Ein Auto steht bis zur Frontscheibe in den Fluten, ein Mann steht hilflos ein paar Meter davon entfernt. Die Mindel hat das Wohngebiet Anfang 2024 zu großen Teilen überschwemmt.
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Ein Mann Anfang Juni 2024 in einem vom Hochwasser der Mindel überschwemmten Wohngebiet.

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Hochwasseropfer: Wenn der Albtraum nicht mehr endet

Hochwasseropfer: Wenn der Albtraum nicht mehr endet

Das Wasser ist verschwunden, der Müll beseitigt. Ein halbes Jahr ist seit der Überschwemmungskatastrophe in Bayern vergangen – dennoch leiden viele Betroffene noch immer psychisch unter der Ausnahmesituation.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

"Als das Wasser weg war, kam überall der Schimmel", berichtet ein älterer Herr. Die Feuchtigkeit stecke noch immer in den Wänden seines Hauses. Obwohl er selbst im Rollstuhl sitzt, habe er in den vergangenen Monaten bis zur Erschöpfung gearbeitet, damit alles wieder so wird wie früher. "Das Schlimme war, dass keiner in der Nachbarschaft und von unseren Bekannten im Dorf Hilfe angeboten hatte. Wir fühlten uns alleingelassen", erzählt seine Frau. Eine Situation, die fatale Folgen haben kann.

Leben nicht mehr unter Kontrolle

Aus dem Leid könne sich ein Trauma entwickeln, sagt Psychotherapeut Volker Dittmar. Etwa 50 Zuhörer sind auf Einladung der Caritas ins Bezirkskrankenhaus Günzburg gekommen, wo es unter Anleitung des Psychotherapeuten sowohl für Caritas-Fachberater als auch Betroffene einen Austausch gibt - hier, in einer der am stärksten betroffenen Regionen, als es in Bayern im Juni zu einem Hochwasser in einem bisher nie gekannten Ausmaß kam.

Seitdem kümmert sich die Caritas intensiv um die Betroffenen, hat Beratungs- und Hilfsangebote organisiert. Und auch jetzt, fast ein halbes Jahr später, gibt es an diesem Tag ein Angebot zum Thema: "Hochwasser - Wo bleibt die Seele?"

"Wir haben eine Grundüberzeugung, dass unsere Welt sicher, gut und sinnvoll ist. All das wird wie durch einen Blitz erschüttert", sagt der Psychotherapeut. Halte die Situation länger an, fühle man sich ausgeliefert, weil man seine Welt nicht mehr unter Kontrolle hat.

An etwas Schönes denken

Psychotherapeut Dittmar rät, die Dauerspirale negativer Emotionen zu durchbrechen. Er wolle ein Unglück keineswegs kleinreden, aber es werde nicht besser, sich ständig damit zu beschäftigen. "Das Gute an unserem Gehirn ist, dass wir uns immer nur mit einem Gedanken befassen können. Wir müssen an etwas anderes denken", so Dittmar.

Die Anwesenden im Saal haben die Augen geschlossen und stellen sich einen Ort vor, an dem sie sich wohlfühlen, wie eine schöne Wiese mit Teich an einem sonnigen Sommertag. Was sich vielleicht merkwürdig anhört, scheint beim Publikum zu funktionieren. Einige berichten, sich deutlich gelöster zu fühlen. "Es geht darum, mich bei innerer Aufregung oder Verzweiflung selbst zu beruhigen", sagt Dittmar.

Träume positiv lenken

Der Therapeut erklärt auch, wie man Albträume verändert. Man muss sie aufschreiben und sich dann ein anderes Ende überlegen. Die neue Variante sollte man dreimal am Tag lesen, einmal vor dem Schlafengehen. "Es geht darum, neue Bilder in unserem Kopf zu erzeugen und die alten kleiner werden und verschwinden zu lassen", so Dittmar.

Grundsätzlich sei es gut, schnell in den normalen Alltag wie die Arbeit zurückzukehren, um Hochwasserschäden nicht den ganzen Tag sehen zu müssen. Allerdings sollte man diese auch möglichst selbst wegräumen, dann gehe es einem grundsätzlich besser, weil man die eigene Wirksamkeit erlebe, rät der Therapeut. Wird die Belastung allerdings zu groß, dürfe man nicht ewig zögern, professionelle Hilfe anzunehmen. Sonst könne über die Zeit hinweg ein Trauma entstehen, das oft einhergeht mit Angst- und Suchterkrankungen oder Depressionen.

Schnelle Hilfe am Telefon

Unterstützung bieten die Krisendienste Bayern (externer Link). Das Angebot ist unter der 0800 / 655 3000 kostenlos zu erreichen. Menschen in seelischen Krisen, aber auch ihre Angehörigen bekommen hier rund um die Uhr Beratung und können sich auch anonym melden. Wenn nötig, kommt ein mobiles Einsatzteam vor Ort, gemeinsam werden dann Wege aus der Krise gesucht, sagt Victoria Kramer vom Krisendienst Schwaben. "Leider nehmen gerade ältere Menschen unser Angebot noch zu selten wahr", ist ihrer Beobachtung. Diese würden häufig sagen: "Das halte ich schon irgendwie aus."

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