Das Geschäftsjahr 2023 lief miserabel für die BayWa: Erstmals in seiner Firmengeschichte machte der Agrarkonzern Verlust. Für die Aktionäre gab es keine Dividende. Trotzdem verbreitete der damalige Vorstandsvorsitzende Marcus Pöllinger Mitte Juni 2024 auf der Hauptversammlung Optimismus: Eine neue Strategie mache den Konzern "stark und zukunftsfest". Nur vier Wochen später musste der BayWa-Vorstand einräumen: Deutschlands größter Agrarkonzern ist ein Sanierungsfall.
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Um die BayWa vor drohender Zahlungsunfähigkeit zu retten, stellten Banken und Eigentümer mehr als eine Milliarde Euro frisches Kapital zur Verfügung. Vorstandschef Pöllinger musste gehen, für Finanzchef Andreas Helber ist im Frühjahr 2025 Schluss. Um Schulden abzubauen, sind tiefe Einschnitte notwendig: Die ausländischen Tochterfirmen stehen zum Verkauf. Übrig bleibt das Kerngeschäft um die Bereiche Agrar und Baustoffe. Der Umsatz wird dadurch bis 2027 massiv schrumpfen – von in diesem Jahr rund 23 Milliarden Euro auf 8 Milliarden.
Anwälte bereiten Klagen gegen BayWa und Wirtschaftsprüfer PwC vor
Wie konnte es so schnell so weit kommen? Das fragen sich zahlreiche Aktionäre, die mit dem Kurssturz der BayWa-Aktie Geld verloren haben. Bei der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V. (DSW) hätten sich mehr als tausend Anleger gemeldet, berichtet DSW-Vizepräsidentin und Rechtsanwältin Daniela Bergdolt. Die Schutzvereinigung hätte bereits einen Prozessfinanzierer gefunden, der Klägern das finanzielle Risiko abnehme.
Die Anleger-Schutzvereinigung wirft der BayWa vor, sie habe die Öffentlichkeit zu spät über die angespannte finanzielle Lage des Konzerns informiert, als die Zinsen stiegen: "Dann gibt es eine Verpflichtung des Unternehmens, über dieses Risiko zu berichten", sagt Bergdolt dem BR.
Auch der Münchener Anwalt Peter Mattil bereitet sich auf mögliche Klagen vor. Der Experte für Kapitalmarktrecht hält die Schilderungen der BayWa für unglaubwürdig, wonach sich die Lage des Konzerns innerhalb weniger Wochen zugespitzt habe. "Das ist immer eine Entwicklung von mehreren Jahren", sagt er. Wie die Schutzvereinigung will auch Mattil zusätzlich die Wirtschaftsprüfer PricewaterhouseCoopers (PwC) ins Visier nehmen: "Eine Prüfung bedeutet nicht, dass man sich vom Vorstand berichten lässt und eine Zigarre raucht und einen Stempel drunter setzt. Wenn sie da oberflächlich waren, haften die auch." Bei der BayWa war PwC seit 2021 als Abschlussprüfer tätig.
Hat die BayWa finanzielle Risiken richtig dargestellt?
Der Fall BayWa hat auch die Finanzaufsicht Bafin auf den Plan gerufen. Im November teilte sie mit, es lägen "konkrete Anhaltspunkt"“ vor, dass die BayWa "gegen Rechnungslegungsvorschriften verstoßen hat". Die Bafin prüft deshalb, ob der Agrarkonzern im Geschäftsbericht 2023 seine Finanzlage richtig dargestellt und Risiken bei der Refinanzierung angemessen beschrieben hat. Aufgrund "gesetzlicher Verschwiegenheitsplicht" kann sich die BaFin auf Anfrage von BR Recherche zu dem konkreten Fall nicht weiter äußern.
Für Prof. Hansrudi Lenz, der bis vor Kurzem an der Universität Würzburg Wirtschaftsprüfung gelehrt hat, ist auffällig, dass bei der BayWa mehrere Faktoren zusammenkamen: "Sehr hohe Verschuldung, sehr hohe Zinszahlungen, gleichzeitig Schwierigkeiten im operativen Geschäft." Insbesondere sei bei der BayWa über Jahre hinweg nicht genügend Geld in der Kasse geblieben, um Investitionen, Zinsen oder die Auszahlung von Dividenden zu finanzieren. Der sogenannte operative Cashflow sei schwach gewesen, analysiert Lenz. Daher sei die BayWa auf fremdes Kapital wie Kredite oder Anleihen angewiesen gewesen, was bei hoher Verschuldung und steigenden Zinsen ein enormes Risiko darstelle.
