Es war eine Generalkritik: "Nun, wir schauen auf die Fakten, in allen wesentlichen volkswirtschaftlichen Größen wird Deutschland nach hinten durchgereicht, ist am Tabellenende mindestens der Industrienationen", sagte Industriechef Siegfried Russwurm zum Kanzler. Das war im März – beim Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft auf der Münchner Handwerksmesse. Beim Tag der Industrie in Berlin am Montag haben sich Russwurm und Olaf Scholz (SPD) nun wiedergesehen.
Russwurm: Maßnahmen müssen weh tun
"Wir fordern nicht neue Mehrausgaben des Staates", sagte Russwurm als Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Der BDI sei gegen eine Lockerung der Schuldenbremse. Stattdessen brauche es strukturelle Reformen, eine digitale Verwaltung und "den Mut zu unbequemen und schmerzhaften Entscheidungen" bei der Priorisierung der Haushaltsmittel. Nur dann noch bleibende Lücken könnten laut Russwurm schuldenfinanziert geschlossen werden.
An welcher Stelle genau er den Rotstift ansetzen würde – ob bei der Rente oder etwa dem Bürgergeld – präzisierte der BDI-Chef nicht. Es müssten "alle staatlichen Leistungen" darauf geprüft werden, ob Deutschland sie sich noch leisten könne. "Und es tut dann weh, klar", sagte er lediglich. Aber "die Diskussion, die wird zu wenig geführt".
Signal Richtung Scholz: Russwurm lobt Problembewusstsein
Der BDI erwartet für 2024 nur ein Mini-Wachstum von 0,3 Prozent. Schwaches Wachstum aber bedeute geringere Spielräume im Staatshaushalt, sagte Russwurm.
Um genau den geht es derzeit bei den Verhandlungen in der Bundesregierung über den Haushalt 2025. Es müssen Milliardenlöcher gestopft werden. Mehrere Ressorts wollen Sparvorgaben von Finanzminister Christian Lindner (FDP) nicht einhalten. Die Koalition plant außerdem ein "Dynamisierungspaket", um das Wachstum anzukurbeln.
Russwurm lobt: Im Kanzleramt gebe es ein klares Problembewusstsein. Übersetzt bedeutet das: Die Regierungszentrale hat erkannt, dass etwas getan werden muss, um das Wachstum anzukurbeln.
In der Industrie hieß es hinter den Kulissen, von einem "grünen" Wirtschaftswunder durch den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft habe der Kanzler nicht mehr gesprochen – ein solches Wunder erwarten auch die wenigsten in der Industrie.
Kanzler will Arbeitsanreize erhöhen
Scholz verkündete beim Treffen mehrere mögliche Maßnahmen: Er versprach nach vorne blickend "viel mehr Tempo". Die Bundesregierung wolle private Investitionen fördern. "Ich könnte mir vorstellen, dass wir in Sachen Abschreibung und Forschungsförderung noch eine Schippe drauflegen auf das, was uns mit dem Wachstumschancengesetz gelungen ist." Dafür sei aber auch die Zustimmung der Länder notwendig.
Das Wachstumschancengesetz der Bundesregierung mit Entlastungen für Firmen war nach einem Vermittlungsverfahren von Bundesrat und Bundestag vom Volumen her deutlich geringer ausgefallen als geplant.
Der Kanzler sagte weiter, das Arbeitsangebot solle ausgeweitet werden, indem freiwilliges, längeres Weiterarbeiten deutlich attraktiver gemacht werde. Zudem sollten die Erwerbstätigkeit von Eltern erleichtert und Arbeitsanreize erhöht werden, auch steuerlich.
Klimafreundlicher Umbau der Wirtschaft bleibt Herausforderung
Eine der am häufigsten von der Wirtschaft genannten Nachteile im internationalen Vergleich sind hohe Energiepreise. Scholz sagte mit Blick auf den klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft, ihm sei bewusst, dass die Transformation wegen eines unterschiedlichen Niveaus der Energiepreise weltweit eine Herausforderung für den Standort Deutschland darstelle.
Er verwies auf Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung wie die Senkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz für produzierende Unternehmen. Die Bundesregierung spreche derzeit intensiv darüber, wie Entlastungen verstetigt werden könnten, machte der Kanzler deutlich. Unternehmen sollten Klarheit bekommen.
Mit Informationen von AFP und dpa.
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