Ein Leopard-Kampfpanzer pflügt beim Manöver Quadriga in Litauen durchs Gelände. Die 10. Panzerdivision nahm an dem Manöver teil.
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Ein Leopard-Kampfpanzer pflügt beim Manöver Quadriga in Litauen durchs Gelände. Die 10. Panzerdivision nahm an dem Manöver teil.

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Bundeswehr in der Zeitenwende: "Übergebe Division im Umbruch"

Bundeswehr in der Zeitenwende: "Übergebe Division im Umbruch"

Generalmajor von Butler übergibt nach drei Jahren in Veitshöchheim das Kommando über die 10. Panzerdivision an seinen Nachfolger. Bis 2025 soll der Großverband einsatzbereit sein. Das hat Deutschland der Nato versprochen. Ist das zu schaffen?

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"Zur Geländeorientierung im Norden! Dort eine Schneise. Vermutete Einbruchsstelle des Feindes!" Ortstermin in Litauen: Eine Gruppe Bundeswehrsoldaten empfängt im letzten Tageslicht Befehle. In der Nähe stehen ihre Leopard-Kampfpanzer; verborgen unter Bäumen, getarnt mit Ästen und Moos.

Die Panzerbesatzungen sollen sich bereithalten, "Verteidigungsbereitschaft" herstellen – "bis morgen 06:00 Uhr Charly-Zeit", weist der Zugführer an. Die Einheit soll den erwarteten Angriff verzögern. Solange, bis der Feind an einer bestimmten Linie gestoppt und vernichtet werden kann. "Präsenz zeigen", so laute der Auftrag hier an den östlichen Grenzen des Bündnisgebietes. Und im "Fall der Fälle keinen Zentimeter der Nato herausrücken".

Die Männer gehören zum Panzerbataillon 104 aus Pfreimd in der Oberpfalz. Manöverszenen wie diese: Sie waren prägend für das vergangene halbe Jahr – für den Alltag im Rahmen einer Nato-Mission. Und: nah an dem, was der Auftrag der Einheit im Falle eines Angriffs auf Bündnisgebiet wäre.

Bis hierhin und nicht weiter

Das Bataillon ist Teil der 10. Panzerdivision. Die Division mit ihren mehr als 20.000 Soldatinnen und Soldaten ist zentral in der Bundeswehr der Zeitenwende. Als erste der drei deutschen Heeresdivisionen soll sie der Nato als "einsatzbereit" gemeldet werden, um einen Beitrag zur Verteidigung des Bündnisgebietes zu leisten.

Im kommenden Jahr soll die Division eine "Anfangsbefähigung" dazu haben; so lautet der Fachbegriff – umschrieben ist das Vorhaben mit dem Projekttitel: "Division 25". Die Botschaft, die davon ausgehen soll, lautet: Die Nato-Staaten sind bereit, sich im Falle eines Angriffs beizustehen.

"Division im Umbruch"

Ortswechsel: Balthasar-Neumann-Kaserne, Veitshöchheim. Von hier aus wird die Division befehligt. Neben dem Oberpfälzer Panzerbataillon gehören unter anderem weitere Heereseinheiten in Bayern zu ihr – von Roding über Freyung bis nach Füssen.

Divisionskommandeur Generalmajor Ruprecht von Butler hat zum Gespräch geladen. Er empfängt in einem schmucklosen Konferenzraum. Nach drei Jahren an der Spitze der Division steht für von Butler ein Wechsel auf einen Nato-Posten in Norwegen an. Es ist Zeit, Bilanz zu ziehen; kurz vor der Übergabe an seinen Nachfolger, Generalmajor Jörg See.

Von einem "bestellten Haus" werde man von ihm nichts zu hören bekommen, eröffnet der scheidende Kommandeur. In zu vielen Bereichen sie die Division, die er übergebe "im Umbruch", um den neuen Aufgaben gerecht werden zu können. Enden werde dieser Zustand aber wohl nie, sagt er.

Tempo erst nach russischer Invasion

Diese "Division im Umbruch", ist ein geistiges Kind der Zeitenwende. Denn erst nach der russischen Vollinvasion in der Ukraine nahm das Projekt Fahrt auf.

Das Zieldatum wurde um zwei Jahre nach vorne verlegt. Die ursprünglichen Pläne für eine Heeresreform mit einsatzbereiten Großverbänden – sie stammen aus einer Zeit, als in Berlin noch die große Koalition unter Angela Merkel regierte. Verteidigungspolitik stand damals in den Augen von Kritikern hinten auf der Agenda, trotz aller Versprechen an die Nato. Und jetzt?

