72 Meter lang ist die Trocknungsanlage, fast so lange wie die Maschinenhalle. Und sie ist laut. 24 Gasbrenner sorgen für trockene Luft in dem langgestreckten Kasten, durch den lange Textilbahnen gezogen werden. Gerade laufen Handtücher für einen Hersteller aus dem nahen Hohenberg an der Eger durch. Die Lüfter blasen Sauerstoff ein, die Brenner fauchen. Ohne Erdgas ginge hier in Selb bei der Textilveredlung Drechsel GmbH, kurz TVD, gar nichts, meint Geschäftsführer Bernd Drechsel.
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So viel Gas wie 12.000 Haushalte
16 Gigawattstunden Gas brauchen sie im Jahr, so viel wie 12.000 Einpersonenhaushalte, dazu kommen 2,6 Gigawattstunden Strom. Alles hier gehe mit Wasser, das erhitzt werden müsse, erklärt Drechsel: vom Appretieren übers Waschen bis zum Färben. Dazu brauche es Temperaturen zwischen 130 und 210 Grad. Seit 73 Jahren gibt es die TVD, ein Familienbetrieb im oberfränkischen Selb. 150 Leute haben hier ihre Arbeitsplätze, darunter zwei Auszubildende.
Textilbetrieb wünscht sich günstigen Strom
Die hohen Energiepreise setzen der Textilindustrie zu. Bernd Drechsel wünscht sich vom Bund vor allem einen günstigen Stromtarif. Einen Brückenstrompreis für alle: die Industrie, den Mittelstand und auch für die privaten Verbraucher. Aktuell diskutiert die Ampel den sogenannten Industriestrompreis.
Einem Bericht des Magazins "Spiegel" zufolge zeichnet sich ein Kompromiss zum Industriestrompreis ab: Schon jetzt bekommen energieintensive Unternehmen die Kosten aus dem Emissionshandel für die Stromerzeugung erstattet, die sogenannte Strompreiskompensation. Hier könnte dem Bericht zufolge eine weitere Hilfe zur Kompensation der hohen Energiekosten aufgesattelt werden.
Bisher hatte Vizekanzler Robert Habecks Wirtschaftsministerium vorgeschlagen, den Preis pro Kilowattstunde Strom für die Industrie von derzeit mindestens 14 auf 6 Cent zu senken. Das wiederum lehnt die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi strikt ab. Von einem reinen Industriestrompreis könne er nur abraten, dieser Vorschlag hätte enorme soziale Sprengkraft, so Verdi-Vorsitzender Frank Werneke.
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Wärmerückgewinnung seit 1987
Ein Industriestrompreis nur für die Großindustrie helfe ausschließlich dieser, sagt Drechsel; sein mittelständischer Betrieb bleibe dabei außen vor. Im Übrigen könne auch nur so die Energiewende funktionieren. Wie sonst sollten die Bürgerinnen und Bürger den erhöhten Stromverbrauch finanzieren, wenn sie künftig Wärmepumpen und E-Autos nutzen wollen, meint Drechsel.
In Bernd Drechsels Firma TVD haben sie schon 1987 angefangen, eine Wärmerückgewinnung einzubauen. Intelligente Steuersysteme reduzierten ebenfalls den Energieverbrauch. Die firmeneigene Solaranlage mit 4.000 Quadratmetern liefere zehn bis 15 Prozent des Strombedarfs. Den Rest – Ökostrom, darauf legt Bernd Drechsel Wert – muss er einkaufen. Dabei sei es wichtig, dass die Energiepreise kalkulierbar blieben, vor allem im Hinblick auf künftige Investitionen im Betrieb. 15 Prozent seiner Gesamtkosten wende er für die Energie auf.
Alternative Energieträger schwierig
Erdgas sei sein wichtigster Energieträger, erklärt der TVD-Geschäftsführer Drechsel. Das Unternehmen könne auch mit Wasserstoff heizen, doch davon gebe es nicht genug. Eine Flüssiggasanlage benötige immense Sicherheitsvorkehrungen, die nicht finanzierbar seien. Für eine Hackschnitzelfeuerung rollten wegen der benötigten Mengen pausenlos Lkw auf den Fabrikhof, das sei aus seiner Sicht nicht ökologisch, erläutert Bernd Drechsel. Bliebe noch Strom, doch dafür seien die Kapazitäten und notwendigen Leitungen in Selb nicht vorhanden.
Immerhin habe er auch einiges erreicht, berichtet Bernd Drechsel nicht ohne Stolz. Mit Sparmaßnahmen und technischen Innovationen habe er es geschafft, den Erdgasverbrauch in den letzten 13 Jahren von 21 auf 16 Gigawattstunden zu reduzieren, und das bei gestiegenem Umsatz.
Textilindustrie könnte wegbrechen
Aufgrund der hohen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs hätten bereits Firmen aufgegeben – das Bamberger Traditionsunternehmen Kaliko zum Beispiel. Bernd Drechsel befürchtet, dass weitere folgen, dass die textile Herstellungskette bei den oberfränkischen Firmen reißt. Von seinem Betrieb zur Handtuchweberei in Hohenberg seien es gerade mal zwölf Kilometer. Solch kurze Wege seien ein großer Vorteil, verringerten die Kosten. Und schließlich die Arbeitsplätze: Derzeit arbeiten über 9.000 Menschen in den rund 60 Betrieben der oberfränkischen Textilindustrie. Das sind sieben Prozent der oberfränkischen Beschäftigten in der Industrie. Und 6.000 Steuerzahler und Konsumenten.
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