"Das könnte hier vor diesen Bäumen gewesen sein": Walter Gruber, Organisator des Mühldorfer Volksfests und Edwin Hambacher, der Stadtarchivar, halten ausgedruckte Fotos in der Hand. Darauf zu sehen sind Zeltstangen, die an einen Mikado-Stapel erinnern, mit gestreiften Planen dazwischen. Oder ein Kettenkarussell mit fehlender Abdeckung.
Am 29. August 1964 traf ein heftiger Sturm das Mühldorfer Volksfest, die Quellen berichten von einem orkanartigen Wirbelwind mit Windstärke 12. Der zerstörte innerhalb von gerade mal einer halben Stunde die großen Zelte, Fahrgeschäfte und Verkaufsstände – 50 Menschen wurden damals verletzt. Seitdem ist man ganz anders auf Unwetter und andere Zwischenfälle vorbereitet.
Sicherheitsvorgaben werden immer detaillierter
Mittlerweile reichen die Sicherheitsvorkehrungen beim Mühldorfer Traditionsvolksfest – inzwischen eine Großveranstaltung mit über 200.000 Besuchern – sehr viel weiter als noch vor 60 Jahren. So prüfen etwa der TÜV und das Landratsamt die Fahrgeschäfte und Zelte auf Standsicherheit.
In einem seitenlangen Sicherheitskonzept hat die Stadt außerdem alle möglichen Gefährdungsszenarien vorab durchgearbeitet. Für jede Windstärke ist definiert, was zu tun ist – etwa Fahrgeschäfte schließen oder den gesamten Platz evakuieren. Unwetter werden ebenso thematisiert wie mögliche Attentate. Nach dem tödlichen Messerangriff von Solingen entschied die Stadt in Absprache mit der Polizei, dass das Sicherheitskonzept nicht nachgebessert werden müsse.
So bereitet sich Mühldorf auf Unwetter vor
Auch beim Thema Wetter sind die Mühldorfer inzwischen bestens vorbereitet. Für Wetterprognosen nutzt die Kreisstadt mehrere Dienste, die auch die Flugsicherung verwendet. Ist ein Unwetter angesagt, kommt im Behördenhof der gesamte Krisenstab zusammen: Veranstaltungsleitung, Polizei, Feuerwehr, THW und BRK entscheiden dann gemeinsam, was zu tun ist. Auch auf unwetterbedingte Netzausfälle ist man vorbereitet. Alle Fahrgeschäfte, Zelte und Verkaufsstände sind mit Funkgeräten ausgestattet, über die der Krisenstab schnell Anweisungen mitteilen kann.
Volksfest 2023: Härtetest für das Sicherheitskonzept
Ein Härtefall für das Sicherheitskonzept war der Starkregen beim Volksfest im vergangenen Jahr. Fahrgeschäfte und Verkaufsstände wurden geschlossen. Als Wind aufzog, wurden die Besucher in die Zelte geschickt, um sie vor möglicherweise herumfliegenden Teilen zu schützen. Nach dem Regen pumpten die Einsatzkräfte von Feuerwehr und THW das Wasser rasch wieder vom Platz.
Das war die Unwetterursache 1964
Ähnlich hätte es möglicherweise auch vor 60 Jahren laufen können. Das heftige Unwetter wäre eigentlich gut vorhersehbar gewesen – zumindest wenn man damals schon die heutige Technik gehabt hätte, erklärt BR-Meteorologe Michael Sachweh. Eine Hitzewelle aus Südbayern prallte auf eine Kaltfront aus Nordbayern und erzeugte einen Komplex aus mehreren Gewittern. In Mühldorf wurde er zum Orkan mit gewaltigem Niederschlag: 119 Liter pro Quadratmeter wurden damals gemessen. So viel regne es sonst in einem gesamten August nicht in Mühldorf, so der BR-Meteorologe.
Durch Klimawandel: Mehr schlecht vorhersehbare Unwetter
Doch auch heute lassen sich nicht alle Gewitter sicher vorhersagen. Denn Gewitter können sehr plötzlich an Ort und Stelle entstehen und dann kaum oder nur langsam weiterziehen, erklärt Meteorologe Sachweh. Diesen Gewittertyp hätten wir in diesem Sommer öfter erlebt und der sei für Meteorologen eine große Herausforderung, so der Experte. Und gerade dieser Typ Gewitter nimmt laut dem BR-Wetterexperten zu – wegen des Klimawandels.
1964: Volksfest geht drei Tage nach Sturm weiter
Nach dem heftigen Sturm vor 60 Jahren überlegten die Zuständigen, das Volksfest abzubrechen. Weil niemand ums Leben gekommen war, entschieden sie sich allerdings für einen Wiederaufbau. "Das ist doch Wahnsinn", sagt Edwin Hambacher vom Mühldorfer Stadtarchiv, mit Blick auf die Fotos der damaligen Verwüstung. "Am Samstag war der Sturm, am Dienstag haben sie gesagt, wir können weitermachen und am Mittwoch war der große Kindertag."
Die Einsatzkräfte müssen Tag und Nacht gearbeitet haben, meint auch Volksfestorganisator Walter Gruber. Heutzutage hätte man das Volksfest eher abgebrochen, vermutet er. "Da stand mit Sicherheit nicht alles perfekt, aber sie haben es irgendwie geschafft." Und der Stadtarchivar ergänzt lachend: "Sie konnten wieder Bier ausschenken."
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!