Ein CSU-Ortsverband schickt zu Ostern und Weihnachten Post an die "lieben CSU-Mitglieder, lieben Mitbürger:innen". Ein weiterer Ortsverband berichtet über die "stolzen Gewinnern:innen" eines Wettbewerbs. Anderswo werden CSU-"Kandidat*innen" nominiert, ein CSU-Kreisverband informiert über Erlebnisse von "Teilnehmer:innen" einer Exkursion. Schaut man sich auf CSU-Internetseiten um, findet man ohne allzu große Mühe eine Reihe von Beispielen für die Verwendung von Gendersprache, wenn auch bei regionalen Untergliederungen.
- Zum Artikel: "Bayern beschließt Verbot von Gendersprache"
So sehr Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag auch vor einer "ideologiegetriebenen" Sprache warnte, die "Diskursräume" einenge und eine ausgrenzende Wirkung habe: Die CSU darf auch nach dem Inkrafttreten des bayerischen Genderverbots am 1. April im Grunde schreiben wie sie will - und die CSU-Seiten können bleiben, wie sie sind. Denn die vom Kabinett beschlossenen Vorgaben beziehen sich auf die staatliche Verwaltung, auf Schulen und Hochschulen. Dort gilt dann: Schluss mit Gendersternchen, -doppelpunkten, Gendergap und Co.
Keine Gendersternchen mehr auf Schul-Webseiten
Laut Staatskanzleichef Herrmann müssen dann die Schulen im Freistaat in "jeglicher Form von schriftlicher Kommunikation" das Genderverbot umsetzen: in Unterrichtsmaterialien, Elternbriefen, Jahresberichten und auch auf Internetseiten.
Der Schulleiter des Dürer-Gymnasiums in Nürnberg, Reiner Geißdörfer, beispielsweise verwendet nach eigenen Angaben Gendersternchen gerne in Elternbriefen oder auf der Internetseite der Schule. "Weil es auch praktisch ist", sagt er dem BR. Über die Zeit sind viele Gendersternchen zusammengekommen: "Auf der Website wird es schon einiges sein", erläutert der Schulleiter. Alles durchzuschauen und zu verbessern werde durchaus mit Arbeit verbunden sein: "Da sind wir schon bei ein paar Stunden, die man da investieren muss."
Auch auf Ministeriumsseiten vereinzelt Genderschreibweisen
Auch auf die eine oder andere staatliche Behörde könnte solche Fleißarbeit zukommen: die Suche nach den unzulässigen "mehrgeschlechtlichen Schreibweisen durch Wortbinnenzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt, Gender-Gap oder Mediopunkt", wie es das Innenministerium formuliert.
Das Kultusministerium beispielsweise verwendet auf seiner Internetseite zwar ganz überwiegend Paarformen (Schülerinnen und Schüler), vereinzelt ist aber auch mal von "Museumspädagog_innen", "Schüler*innen", "ModeratorInnen" die Rede. Und das Wissenschaftsministerium informiert "NutzerInnen" seiner Social-Media-Kanäle über den Datenschutz und "TeilnehmerInnen" von Gewinnspielen über die Ermittlung von "GewinnerInnen".
"... von Markus Söder eins auf den Deckel kriegen"
Den stellvertretenden Grünen-Landtagsfraktionschef Johannes Becher überrascht es nicht, dass auch in bayerischen Ministerien zuweilen gegendert wird. "Es gibt zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Verwaltung, denen eine sensible Sprache halt wichtig ist und die das einfach anwenden", sagt Becher dem BR. Etwas Mitgefühl hat der Grünen-Politiker für gendernde Christsoziale: "Die müssen natürlich befürchten, dass sie von Markus Söder eins auf den Deckel kriegen."
Ein CSU-Sprecher lässt auf BR-Anfrage offen, wie die Partei mit Gendersternchen auf ihren Seiten umgehen will. Er stellt aber klar: "Die CSU hat eine klare Haltung zum Gendern: Wir lehnen ideologische Kunstformen ab." Dazu gebe es auch Beschlüsse des CSU-Parteitags. "Alle Parteiverbände und Gruppierungen sind dazu angehalten, diese umzusetzen."
Von Warnungen vor Gender-Zwang zum Verbot
Tatsächlich hat das jetzt beschlossene Verbot eine lange Vorgeschichte. Welches Potenzial das Thema Gendern an der Basis hat, hatte die CSU-Spitze schon vor zweieinhalb Jahren entdeckt. Wo auch immer Parteichef Söder im Bundestagswahlkampf 2021 vor einem "Gender-Zwang" warnte, tobte der Saal. Auf dem Parteitag im September 2021 rief er unter lautem Jubel, die CSU akzeptiere keine "Gender-Strafzettel", Bayern sei ein Freistaat "und kein Umerziehungsstaat". Für einen Anti-Gender-Antrag der Jungen Union ("Keine Sprachvorschrift von oben!") stimmten 96 Prozent der Delegierten - mehr als für Söders Wiederwahl (87,6 Prozent).
