Drei als alte Schauspieler geschminkte Schauspieler auf der Bühne
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Szene aus "Ewig jung" am Theater Kempten. Schauspieler Sebastian Strehler (rechts) sprang mit seiner Rolle am Thalia in Hamburg ein.

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Gerettete Vorstellungen: Kunst des Einspringens am Theater

Gerettete Vorstellungen: Kunst des Einspringens am Theater

Corona- oder Grippewellen machen nicht vor dem Theater halt. Aber was passiert, wenn Schauspieler krank werden? Vorstellung absagen? Über eine besondere Schauspiel-Disziplin: das Einspringen.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es gab Zeiten, da zuckte Katharina Osterhammer unwillkürlich zusammen, wenn das Telefon klingelte. "Während Omikron waren wir jeden Tag in Habachtstellung, und es gab kaum einen Tag, wo nicht irgendjemand krank war." Osterhammer ist Disponentin am Münchner Volkstheater, also zuständig für die Organisation von Proben- und Spielplänen am Haus. Bei einem gewöhnlichen Telefonklingeln schrillten bei ihr daher eine Weile lang auch gleich sämtliche Alarmglocken, waren doch am anderen Ende der Leitung regelmäßig Schauspieler, um sich mit positivem Coronatest für die nächsten Tage abzumelden.

Osterhammer hatte dann alle Hände voll zu tun, den Spielbetrieb irgendwie am Laufen zu halten. Als erstes machte sie sich auf die Suche nach jemandem, der oder die die Rolle übernehmen kann. Nur wenn das nicht möglich war, wurde eine Ersatzvorstellung geplant.

Über Nacht eine Rolle lernen

Besser aber, es findet sich ein Einspringer, damit es eben nicht zu einer Absage kommt. Unmöglich scheint dabei nichts. Vor gut einem Jahr zum Beispiel übernahm der Schauspieler Janek Maudrich nur einen Tag vor der Premiere eine tragende Nebenrolle in einer Bühnenadaption von Dostojewskis Roman "Die Brüder Karamasow". "Er hat es irgendwie über Nacht geschafft, diese Rolle zu lernen und uns diese Premiere damit gerettet", sagt Osterhammer.

Dagegen waren die fünf Tage Vorlauf, die Max Poerting hatte, um in George Orwells "Animal Farm" auszuhelfen - ebenfalls um die Premiere zu retten - fast schon luxuriös, weil er da, wie er sagt, noch genug Zeit gehabt habe, "den Text zu lernen und so weiter. Und dann hab ich die Premiere gespielt. Und dann hat der Kollege aber wieder übernommen".

Notfalls hilft der Blick ins Textbuch

In "Animal Farm" half Max Poerting zunächst als altersweises Schwein "Old Major" aus. Aber dabei blieb es nicht. Weil auch in den Vorstellungen der Inszenierung nach der Premiere immer wieder andere Darsteller ausfielen, entwickelte sich Poerting zu einer Art Dauerjoker. "Immer wenn wer ausfällt bei diesem Stück: Ach, wunderbar, da haben wir doch Max, der kennt das Stück, spielt aber nicht mit eigentlich. Den können wir doch für alles jetzt benutzen. Ich kann da den ganzen Bauernhof mittlerweile runterbeten."

Und so stand Poerting in "Animal Farm" auch schon als Pferd auf der Bühne, als Huhn oder als eines von zwei Schafen im Stück. Dabei habe er Glück gehabt, dass das Schaf immer hinterhergelaufen sei. "Das heißt, ich konnte einfach zum Kollegen sagen: alles klar, ich folg' Dir einfach. Ich mache einfach alles das, was du machst. Und dann ist das hier eine sichere Nummer."

So sicher, wie so ein Feuerwehreinsatz halt sein kann. Notfalls hilft auch ein Textbuch in der Hand, um unfallfrei durch den Abend zu kommen. Probenzeit ist in solchen Fällen meist knapp bemessen, manchmal reicht sie nur, um Szenen kurz anzuspielen. Ganz wichtig daher für Einspringer: moralischer Beistand. "Klar, da ist der Regieassistent da, oft noch der betreuende Dramaturg der Produktion. Da wird gut zusammengehalten", erzählt Disponentin Katharina Osterhammer, die zuletzt feststellen musste, dass mit steigenden Corona-Infektionszahlen auch wieder mehr Vorstellungen gerettet werden müssen. Das ist natürlich nicht nur am Münchner Volkstheater so.

Von Kempten nach Hamburg an einem Tag

Vor ein paar Wochen zum Beispiel schreckte der Schauspieler Sebastian Strehler auf, als sein Handy klingelte und sich das Hamburger Thalia Theater bei ihm meldete. "Da schießt sofort das Adrenalin in die Blutbahn."

Anderthalb Wochen zuvor hatte Strehler am Theater Kempten mit "Ewig jung" Premiere gefeiert – ein Abend über greise Schauspieler, die beim Singen von Popsongklassikern noch einmal aufblühen. In Hamburg ist das Stück unter dem Titel "Thalia Vista Social Club" seit Jahren ein Spielplanrenner. Doch auch hier fiel nun ein Darsteller vorübergehend aus. Und Strehler wurde gefragt, ob er aushelfen könne – wo er doch die entsprechende Rolle gerade in Kempten spiele. "Freitag beim Mittagessen hieß es: du hast die Rolle drauf, würdest du es machen? Morgen Abend ist Vorstellung in Hamburg. Und dann habe ich gesagt: ja. Und dann bin ich nach Hause, hab gepackt und um 14 Uhr saß ich im Zug nach Hamburg."

Natürlich geht die Übernahme so einer Rolle in einer anderen Inszenierung nicht im Copy-and-Paste-Verfahren, nach dem Motto: den Part aus der einen Inszenierung ausschneiden und in die andere einfach einsetzen. Strehler habe ein Video geschickt bekommen. Das habe er sich angeschaut, um zu sehen, welche Lieder dort auf welche Weise gesungen werden. Auf der Zugfahrt nach Hamburg sei er "einfach nur im Flur auf- und abgegangen zwischen Speisewagen und Waggon und habe versucht, diese Teile zu lernen, die hier anders sind als bei uns".

Ein ganz besonderer Kick

Am Nachmittag vor der Vorstellung gab es noch eine kurze Probe mit den unbekannten Kollegen – und schon ging’s rauf auf die Bühne - beinahe Blindflug. Und ein paar Sachen habe er auch improvisieren müssen: "Ich bin mal aufgestanden und habe eine Lampe umarmt, weil ich das bei uns in der Vorstellung mache." Die anderen Schauspieler seien dann zum Glück darauf eingestiegen.

Wäre trotzdem sicher nichts für extreme Lampenfieber-Kandidaten gewesen. Aber eigentlich, sagen Sebastian Strehler und Max Poerting einhellig, könne man in solche Situationen ja nur gewinnen. Denn das Publikum ist nicht nur dankbar, wenn eine Vorstellung nicht ausfällt, sondern auch voller Bewunderung für die ganz besondere künstlerische Leistung der Einspringer.

Ganz zu schweigen vom Kick, den so ein Sprung ins kalte Wasser bedeutet für die, die ihn wagen. Strehler: „Es ist ein wirklicher Rausch mit diesem Adrenalin zu spielen. Man ist so wach, man ist so aufmerksam - und die Zeit verfliegt, das war schon irre", sagt Strehler. Und Spaß mache es eben auch, sagt Poerting: "Es ist natürlich eine ganz andere Aufregung, es ist wie so eine Premiere für einen allein.“

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