Der Bayerische Verfassungsgerichtshof unter Vorsitz von Hans-Joachim Heßler (M) steht vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal. Das Gericht verkündet die Entscheidung über Klagen gegen das bayerische Polizeiaufgabengesetz.
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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof unter Vorsitz von Hans-Joachim Heßler (M) steht vor der Urteilsverkündung im Gerichtssaal.

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Polizeigesetz: Richter machen Vorgaben für "drohende Gefahr"

Polizeigesetz: Richter machen Vorgaben für "drohende Gefahr"

Bayerns Polizei darf nur unter bestimmten Bedingungen schon bei "drohender Gefahr" einschreiten: Der Bayerische Verfassungsgerichtshof bestätigt zwar die "Generalklausel" im Polizeiaufgabengesetz, macht aber klare Vorgaben.

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Entscheidung nach jahrelangen Debatten: Die sogenannte Generalklausel im Polizeiaufgabengesetz (PAG) ist laut Bayerischem Verfassungsgerichtshof zwar zulässig – allerdings nur mit Einschränkungen. Kernfrage war, ob eine "drohende Gefahr" bereits ausreichend ist, um der Polizei weitreichendere Befugnisse zur Verhinderung möglicher Straftaten zu geben. Gerichtspräsident Hans-Joachim Heßler sagte in München, die Klausel entspreche "nur in einer bestimmten Auslegung" der Bayerischen Verfassung.

Zu berücksichtigen seien drei Maßgaben: Wolle die Polizei aktiv werden, weil "in absehbarer Zeit Angriffe von erheblicher Intensität oder Auswirkung zu erwarten sind", wie es im Artikel 11a des Gesetzes heißt, müsse es sich um "terroristische oder vergleichbare Angriffe auf bedeutende Rechtsgüter" handeln. Schwerste Grundrechtseingriffe dürften allenfalls für eine Übergangszeit bei neuartigen Gefährdungslagen auf die Klausel gestützt werden. Auch kämen nur Maßnahmen in Frage, "die nicht tief in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen".

SPD: In der Praxis wird es noch komplizierter

Geklagt hatten Grüne und SPD, zudem gab es eine Popularklage von knapp zwei Dutzend Antragstellern. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Horst Arnold, sagte dem BR, die Anwendung der Generalklausel werde durch die Entscheidung für die Praxis nicht einfacher, sondern komplizierter.

Das Gericht habe für die "drohende Gefahr" Leitplanken eingezogen, die aus einer sechsspurigen Autobahn eine einfache Landstraße gemacht hätten, die schwer befahrbar sei. "Bei schweren Straftaten geht es, bei weniger schweren Straftaten oder gravierenden Rechtsgüter-Eingriffen geht es nicht." Jetzt müssten Polizisten die drohende Gefahr verfassungskonform auslegen. "Und es ist schon sehr viel verlangt." Über einzelne Befugnisse, die an die Generalklausel ankünpfen, hätten die Verfassungsrichter allerdings noch nicht entschieden. Das bedeute: "Die Verfahren laufen weiter."

Grüne sprechen von wichtigem Teilerfolg

Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze sprach von einem "guter Tag" für die Bürgerinnen und Bürger in Bayern. "Dieses Urteil stärkt ihre Grundrechte und schiebt der bürgerrechtsfeindlichen Politik der CSU einen Riegel vor." Für die Grünen sei die Entscheidung ein Erfolg, für Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Niederlage.

Der Innenexperte der Grünen-Fraktion, Florian Siekmann, betonte, der CSU-Versuch, schwerste Grundrechtseingriffe zu ermöglichen, sei gescheitert. Auf die "drohende Gefahr" dürfe sich die Polizei nur noch in einem sehr schmalen Anwendungsbereich berufen. Nötig sei nun eine bürgerrechtskonforme Neufassung der Generalklausel.

Innenminister Herrmann sieht sich bestätigt

Dagegen sieht sich Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in seiner Haltung bestätigt: "Der Verfassungsgerichtshof hat die Kritik an der 'drohenden Gefahr' zurückgewiesen und sie damit im Bayerischen Polizeirecht etabliert." Damit gebe es nun Rechtsklarheit für die Polizei und die Bürgerinnen und Bürger. "So kann die Polizei Gefahren effektiv abwehren, unsere Sicherheit gewährleisten und gleichzeitig unsere Freiheitsrechte schützen."

Der Verfassungsgerichtshof habe Hinweise zur Auslegung der Vorschrift gemacht, "die wir begrüßen". Für Herrmann ist die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ein wichtiger Schritt, um die seit Jahren andauernden Diskussionen um das PAG zu beenden.

Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Michael Hoffmann, betonte: "Das PAG bleibt damit ein kraftvolles und notwendiges Instrument für unsere Polizistinnen und Polizisten." SPD und Grünen warf er vor, sich bei den Protesten 2018 mit "teils verfassungsfeindlichen, extremistischen Protestgruppen" gemein gemacht zu haben. "Sie haben Verunsicherung in der Bevölkerung und Misstrauen gegenüber der Bayerischen Polizei gesät."

Polizeigewerkschaft: Schafft Rechtssicherheit

Auch die Deutsche Polizeigesellschaft begrüßte die Entscheidung. "Dadurch wird Rechtssicherheit für die Polizeiarbeit geschaffen", sagte Vize-Landeschef Thorsten Grimm. "Gerade in Zeiten zunehmender Bedrohung durch Extremismus, Terrorismus oder schwere Gewaltdelikte ist es notwendig, dass die Polizei über das 'juristische Handwerkszeug' verfügt, um frühzeitig notwendige Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhaltes und zur Verhinderung der Entstehung einer konkreten Gefahr treffen zu können."

Die "drohende Gefahr" sei kein schwammiger Rechtsbegriff, sondern schließe die Lücke zwischen bloßer Gefahrenvermutung und einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr. "Warten zu müssen, bis eine Straftat unmittelbar bevorsteht, wäre unverantwortlich. Auch die zu schützenden Rechtsgüter sind hinreichend bestimmt."

PAG seit Jahren umstritten

Das Polizeiaufgabengesetz ist seit Jahren ein Streitthema in Bayern, gegen dessen Verschärfungen vor einigen Jahren teils Zehntausende Menschen demonstriert hatten. Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sind dazu noch zwei weitere Verfassungsbeschwerden und eine Normenkontrollklage anhängig. Wann dort entschieden wird, ist unklar.

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