Florian Streibl ist im zivilen Leben Rechtsanwalt. Und tatsächlich klingt der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Zwischenausschuss wie ein Strafverteidiger, der ein Abschlussplädoyer für seinen Parteichef und Spitzenkandidaten hält: "Ist Hubert Aiwanger ein Antisemit?" Das sei die Frage, um die es hier gehe. "Und die Antwort lautet eindeutig: Nein, das ist er nicht!", sagt Streibl mit fester Stimme. Lauter Beifall von den Abgeordneten der Freien Wähler, auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) klatscht, wenn auch verhaltener.
Streibl hatte im Vorfeld seiner Rede keine leichte Aufgabe. Es galt aus seiner Sicht, Aiwanger den Rücken zu stärken und gleichzeitig maximale Distanz zu dem antisemitischen Flugblatt zu schaffen, das der FW-Chef als Teenager in seinem Schulranzen hatte. Und so nimmt Streibl seinen Parteichef in Schutz: Er habe sich für Fehler in Jugendjahren aufrichtig entschuldigt und glaubhaft dargelegt, nicht der Verfasser des Flugblatts zu sein.
Streibl sagt aber auch: "Antisemitismusvorwürfe wiegen für einen Politiker besonders schwer." Und etwas später fügt er hinzu: "Auch wir als Fraktion erwarten, dass Hubert Aiwanger alles tut, um verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, insbesondere bei unseren jüdischen Geschwistern." Vergleichsweise strenge Worte, bedenkt man die Bedingungslosigkeit, mit der sich die Freien Wähler in den vergangenen beiden Wochen vor ihren Chef warfen.
Aiwanger hört sich Vorwürfe regungslos an
Das Ende von Streibls Rede ist einer der wenigen Momente dieser Sitzung, in dem sich der Mann rührt, wegen dem Grüne, SPD und FDP den Zwischenausschuss im Landtag überhaupt erst gemeinsam anberaumt hatten. Aiwanger applaudiert dem Fraktionsvorsitzenden seiner Partei. Abgesehen davon zeigt der FW-Chef in den knapp eineinhalb Stunden kaum eine Regung. Er, der eigentlich während Debatten gerne emotional führt, lacht, spottet, sich aufregt oder dazwischenruft, sitzt einfach nur da. Aiwanger verzieht weder Mund noch Augenbrauen, sondern hört sich stoisch die Vorwürfe an, die ihm die Oppositionsparteien nach und nach machen.
Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann nutzt seine Rede, um dem Wirtschaftsminister Fragen zu stellen: "Herr Aiwanger, was verstehen Sie unter Reue und Demut?" "Finden Sie es passend, nach einer dürftigen Entschuldigung sofort in den Opfer-Modus überzugehen?" "Finden Sie es unproblematisch, wenn Jugendliche heutzutage Juden- und Holocaust-Witze machen?"
Hartmann stellt Fragen - Söder tippt auf dem Handy
Wie im Stakkato richtet Hartmann seine Fragen an Aiwanger - und macht anschließend beim Ministerpräsidenten weiter: "Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder, fühlen Sie sich wohl mit Ihrer Entscheidung in der Causa Aiwanger?" "Durch welche konkreten Aussagen konnte Herr Aiwanger Ihre Zweifel im persönlichen Gespräch ausräumen?" "Empfinden Sie Hubert Aiwangers Auftritte und Äußerungen zu den Vorwürfen in diversen Bierzelten als Reue und Demut?" Während Hartmann den Fragenkatalog vorliest, tippt Söder auf seinem Smartphone.
Antworten gibt es weder vom Ministerpräsidenten, noch von seinem Stellvertreter, denn die Anträge der Opposition, Söder und Aiwanger befragen zu dürfen, hatten die Regierungsparteien zu Beginn der Sitzung angelehnt. "Unwürdig" nennt Hartmann dieses Schweigen.
Von Brunn: "Ein bemerkenswerter Widerspruch"
SPD-Chef Florian von Brunn hält Aiwangers Antworten auf Söders Fragenkatalog für unglaubwürdig. Das Disziplinarverfahren an der Schule soll ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein, gleichzeitig könne sich Aiwanger an fast nichts erinnern - "ein bemerkenswerter Widerspruch", sagt von Brunn. Ähnlich sieht das FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen und spricht den Wirtschaftsminister direkt an: "Ich halte Sie nicht für einen Antisemiten, aber Sie haben sich statt aufzuklären für Leugnen entschieden." Ulrich Singer von der AfD sieht den eigentlichen Skandal darin, dass Aiwangers Lehrer vertrauliche Schulakten weitergegeben habe.
CSU sieht vor allem sich als Kämpfer gegen rechts
Und wie verhält sich die CSU? Tobias Reiß berichtet von Neonazi-Aufmärschen in Wunsiedel in den 80ern - was ihn damals zum Eintritt in die CSU bewogen habe. "Sie dürfen es mir glauben: Es lässt mich nicht kalt, wenn wir heute darüber diskutieren, ob ein Mitglied der bayerischen Staatsregierung in der Jugend eine antisemitische Gesinnung hatte", sagt Reiß.
Der Abgeordnete versucht sich an einem Spagat: Er begrüßt Söders Entscheidung, Aiwanger im Amt zu belassen, und übt doch deutlich Kritik am Koalitionspartner. Die Glaubwürdigkeit habe durch den Umgang Aiwangers gelitten, seine Zurückhaltung sei auch für viele in der CSU irritierend gewesen. In seiner Rede positioniert Reiß dann vor allem seine Partei und Ministerpräsident Söder als "Brandmauer gegen rechts".
Am Ende stellen Grüne und SPD einen Antrag, der Söder auffordert, Aiwanger zu entlassen. Zwar stimmen auch die FDP-Abgeordneten dafür, die Mehrheit von CSU und Freien Wählern lehnt den Antrag jedoch ab. Damit bleiben zwar Fragen offen, parlamentarisch könnte die Causa Aiwanger damit aber erledigt sein - das dürfte gerade der CSU nur recht sein. Die Flugblatt-Affäre hat die Partei und ihren Ministerpräsidenten in Bedrängnis gebracht und den Fortbestand der schwarz-orangen Koalition gefährdet - eine Konstellation, die für die CSU bequemer ist, als jede andere.
Vor dem Landtag: 150 Menschen bei Mahnwache gegen Aiwanger
Offen bleibt, inwieweit die Opposition nun versucht, die Affäre im Wahlkampf weiter zu thematisieren. Das könnte auch davon abhängen, wie sich Aiwangers Zustimmungswerte entwickeln. Zuletzt sah es für ihn in Umfragen gut aus - doch es gibt auch Protest. Während am Donnerstag der Zwischenausschuss tagt, findet am Maxmonument vor dem Landtag eine Mahnwache statt. "Manche haben Erinnerungslücken – doch wir vergessen nicht! Herr Aiwanger, wir sind noch nicht fertig", lautet der Aufruf.
Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der die Mahnwache mitveranstaltet, versteht nicht, warum der Minister noch im Amt ist: "Deutliche Anzeichen für Antisemitismus und [eine] rechtsextreme Vergangenheit sind offenbar kein Problem mehr, um den Freistaat zu repräsentieren." Insgesamt nehmen rund 150 Menschen an der Mahnwache teil.
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