Diese Zusammenhänge habe die BayWa nicht angemessen im Jahresabschluss beschrieben: "Entweder hatten die ein ganz schlechtes Risikomanagement, dann war die Darstellung des Risikomanagements im Risikobericht falsch, weil da alles sehr positiv dargestellt wird. Oder man hat das intern schon gesehen, dann hat man das eben nicht angemessen berichtet." Auf Anfrage teilt die BayWa mit, "der Jahresabschluss 2023 wurde nach bestem Wissen und Gewissen entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erstellt".
PwC hat uneingeschränktes Testat erteilt
Hätten die Wirtschaftsprüfer diese Risiken sehen müssen? PwC hätte prüfen müssen, "ob diese niedrige Einstufung des Liquiditäts- und Zinsänderungsrisiko korrekt ist im Lagebericht. Die Abschlussprüfer haben ja alle Möglichkeiten", so Hansrudi Lenz. PwC hatte aber nichts zu bemängeln: Den Jahresabschluss 2023 haben die Prüfer Ende März 2024 uneingeschränkt testiert.
Während die BaFin das Agieren der BayWa unter die Lupe nimmt, hat die Aufsichtsstelle für Abschlussprüfer (APAS) berufsrechtliche Ermittlungen gegen PwC eingeleitet. Diese unterstützt PwC nach eigenen Worten "vollumfänglich". Weiter kommentiert PwC das nicht. Es sei ein laufendes Verfahren, so PwC auf BR-Anfrage.
April 2024: BayWa scheitert zweimal bei der Platzierung von Anleihen
Wie schwierig für die BayWa die Beschaffung von frischem Kapital gewesen ist, hat sich im April 2024 gezeigt: Damals versuchte die BayWa, eine Anleihe über 250 Millionen Euro zu platzieren. Doch das Interesse der Investoren war offenbar gering. Am 22. April 2024 stoppte die BayWa das Vorhaben. Später erklärte Finanzchef Andreas Helber im Interview mit dem Finanzportal echtgeld.tv, dass "die Attraktivität für die BayWa-Anleihe nicht gegeben war".
Nach BR-Informationen hat die BayWa Ende April nochmals versucht, sich frisches Kapital zu besorgen – über eine Privatplatzierung einer Anleihe im genossenschaftlichen Sektor. Doch auch dieser Versuch, sich Geld zu besorgen, misslang. Die BayWa will sich dazu und zu weiteren Fragen nicht äußern, da man "aufgrund laufender Verfahren" Einzelheiten nicht kommentieren könne.
Hätte die BayWa früher über Risiken der Finanzierung informieren müssen?
Prof. Hansrudi Lenz meint, die BayWa hätte den Kapitalmarkt über die gescheiterten Anleihen informieren müssen, da es sich um eine "kursrelevante Insider-Informationen" gehandelt habe. Rechtswalt Mattil sieht darin ein Alarmzeichen: "Wenn man zweimal hintereinander versucht, Geld am Markt zu besorgen, das offensichtlich dringend gebraucht wird und auch Banken da nicht mehr einsteigen wollen, dann sieht man auch so ein bisschen die Verzweiflung, die da schon geherrscht hat." Von den Finanzierungsproblemen erfahren die Anleger weder bei der Veröffentlichung der BayWa-Quartalzahlen am 6. Mai 2024 noch auf der Hauptversammlung am 11. Juni.
Hat das Management versagt?
Kurz darauf, am 12. Juli, stellte der Agrarkonzern eine "angespannte Finanzierungslage" fest. Wie das so schnell und für viele Anleger überraschend geschehen konnte, dazu schreibt die BayWa erst im Herbst: Es habe "binnen weniger Wochen im Juni 2024" starke Kapitalabflüsse gegeben. Auch seien "Einzahlungen aus dem operativen Bereich" nicht erfolgt. Dies wäre im März 2024 nicht absehbar gewesen.
"Das wäre Aufgabe des Managements gewesen, eines guten Risikomanagements, diese Krise zu meistern und zu bewältigen. Dass das Management versagt hat, ist ganz offensichtlich", entgegnet darauf Hansrudi Lenz. Jetzt ist die BayWa ein Sanierungsfall und muss massiv schrumpfen. Mindestens 1.300 Beschäftigte werden ihren Job verlieren.
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