Kurz darauf beauftragte Ministerpräsident Söder das Wissenschaftsministerium, die Sprach-Leitlinien der bayerischen Hochschulen daraufhin zu überprüfen, ob es eine Pflicht zum Gendern gebe. Konkrete Fälle für eine Benachteiligung von Studenten, die nicht gendern, wurden dem Ministerium damals zwar nicht bekannt. Das Thema Gendersprache blieb aber ein CSU-Dauerbrenner - ob im bayerischen Landtagswahlkampf oder auch danach. In seiner Regierungserklärung Anfang Dezember kündigte Söder schließlich das Verbot von Gendersprache in Bayern an, das diese Woche vom schwarz-orangen Kabinett besiegelt wurde.
Kehrtwende der Freien Wähler
Als die CSU 2021 das Gendern zum Wahlkampfschlager machte, waren Hubert Aiwangers Freie Wähler noch mit einem konsequent durchgegenderten Bundestagswahlprogramm auf Stimmenfang: "Wir Freie Wähler stehen für eine Politik, die sich für die Bürger*innen einsetzt", hieß es gleich zu Beginn. Insgesamt fanden sich 306 Gendersterne auf 128 Seiten Wahlprogramm. Die Kehrtwende der Freien Wähler folgte wenige Monate später, als auf einem Bundesparteitag ein Verzicht auf Gendersprache beschlossen wurde.
Im Landtagswahlkampf 2023 schrieben sich neben der CSU auch die FW den Kampf gegen einen angeblich drohenden Gender-Zwang auf die Fahnen. "Kein bewusstes Eingreifen in unsere Sprache, kein Gender-Zwang durch Arbeitgeber, Behörden, Universitäten", hieß es im FW-Wahlprogramm. Landes- und Bundeschef Aiwanger präsentiert sich seit Monaten als Kämpfer gegen "links-grünen Gender-Gaga". In den sozialen Medien schrieb er im vergangenen Jahr beispielsweise: Eine "normale Welt" sei eine Welt, "wo man normal ohne Gendern spricht".
"Verbotspartei CSU"
Für Grünen-Fraktionsvize Becher ist das Genderverbot "komplett lächerlich". Er plädiert dafür, die Leute reden und schreiben zu lassen, wie sie wollen. "Wir haben in Bayern so viele wichtige Themen und Probleme, die es anzupacken gilt, und stattdessen muss man sich mit so einem populistischen Schmarrn beschäftigen."
Sein Parteifreund Florian Siekmann beklagte auf "X" einen "armseligen Kulturkampf" der CSU. Bayern sei ein Freistaat, jede Person solle frei übers Gendern entscheiden können. "Der Verbotswahn der CSU nützt niemandem." Mit Blick auf den oft formulierten CSU-Vorwurf, die Grünen seien eine Verbotspartei, schrieb SPD-Landeschefin Ronja Endres: "Sprachverbote in Bayern. Die Verbotspartei CSU hat mal wieder zugeschlagen."
Staatskanzleichef schließt Umdenken nicht aus
Staatskanzleichef Herrmann begründete die Entscheidung des Kabinetts dagegen mit dem Bestreben, "Maß und Mitte" zu halten. Sprache müsse klar und verständlich sein. Es gebe verschiedene Möglichkeiten, geschlechtergerecht zu sprechen, "ohne dass ich dafür Sonderzeichen verwenden muss". Zugleich verwies der CSU-Politiker darauf, dass diese Linie auch den Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung entspreche.
Allerdings soll das Verbot laut Staatskanzlei "unabhängig von etwaigen künftigen Entscheidungen des Rates für deutsche Rechtschreibung zu der Frage der Verwendung von Sonderzeichen" gelten. Sollte es also eine neue Empfehlung des Rechtschreibrats geben, würde es in Bayern trotzdem beim Genderverbot bleiben. Vorerst zumindest.
Es sei klar, dass sich Sprache immer weiterentwickle und an gesellschaftliche Realitäten anpasse, sagte Herrmann. So empfinde beispielsweise heute niemand mehr das generische Maskulinum als normalen Standard. Für die Zukunft schließt er daher ein Umdenken der CSU nicht aus: "Wenn man in fünf Jahren, in zehn Jahren über die Dinge sich wieder neu unterhält, dann wird man sehen."
Im Video: Kabinett beschließt Genderverbot
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