"Durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine große Schuld." Diesen Satz kennen vor allem Katholikinnen und Katholiken sehr gut. Er ist fester Bestandteil beim Schuldbekenntnis im Gottesdienst. Denn dass der Mensch ein Sünder ist, steht nach der Heiligen Schrift außer Frage. In allen Religionen spielen Schuld und Sünde eine große Rolle - ein Thema also, das Menschen schon seit Tausenden von Jahren beschäftigt. Und wer sich heute Menschen, ihr Leben und Handeln ansieht, stellt wahrscheinlich fest: Menschen begehen ständig große und kleine Sünden und haben auch deswegen Schuldgefühle. Dabei sind Schuldgefühle meist sehr subjektiv. "Schuldgefühle sind vielschichtig und können verschiedene Ursprünge haben", sagt Psychologin Maren Wiechers im BR-Podcast "Die Lösung".
Menschen möchten sich nicht hilflos fühlen
Psychologin Maren Wiechers vergleicht das Leben mit einer Medaille: "Auf der einen Seite gibt es Dinge, die im Leben gelungen sind, mit denen man beschenkt ist. Auf der anderen Seite gibt es in jedem Leben Dinge, die nicht funktionieren, die nicht geglückt sind. So auch im Leben unserer Eltern. Und wir Kinder können sie davor nicht beschützen. Wir können sie nicht retten. Das ist eine Erkenntnis, die schmerzhaft sein kann, hilflos macht. Und um diese Hilflosigkeit nicht zu erleben, gehen wir an unsere Grenzen", weiß die Psychologin. Daran wird deutlich: Schuldgefühle haben eine soziale Funktion. Das Schuldgefühl suggeriert, man hätte gegen eine Regel verstoßen und müsste es wiedergutmachen.
Viele Kinder fühlen sich schuldig - gegenüber den Eltern, den Geschwistern, aber auch der Welt. Verhaltenstherapeutin Maren Wiechers weiß aber, dass hinter diesem Schuldgefühl eigentlich ein ganz anderes Gefühl steckt. Denn Schuldgefühle haben nicht nur eine soziale Funktion, sondern auch eine individuelle. "Das Schuldgefühl schützt uns vor einem anderen Gefühl, das noch schwerer zu ertragen wäre", sagt Psychologin Maren Wiechers. Das Gefühl von Hilflosigkeit. "Hilflosigkeit ist eines der schwierigsten Gefühle für uns Menschen. Hilflos zu sein ist der unangenehmste Zustand, in dem sich unser Gehirn befinden kann, denn Hilflosigkeit bedeutet Handlungsunfähigkeit. Und da wir Menschen uns nicht handlungsunfähig fühlen möchten, weil es in vielen Situationen lebensbedrohlich wäre, tut unser Gehirn viel dafür, diese Hilflosigkeit nicht zu empfinden", erklärt Wiechers.
Objektive Schuld braucht eine Wiedergutmachung
Hinter dem Schuldgefühl stecke oft das Gefühl der Hilflosigkeit. "Wir können uns Gefühle wie eine Zwiebel vorstellen: Die äußere Schicht der Zwiebel ist das sekundäre Gefühl. Es ist das Gefühl, das wir bewusst wahrnehmen - in diesem Beispiel die Schuld. Das eigentliche, primäre Gefühl ist Hilflosigkeit", vergleicht Psychologin Maren Wiechers. Der Kern der Zwiebel ist dann die eigentliche Ursache: ein unerfülltes Bedürfnis von Sicherheit, Kontrolle oder Handlungsfähigkeit. Das Problem dabei ist: Das subjektiv empfundene Schuldgefühl macht es Betroffenen schwer, Glück zu empfinden, sich sozial zu entfalten, beispielsweise wenn man denkt, man habe den Erfolg nicht verdient.
Maren Wiechers rät dazu, zu hinterfragen, ob man tatsächlich Schuld auf sich geladen habe, oder ob es dafür gar keinen Anlass dafür gebe. "Die folgenden Fragen sind für so eine Entscheidung hilfreich: War ich tatsächlich in der Lage das Ereignis zu beeinflussen? Wie viel Prozent daran war oder ist mein Anteil? Wer könnte sonst noch Verantwortung dafür tragen?", empfiehlt Maren Wiechers. Wenn ich objektive Schuld trage, zum Beispiel weil ich mit dem Auto eines Freundes einen selbstverschuldeten Unfall gebaut habe, müsse man sich eine Wiedergutmachung überlegen, zum Beispiel die Reparaturkosten übernehmen und dem Freund für die Zeit der Reparatur ein Monatsticket oder einen Leihwagen organisieren. Nach der Wiedergutmachung und dem Verzeihen sei es aber sehr wichtig, diese Vergebung auch selbst anzunehmen. "Es hilft mir nichts mich ein Leben lang weiter schuldig zu fühlen, den Kontakt abzubrechen, weil ich mich deswegen schlecht fühle. Das würde die Schuldgefühle nur weiter aufrechterhalten", weiß Maren Wiechers.
"Schuldkuchen": Übung aus der Verhaltenstherapie
"Schuldkuchen" ist eine Übung aus der Verhaltenstherapie, die Patienten hilft, Schuldgefühlen zu begegnen. Mit dem Kuchen kann man visualisieren, welche Faktoren zu dem Schuld-Ereignis geführt haben. Das kann helfen, um den eigenen Anteil in Relation zu anderen Faktoren zu setzen. "Dann sieht man schnell, dass in diesem Kuchen gar nicht mehr viel Platz ist für die eigene Schuld", weiß Maren Wiechers.
Wenn die eigenen Schuldgefühle subjektiv und irrational seien, empfiehlt sie genau das Entgegengesetzte zu tun, beispielsweise achtsam zu sein: "Mir etwas Gutes tun, zu mir stehen, offen und stolz sein, erzählen, was ich getan oder gemacht habe. Ich tue genau das Gegenteil von dem, was die Schuld mir sagt. Denn die sagt mir, ich soll mich klein machen und ganz viel für andere tun", empfiehlt Maren Wiechers. "Dieses entgegengesetzte Handeln wird sich kurzfristig unangenehm anfühlen - die Schuld bäumt sich oft nochmal auf. Langfristig wird sich das Schuldgefühl durch dieses entgegengesetzte Handeln aber verringern."
Was ist da manchmal los in unserem Kopf? Verhaltenstherapeutin Maren Wiechers und Host Verena "Fiebi" Fiebiger gehen dieser Frage auf den Grund - im BR-Podcast "Die Lösung". Mit Empathie und Sachverstand sprechen sie über die großen und kleinen Themen der Psychologie, die uns umtreiben.
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