Beim Thema Wohnen steht Deutschland vor großen Herausforderungen. Ziel der Ampelregierung war es, 400.000 neue Wohnungen im Jahr zu schaffen. Tatsächlich gebaut wurden laut zuständigem Ministerium knapp 300.000 Wohnungen jährlich. Bürokratie, wenig Platz in den Städten, aber auch der Klimawandel sind Aspekte, mit denen sich der Wohnungsbau der Zukunft wird auseinandersetzen müssen. Andrea Gebhard ist Städteplanerin und Landschaftsarchitektin sowie Präsidentin der Bundesarchitektenkammer. Sie spricht im Interview mit BR-Chefredakteur Christian Nitsche im neuen BR24-YouTube Format "7 Fragen Zukunft" über den Wohnungsbau der Zukunft.
Christian Nitsche: Viele sagen, dass Wohnen unbezahlbar geworden ist. In Bayern, in München, aber auch in vielen anderen deutschen Städten. Was muss sich da von Seiten der Politik ändern?
Andrea Gebhard: Ich denke, wir sind schon einen Schritt weiter gegangen, nämlich indem wir das "einfache Bauen", den Gebäudetyp E als Architektenkammer propagiert haben.
Das "einfache Bauen" heißt, dass ich mich von vielen Vorschriften, von vielen DIN-Normen lösen kann. Zum Beispiel, dass ich ein Gebäude bauen kann, in dem ich wieder höre, wenn jemand über mir geht. Ich wohne in einem Gebäude von 1926, da hört man natürlich, wenn jemand über einem geht. Oder man hört auch mal, wenn jemand nachts im Flur heimkommt.
Also die Frage, die sich durch die DIN-Normen immer mehr zu einem komplett isolierten Wohnraum entwickelt hat, wird aufgebrochen. Das heißt, die Fragen werden aufgebrochen: Wie dick ist die Dämmung? Wie stark muss die Heizung sein? Wenn es jetzt minus 20 Grad draußen hat, muss dann das Bad ad hoc auf 22 Grad hoch geheizt werden können? Das sind alles Dinge, die das Bauen natürlich sehr viel teurer machen.
Im Video: Bezahlbares Wohnen, Hochwasser, Hitze - Häuser-Bau anders denken?
Gebhard: Dieses "einfach" heißt ja auch, dass man wieder mehr Experimente wagen kann, weil ich nicht mehr in diesem Korsett von diesen Normen drin bin, sondern wieder mehr Möglichkeiten habe. Das ist natürlich für die Architektinnen und Architekten wichtig, weil sie endlich wieder das machen können, was sie können: sich Bauprojekte innovativ und experimentell anschauen. Aber nicht experimentell in dem Sinne, dass man sagt, das funktioniert nicht, sondern in dem Sinne, dass man sagt, wir können es einfacher machen.
Wohnungsmangel: Leere Kaufhäuser in Wohnungen umwandeln?
Nitsche: In unseren Städten gibt es Kaufhäuser, die Pleite machen, Firmen, die ihre Häuser verlassen müssen und diese Gebäude stehen dann leer. Kann man das nicht nutzen und mit unserem Wohnraumproblem kreativ umgehen?
Gebhard: Ja, natürlich kann man kreativ damit umgehen. Es gibt ja auch schon viele Ideen, wie man solche Kaufhäuser umwandeln kann. In Büros, aber genauso in Wohnungen oder vielleicht in Kindergarten-Flächen und dann andere Flächen wieder weiterentwickelt. Meiner Meinung nach ist es unbedingt notwendig, dass jede Stadt sich ein Kataster der Potenziale macht. Also dass man sagt: Was ist denn an diesem Ort möglich, was können wir da machen? Können wir auf diesem Kaufhof zum Beispiel ein großes Gebäude oben draufsetzen, was dann alles Wohnen ist?
Nitsche: Da entgegnen viele aber dann vielleicht auch: Warum soll der Nachbar jetzt aufstocken? Das stört meinen Blick.
Gebhard: Der Blick ist durchs Baugesetzbuch nicht geschützt. Die Abstandsflächen muss man sich anschauen, aber da kann man dann auch davon befreien. Und ich denke, wenn jeder jetzt nur egoistisch ist und sagt: Ich will den Blick haben und ich will das und das haben, und gleichzeitig wissen wir aber, dass wir mit dem Klimawandel und der Bodenversiegelung uns eigentlich wirklich den Teppich unter den Füßen wegziehen, dann muss man da auch einfach einmal drüber sprechen und sagen: Wir stehen vor einer Situation, die ist nicht kommod, die ist nicht freundlich.
Wir reden vom "Jahrhunderthochwasser". Wir haben heuer schon das dritte Jahrhunderthochwasser. Das stimmt mit dem Jahrhunderthochwasser also nicht so genau. Wir haben auch Hitzewellen. Das ist für ältere Menschen sehr ungesund. Und dann kann es nicht sein, dass ich sage: Jetzt ist mein Blick da und dahin nicht so gut. Die Belichtung muss weiterhin funktionieren und die Besonnung der Wohnungen, das ist ja ganz klar.
Klimawandel: Kühlere Gebäude durch Dachbegrünung
Nitsche: Der Klimawandel sorgt für veränderte Wohnsituationen. Plötzlich kann zum Beispiel die Dachgeschosswohnung völlig überhitzt sein, sodass man gar nicht mehr drin wohnen kann. Müssen wir Stadtplanung also ganz anders denken?
Gebhard: Wir müssen die Gebäude auch anders denken. Die Gebäude werden grüner werden. Wir werden so weit wie möglich Dachbegrünungen haben. Wenn ich eine Dachbegrünung habe und für eine Kühlung Luft ansauge, ist die Temperatur um die 25 Grad. Wenn dieses Dach aber keine Begrünung hat, sind es 60 bis 70 Grad. Dann können Sie sich ausrechnen, wie stark die Luft runtergekühlt werden muss.
Also wir müssen diese naturbasierten Möglichkeiten alle nutzen, um die Stadt so zu verändern, dass wir auch in Zukunft dort gut leben können.
Nitsche: Ist die Begrünung in Städten so leicht zu machen?
Gebhard: Es ist sehr schnell und sehr einfach zu machen, wenn das gemacht wird, was wir vorgeschlagen haben: Und zwar, dass bei jedem Bauantrag eine Begrünung mit angegeben werden muss. Also, dass ich nicht einfach Schottergärten machen kann, sondern dass es wirklich darum geht, die Begrünung auch darzustellen. Und wenn die Dachbegrünung mit dabei ist, die Fassadenbegrünung, das Wasser versickern kann, dann kriege ich das „Go“ für mein Gebäude.
Nitsche: Und wie gelingt nachträglich eine Begrünung?
Gebhard: Indem ich zum Beispiel Fördermittel habe, die dann möglich sind, wenn diese Begrünung kommt, und die die Menschen dann auch einfordern. Und zwar von ihren Hausbesitzerinnen und Hausbesitzern einfordern, aber auch bei sich selber überlegen: Was kann man machen, um diese Begrünung hinzubekommen?
Nitsche: Danke für das Gespräch.
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