"Zu 85 Prozent einsatzbereit"

"Materiell sieht es sehr gut aus", sagt der General. Großgerät wie Kampfpanzer, Schützenpanzer oder Artillerie-Systeme – das sei da. Von Butler ist allerdings nicht der Typ, dem Journalisten heiklere Details erst aus der Nase ziehen müssen.

Er redet Klartext – ahnt womöglich, dass die Fragen sonst gestellt würden und räumt ein, die Einsatzbereitschaft von 85 Prozent, sie gehe zu Lasten der beiden anderen Heeresdivisionen. Dabei ist die Division kein rein deutsches Projekt. Neben der Deutsch-Französischen-Brigade ist auch ein niederländischer Verband integriert.

Große Umstrukturierung

Unter von Butlers Führung durchlief die Division eine Umstrukturierung, um den neuen Aufgaben gerecht werden zu können. Oberstes Ziel: Den gesamten Großverband so zu organisieren, dass er einen bestimmten Raum verteidigen könnte und dafür in den eigenen Reihen die nötigen Fähigkeiten hat. So nennen Militärs etwa Artillerie, die Ziele in weiter Ferne bekämpft; Pioniere, die Brücken über Flüsse bauen oder Logistiker, die Munition und Verpflegung bereitstellen.

Vergleichbar ist das mit einem Handwerksbetrieb: Wenn der Aufträge abwickelt, hilft es wenig, Arbeitskräfte, Werkzeuge und Fuhrpark vom Nachbarbetrieb auszuleihen. Er braucht sie in den eigenen Reihen – sonst kommt er nicht weit.

Auf seine Truppe lässt von Butler dabei nichts kommen. Er lobt Engagement und Leistungsbereitschaft; betont das immer wieder – in diesem, wie auch in vorangegangenen Interviews.

Große Maßstäbe zählen wieder

Das Heer muss – anders als zu Zeiten der Auslandseinsätze – wieder in großen Maßstäben denken und entsprechend üben. Komplexe Manöver: Deshalb ein Schwerpunkt in der jüngeren Vergangenheit. Unter anderem beteiligte sich die Division an der Manöverserie "Quadriga" in Litauen.

Für den General ist dabei genauso wie für Beobachter offenkundig, wo es hakt. Verteidigungspolitikexperte Christian Mölling etwa wird nicht müde zu mahnen, dass es noch immer keinen ausreichenden Schutz gegen Bedrohungen aus der Luft gebe. Der Wiederaufbau der Heeresflugabwehr – er stehe noch am Anfang. Bisher seien die Verbände nicht gegründet, das Personal sei nicht ausgebildet und die bestellten Panzer seien noch nicht da. Dabei sei es die "offensichtliche Realität, dass man sich auf dem Gefechtsfeld vor Bedrohungen aus der Luft – etwa durch Drohnen – schützen muss", so Mölling im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk.

Weichenstellungen der Vergangenheit rächen sich

Die Heeresflugabwehr, aufgelöst vor etwas mehr als zehn Jahren – sie ist nur ein Beispiel. Derartige verteidigungspolitische Weichenstellungen der vergangen zwei Jahrzehnte: heute stellen sie eine Hürde dar für Heeresgeneräle wie Ruprecht von Butler. Er kann nicht aus dem Vollen schöpfen.

Andere bekannte Baustellen: unzureichende Reserven, Funkausstattung und Munition. Um einen Vorrat von 30 Tagen für alle Munitionssorten vorzuhalten, müsste "nachgesteuert" werden, räumt von Butler ein.

Wo steht das Heer nach der Zeitenwende?

Stellt man die Division in den größeren Kontext, so fällt die Bilanz für Christian Mölling von der Bertelsmann Stiftung gemischt aus. Ja, sagt er, seit dem Ausrufen der Zeitenwende sei viel passiert im Hinblick auf den Heeresumbau.

Gleichzeitig kritisiert er das Tempo als schleppend: "Unsere Motivation ist es, einen weiteren Krieg zu verhindern. Und dafür müssen wir ausgestattet sein. Da gibt es keine Minimalgeschwindigkeit, da gibt es nur Maximalgeschwindigkeit und wir sind auf der Zeitachse hinter den Herausforderungen".

Über allem: Finanzierungsfragen

Eine entscheidende Rolle für die 10. Panzerdivision dürfte in den kommenden Jahren finanzielle Sicherheit spielen. Denn jene Heeresbrigade, die Deutschland dauerhaft in Litauen stationieren will, soll einmal der Division unterstehen. Ihre Finanzierung wirft momentan noch Fragen auf.

Ein Porträt des scheidenden Divisionskommandeurs Ruprecht von Butler finden Sie im Podcast der BR24 Reportage. Eine weitere Ausgabe der BR24 Reportage widmet sich den Stationierungsplänen in Litauen.

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