Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt war jahrzehntelang Mannschaftsarzt beim FC Bayern München und der deutschen Fußballnationalmannschaft. Spitzensportler wie Usain Bolt und Wladimir Klitschko gehörten zu seinen Patienten. Wie blickt der erfahrene, 82-jährige Orthopäde auf die Zukunft der Sportmedizin? Das hat ihn BR-Chefredakteur Christian Nitsche gefragt in "7 Fragen Zukunft". (Das vollständige Interview hier im Video.)
Christian Nitsche: Herr Müller-Wohlfahrt, was braucht es für Ärzte in der Zukunft? Welche Anforderungen und was für eine Ausbildung braucht es da?
Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt: Ich bin durch und durch Sportarzt und sehe, dass sich auf dem Gebiet nichts tut: In der Ausbildung zum Facharzt der Orthopädie lernt man nichts für den Beruf des Sportarztes. Man geht in die Praxis und ist eigentlich Anfänger, muss sich das selbst beibringen. Was ich vermisse, ist – und das ging mir ja auch so, ich habe das Operieren gelernt, ich habe auch schöne Operationen gemacht – aber, dass man dann in die Praxis geht und mit Patienten umgeht und denen helfen soll: Wie soll das gehen? Man kann gut operieren, aber man kann nicht eine Muskelverletzung oder eine Bänderverletzung oder ein Gelenk richtig diagnostizieren. Das hat man nicht gelernt.
Im Video: Gesund alt werden: Diese Tipps hat Dr. Müller-Wohlfahrt I 7 Fragen Zukunft I BR24
Nitsche: Wie ist in Zukunft KI im Verhältnis zum Arzt zu gewichten?
Müller-Wohlfahrt: Ich würde mir die KI nicht zunutze machen. Ich will mit meinen Händen und meinem Kopf diagnostizieren und dazu braucht man natürlich das Gespräch. Die KI braucht kein Gespräch und kann kein Gespräch. Ich brauche die Kommunikation mit dem Patienten. Ich möchte mir seine Geschichte anhören. Der Patient sitzt mir gegenüber oder wir sitzen auf Sofas, ganz entspannt. Und ich sage: So, erzählen Sie mir Ihre Geschichte – und ich unterbreche nicht.
Und dann schüttet sich der Patient aus, öffnet sich. Fast kann man kann sehen, wie er aufmacht. Und dann kommt die Untersuchung. Bitte ausziehen bis auf die Unterwäsche, abtasten. Wo sind Abweichungen von der Norm? Wo tut es weh? Ich will den Punkt gar nicht genau gezeigt bekommen. Den will ich dann selbst finden. Aber ungefähr: am Bein oder am Rücken oder der Schulter?
Das wird dann geschildert - und dann kann ich Fragen stellen: Gab es einen Unfall oder wie hat sich das entwickelt? Wie lange geht das schon? Dann kreise ich das ein und dann habe ich im Grunde schon meine Diagnose. Dann weiß ich genau, wie und wo ich untersuchen muss.
"Ich habe einen Grundsatz: Es gibt keine Schmerzmittel"
Nitsche: Wie wichtig sind Schmerzmittel, also zum einen im Leistungssport, aber auch generell? Was halten Sie von Schmerzmitteln?
Müller-Wohlfahrt: Ganz schlecht. Ich habe einen Grundsatz und den habe ich eingehalten: Es gibt keine Schmerzmittel. Im äußersten Notfall, aber nicht routinemäßig. Damit das Training nicht so weh tut oder die Verletzungen im Spiel nicht so wehtun: kein Gedanke daran.
Nitsche: Wenn jemand Schmerzen hat, also ein Spitzensportler, dann sagen Sie: Du musst da durch?
Müller-Wohlfahrt: Nein, ich will auch nicht, dass Sportler mit Schmerzen trainieren oder in den Wettkampf gehen. Das ist leistungsmindernd. Nein, dann hat das eine Ursache. Dann muss die Ursache behoben werden. Das ist die Kunst in der Sportmedizin: die Ursache finden, nicht den Schmerz behandeln.
Nitsche: Danke für das Gespräch.
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