Die Bezahlkarte sorgt für Einschränkungen im Alltag: Inhaber können beispielsweise nur 50 Euro pro Monat und Person abheben.
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Die Bezahlkarte sorgt für Einschränkungen im Alltag: Inhaber können beispielsweise nur 50 Euro pro Monat und Person abheben.

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Bezahlkarte für Asylbewerber: Notwendig oder unfair?

Bezahlkarte für Asylbewerber: Notwendig oder unfair?

Die Bezahlkarte soll verhindern, dass Asylbewerber Geld in die Heimat oder an Schlepper schicken. Sie soll irregulärer Migration entgegenwirken. Nach knapp einem Jahr Praxiserfahrung: Hält die Bezahlkarte, was sich die Politik von ihr verspricht?

Über dieses Thema berichtet: BR24 vor Ort am .

Seitdem Hnin Pwint P. vor vier Jahren nach Deutschland kam, ist viel passiert. Jetzt hat sie einen Minijob, Deutsch gelernt und ist dabei, den Mittelschulabschluss nachzuholen. Die 34-Jährige sagte, sie sei vor der Militärregierung in Myanmar geflohen. Als Ortskraft für eine europäische Hilfsorganisation habe sie Menschen in Dörfern der Kriegsregionen unterstützt. Nachdem sie zweimal vom Militär verhaftet worden sei, sei ihr Leben in dem Bürgerkriegsland nicht mehr sicher.

Jetzt lebt sie mit ihrer dreijährigen Tochter in einer Wohngemeinschaft mit drei anderen Familien aus Myanmar im Berchtesgadener Land. Seit einem halben Jahr bekommt Hnin Pwint P. ihre Asylbewerberleistungen nicht mehr als Bargeld ausgezahlt oder überwiesen, sondern als Guthaben auf die neue Bezahlkarte. Die Bezahlkarte erhalten Asylbewerber mit laufendem Verfahren, geduldete oder ausreisepflichtige Asylsuchende. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten dagegen Bürgergeld.

Als Alleinerziehende hat Hnin Pwint P. nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Anspruch auf 696 Euro im Monat. Der Wohnraum wird in der Regel gestellt. Weil sie einen Minijob als Putzkraft hat, bekommt sie etwas weniger als den Regelbetrag. Das Gehalt wird dann prozentual von den Asylbewerberleistungen abgezogen.

Im Video: Hält die Bezahlkarte, was sich die Politik von ihr verspricht?

Früher ging Hnin Pwint P. für ihre Tochter im Second-Hand-Geschäft einkaufen. Jetzt geht das nicht mehr, da der Shop nur Bargeld akzeptiert.
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Früher ging Hnin Pwint P. für ihre Tochter im Second-Hand-Geschäft einkaufen. Jetzt geht das nicht mehr, da der Shop nur Bargeld akzeptiert.

Das verfügbare Bargeld ist durch die Bezahlkarte auf ein Taschengeld beschränkt. In Bayern können Betroffene nicht mehr als 50 Euro monatlich pro Person bei Banken und Supermärkten abheben. Je nach Behörde funktioniert die Kartenzahlung nur innerhalb des Landkreises. Lastschriften und Überweisungen sind nicht möglich, können aber in Ausnahmefällen über die Behörde vor Ort freigeschaltet werden.

Mehr Kontrolle über die Ausgaben von Asylbewerbern

Der Bayerischen Staatsregierung geht es bei der Bezahlkarte um mehr Kontrolle über die Ausgaben von Asylbewerbern. So will sie verhindern, dass Asylbewerber Geld ins Heimatland etwa an Schleuser und Schlepper schicken und damit die Flucht für Familienangehörige oder Freunde nach Deutschland mitfinanzieren. Asylsuchende sollen Sozialleistungen nur zur eigenen Existenzabsicherung ausgeben, etwa für Lebensmittel im Supermarkt.

Doch Daten, ob Asylbewerber Geld an Schlepper überweisen, gibt es nicht. "Dass das im Einzelfall passiert, das ist natürlich nicht auszuschließen. Aber wenn es um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geht, ist das absolut viel zu wenig Geld, um damit wesentliche Summen an irgendwen zu begleichen", sagt Niklas Harder, Co-Leiter der Abteilung Integration am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (De-ZIM) in Berlin.

Migrationsforschung: Rücküberweisungen mehrheitlich aus Arbeitseinkommen

Das Geld, das ins Ausland fließt, komme nicht primär aus dem Topf für Asylbewerberleistungen. "Wenn man sich da die Höhe anguckt, dann müssen das berufstätige Leute in Deutschland sein. Das sind Summen, die sich nicht aus dem Asylbewerberleistungsgesetz stemmen lassen würden." In dieser Erkenntnis sind sich Forschende am DeZIM, am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) sowie am Deutschen Institut für Wirtschafsforschung (DIW) einig. Laut einer aktuellen Studie des DIW senden 7,5 Prozent der Geflüchteten in Deutschland, sowohl Asylbewerber als auch anerkannte Geflüchtete, Geld ins Ausland – Tendenz sinkend. Der größere Teil der Auslandsüberweisungen kommt von Migranten ohne Fluchthintergrund. Die Studienverfasser haben dazu die jüngsten Zahlen aus 2021 herangezogen.

Innenministerium: "Jeder Euro, der ins Ausland fließt, ist zu viel"

Im Bayerischen Innenministerium ist man anderer Ansicht. "Es hat niemand behauptet, dass diese Summen ausschließlich auf Überweisungen von Asylbewerbern beruhen. Dass aber ein nicht unerheblicher Teil davon von Asylbewerbern stammt, ist offensichtlich", schreibt eine Sprecherin. Jeder Euro aus Asylbewerberleistungen, der ins Ausland abfließe, sei zweckentfremdet.

Viele kleine Beträge lassen sich nicht mit Karte zahlen

Hnin Pwint P. sagt, ihr Alltag sei komplizierter geworden, seitdem sie die Bezahlkarte nutzt. Viele Einkäufe sind seitdem nicht mehr möglich, etwa in Secondhand-Läden, auf Flohmärkten oder in kleineren Geschäften, die nur Bargeld akzeptieren. Über Umwege kommen Asylbewerber inzwischen trotzdem an mehr Bargeld.

Bezahlkarte "erfüllt ihren Zweck"

Jedes Bundesland ist frei darin, zu entscheiden, wie stark es die Möglichkeiten der Karte einschränkt. Aus dem Bayerischen Innenministerium heißt es nach knapp einem Jahr Praxiserfahrung: "Das bayerische Bezahlkartensystem funktioniert hier sehr gut und erfüllt seinen Zweck der Reduzierung des zur Verfügung stehenden Bargelds."

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