelt? "Ich halte die Aussagen von Marcel Krass für glaubwürdig", sagt der Politikwissenschaftler Heiner Vogel. Er beobachtet seit Jahren die salafistische Szene, ist unter anderem Autor des auf Islamismus spezialisierten Fachblogs "Erasmus Monitor".
Was ein Salafismus-Experte für bemerkenswert hält
Krass habe sich "offenkundig stärker mit der Vergangenheit und seiner Rolle in der Szene auseinandergesetzt. Was er auch selbstbewusster und offener in der Öffentlichkeit kommuniziert", so Vogel, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das psychotherapeutische-psychiatrische Beratungsnetzwerk "nexus" am Charité Universitätsklinikum Berlin arbeitet, das vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und von der Landeskommission gegen Gewalt Berlin gefördert wird.
Das Projekt zielt darauf ab, Fachberatungsstellen, die im Phänomenbereich des islamistischen Extremismus arbeiten, und deren Klienten bei Bedarf durch psychotherapeutische oder psychiatrische Interventionen zu unterstützen. So gilt Vogels Interesse auch Ausstiegsprozessen und Einstellungsveränderungen radikalisierter Menschen.
In einem solchen Distanzierungs-Prozess könnte sich Krass befinden, vermutet der Politikwissenschaftler. Er findet aber, dass die Entwicklung des Predigers weiterhin kritisch beobachtet werden sollte. Die Aussagen von Marcel Krass seien jedoch bemerkenswert, so Vogel. Er beweise erstaunlichen Mut, trotz seiner großen Anhängerschaft, sich so deutlich von der Salafisten-Szene zu distanzieren.
Und so sind der Politikwissenschaftler und der Islamwissenschaftler Rohe einer Meinung: Sie finden, dass unter Umständen Krass auch als Vorbild dienen könnte, damit Jugendliche sich erst gar nicht radikalisieren. Allein die kritischen Aussagen zur Szene hätten eine präventive Wirkung, sagt Vogel. Umso wichtiger sei es, meint der Münchner Imam Ahmad Popal, dass man mit Leuten wie Krass öffentlich debattieren sollte.
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