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Verkürzung des Wirecard-Prozesses: Stimmt Staatsanwaltschaft zu?

Verkürzung des Wirecard-Prozesses: Stimmt Staatsanwaltschaft zu?

Der Wirecard-Prozess entpuppt sich als "Mammut-Verfahren". Das Landgericht München will deshalb die Anklage auf wichtige Punkte beschränken. Selbst dann wäre eine Höchststrafe von zehn Jahren möglich. Doch die Staatsanwaltschaft muss zustimmen.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Dutzende Zeugen, fast 180 Verhandlungstage und kein Ende in Sicht. Der Wirecard-Prozess am Landgericht München hat sich zu einem "Mammut-Verfahren" entwickelt. Genau das war angesichts eines der größten Wirtschaftsskandale in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten. Auf der Anklagebank im unterirdischen Hochsicherheits-Gerichtssaal auf dem Gelände der JVA Stadelheim sitzen der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun, der ehemalige Chefbuchhalter Stephan von Erffa sowie der Ex-Statthalter des Zahlungsdienstleisters in Dubai, Oliver Bellenhaus.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem bandenmäßigen Betrug, Marktmanipulation und Falschdarstellung vor. Die drei Angeklagten sollen dabei ein ganzes Bündel von Straftaten begangen haben. So sollen sie maßgeblich dafür gesorgt haben, dass der einstige DAX-Konzern Wirecard in der Öffentlichkeit durch aufgeblähte Geschäftszahlen deutlich profitabler erschien, als er tatsächlich war. In der Folge haben deswegen Banken dem Zahlungsdienstleister Kredite in Milliardenhöhe gewährt. Mehrere Vertreter der Geldinstitute haben als Prozess-Zeugen klargemacht, dass sie im Wissen um die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Konzerns weiteren Krediten wohl nicht zugestimmt hätten.

Bandenmäßiger Betrug und Untreue – Gericht will Anklagepunkte bündeln

Kurz vor der Weihnachtspause hat Richter Markus Födisch eine Verfügung erlassen und darin vorgeschlagen, den Prozess auf zentrale Straftatbestände zu beschränken. Eine solche Beschränkung falle mit Blick auf ein Urteil nicht beträchtlich ins Gewicht, so die am 19. Dezember vergangenen Jahres erlassene Verfügung. "Sowohl der Grundsatz der Verfahrensökonomie als auch des Beschleunigungsgrundsatzes gebieten es nach Auffassung der Kammer, die Verfolgung […] zu beschränken", steht darin. Alles andere würde einen "erheblichen Mehraufwand" bedeuten.

Eine Beschränkung der Straftatbestände, so die dem BR vorliegende Verfügung, hätte mit Blick auf ein mögliches Strafmaß keine Auswirkungen: "Der Einfluss der betroffenen Vorwürfe auf eine im Falle einer Verurteilung zu erwartende Gesamtstrafe steht in keinem Verhältnis zu dem insoweit höheren Zeit-, Kosten- und Arbeitskräfteaufwand."

Grundlage für einen solchen Schritt sind die Paragrafen 154 und 154a der Strafprozessordnung. "Sollte die Staatsanwaltschaft auf eine Verfolgung aller angeklagten Betrugstagen beharren, wäre allein aus diesem Grund ein Verfahrensabschluss erst im Laufe des Jahres 2026 möglich", stellt das Gericht in seiner Verfügung fest.

Braun-Verteidigerin: Verkürzung wäre eine Vorverurteilung

Die Staatsanwaltschaft dürfte dem Vorschlag des Gerichts zustimmen und wird dies zum Auftakt des heutigen Prozesstages in einer kurzen Stellungnahme begründen. Diese Stellungnahme hätte es längst geben sollen. Aufgrund einer längeren Erkrankung einer Schöffin musste das Gericht eine mehrwöchige Verhandlungspause einlegen.

Theres Kraußlach, Verteidigerin von Markus Braun, hält von dem Antrag des Gerichts nichts. Er komme einer Vorverurteilung ihres Mandanten gleich: "Herr Braun sitzt unserer Meinung nach zu Unrecht auf der Anklagebank", sagte sie dem Bayerischen Rundfunk.

Als einziger der drei Angeklagten befindet sich Braun seit mehr als vier Jahren in Untersuchungshaft. Das Gericht hatte im Herbst vergangenen Jahres einen von seinem Verteidiger-Team gestellten Haftprüfungsantrag unter anderem mit dem Verweis darauf abgelehnt, dass die Staatsanwaltschaft für von Erffa und Braun eine Freiheitsstrafe von mehr als zehn Jahren fordern dürfte.

Wirecard-Kollaps, weil 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren

Wirecard war im Juni 2020 kollabiert, nachdem 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar waren. Nach offizieller Darstellung des Zahlungsdienstleisters sollte sich diese Summe auf philippinischen Treuhandkonten befinden - angeblich erwirtschaftet aus Wirecards Geschäft mit ausländischen Drittpartnern. Oliver Bellenhaus, der als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft gilt, hat im Zuge des Verfahrens mehrfach ausgesagt, weite Teile dieses Geschäfts seien über Jahre erfunden und so die Bilanzen aufgebläht worden.

Ex-Vorstandschef Braun hat den Mitangeklagten wegen dieser Aussagen wiederholt der Lüge bezichtigt und im Gegensatz dazu betont, eine Bande rund um Bellenhaus und den nach wie vor flüchtigen früheren Wirecard-Vorstand Jan Marsalek hätten Wirecard zustehendes Geld veruntreut und auf Auslandskonten geschleust.

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