Die Diskussion um eine Arbeitspflicht für Asylbewerber geht weiter. Nach dem Vorschlag von Reinhard Sager (CDU), Präsident des Deutschen Landkreistages, sollen Geflüchtete, die noch im Anerkennungsverfahren sind, künftig nicht mehr ausschließlich zu gemeinnütziger Arbeit für 80 Cent pro Stunde verpflichtet werden können, sondern auch zu regulärer Arbeit. Sager will dafür die Gesetze ändern, wonach Asylbewerber oft erst nach neun oder 15 Monaten arbeiten dürfen.
Hauptargument des Landkreistagspräsidenten: Statt gemeinnütziger "Beschäftigungstherapie" (zum Beispiel einfache Arbeiten in öffentlichen Grünanlagen oder in karitativen Einrichtungen) sollten Asylbewerber reguläre Jobs in Unternehmen annehmen, die händeringend Personal suchten - zum Beispiel in der Gastronomie. Damit würde der Staat schneller von Sozialleistungen an Flüchtlinge entlastet, was die Gesellschaft auch erwarte. Die Reaktionen aus Bayern sind gemischt - nicht alle sehen darin eine Möglichkeit, Geflüchtete nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
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Befürworter der Arbeitspflicht sehen Turbo für Integration
Unterstützung findet Sager unter anderem bei Tanja Schweiger (Freie Wähler), Landrätin aus Regensburg. Sie sei uneingeschränkt für eine Arbeitspflicht von Asylbewerbern, teilte sie BR24 mit: "Erste Priorität muss meines Erachtens eine Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt haben. Diese hat einen Mehrwert für Gesellschaft und Wirtschaft, und diese wird von den Betrieben finanziert." Im Gegensatz zur gemeinnützigen Arbeit, die überwiegend aus öffentlichen Kassen bezahlt wird. Das hält Schweiger für "grundsätzlich problematisch und auch für zu bürokratisch."
Jens Marco Scherf (Bündnis 90/Die Grünen), Landrat von Miltenberg am Main, hält den Vorschlag des Deutschen Landkreistages ebenfalls für richtig: "Je schneller Geflüchtete mit einer Aufenthaltsperspektive in Arbeit kommen, umso besser gelingt deren berufliche, sprachliche und gesellschaftliche Akzeptanz." Das aktuelle Prozedere aus Warten, Integrationskursen und anschließender beruflicher Integration ist aus seiner Sicht zu schwerfällig, die aktuellen Flüchtlingszahlen seien dafür zu hoch.
Scherf: Gemeinnützige Angebote nicht ausbauen
Die Arbeitspflicht nur auf gemeinnützige Jobs zu beschränken und diese Angebote auszubauen, wie es Innenminister Joachim Herrmann (CSU) fordert, hält Scherf für falsch: "Hier befürchte ich, dass die Organisation und Betreuung wieder an den Gemeinden und Kreisverwaltungen hängen bleibt - wir aber, ebenso wie die ehrenamtlichen Strukturen, bereits heillos überfordert sind."
Vor personellen Überlastungen warnt auch Landrat Thomas Eberth (CSU) aus Würzburg. Er gibt gegenüber BR24 zu bedenken, "dass jeder Lösungsansatz auch umgesetzt werden muss, sei es auf ehrenamtlicher oder auch auf Verwaltungsebene." Auch Eberth plädiert für eine schnelle und effiziente Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt – unabhängig von Flüchtlingsstatus und Bleibeperspektive. In diesem Punkt widerspricht ihm Landrat Scherf, für den eine Arbeitspflicht für Asylbewerber ohne Bleibeperspektive (sprich: Erfolgsaussichten im Asylverfahren) eher keinen Sinn machen würde.
Karmasin sieht falsche Anreize für Geflüchtete
In einigen bayerischen Landkreisen wird die von Reinhard Sager geforderte Arbeitspflicht eher kritisch betrachtet: Der Präsident des Bayerischen Landkreistags und Landrat von Fürstenfeldbruck, Thomas Karmasin (CSU), befürchtet, dass dadurch Menschen zusätzlich motiviert würden, nach Deutschland zu kommen, weil sie dann auch schneller Geld nach Hause schicken könnten.
Martin Sailer (CSU), Landrat aus Augsburg, sieht dies ähnlich: "Der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt für alle Geflüchteten wäre aus meiner Sicht ein weiterer Anreiz dafür, dass sich Fliehende Deutschland als Fluchtzielland aussuchen." Auch könnten Ausreisepflichtige schwerer abgeschoben werden, wenn sich die Person bereits gut in der Gesellschaft integriert hat.
Sailer: Lieber schrittweise Integration in den Arbeitsmarkt
Sailer plädiert dafür, dass der Fokus auf Geflüchteten mit Bleibeperspektive liegen sollte und diese umfassend gefördert werden sollten. So könnten sie ihren Qualifikationen entsprechend schrittweise in den Arbeitsmarkt integriert werden. Das allgemeine Problem sei aber auch hier der Personalmangel in den Behörden, was die Verfahren nicht beschleunige.
Die Landkreise Garmisch-Partenkirchen und München wollten den Vorstoß vom Deutschen Landkreistag nicht kommentieren. Sie sehen aber die 80-Cent-Jobs für Asylbewerber als zielführend: "Im besten Fall öffnet eine gemeinnützige Tätigkeit später die Tür in ein reguläres Arbeitsverhältnis", so der Münchner Landrat Christoph Göbel (CSU).
Personalmangel: Unternehmen begrüßen Arbeitspflicht
Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA, begrüßt die Idee, dass Asylbewerberinnen und Asylbewerber über eine Arbeitspflicht dort Jobs finden, wo Mangel herrscht: "Die Hotel- und Gaststättenbranche kann jeden brauchen, auch Menschen mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen können hier unterkommen." Er nennt zum Beispiel Köche und Spüler. Das sei Integration in den Arbeitsmarkt und nicht in die Sozialsysteme.
Auch die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) steht Arbeitserleichterungen für Flüchtlinge, die auch mit einer Arbeitspflicht einhergehen können, positiv gegenüber. Das generelle Problem bestehe ja bislang darin, dass die meisten Asylbewerberinnen und Asylbewerber sowie Geduldete oft keine Arbeitserlaubnis bekämen oder lange darauf warten müssten.
Der Bedarf an Arbeitskräften in allen Branchen sei weiterhin sehr hoch, teilt die IHK auf BR24-Anfrage mit. Doch die Sprachkenntnisse sollten dabei nicht vernachlässigt werden: "Eine zentrale Forderung der IHK München ist seit 2015, dass die Integration von Flüchtlingen am besten über die Erwerbstätigkeit und das Erlernen der deutschen Sprache funktioniert." Das Angebot an Sprachkursen müsse daher weiterhin ausgebaut werden und mit der Erwerbstätigkeit kombinierbar sein - zum Beispiel Deutschkurse während der Arbeitszeit.
Flüchtlingsvertreter: Mit Zwang in den Billiglohnsektor
Mitra Sharifi-Neystanak, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns (AGABY), lehnt den Begriff einer "Arbeitspflicht" entschieden ab. Mit diesem Narrativ werde suggeriert, dass man Asylbewerberinnen und Asylbewerber zur Arbeit zwingen müsse - für den Bayerischen Flüchtlingsrat eine "rassistische Scheindebatte". Sharifi-Neystanak betont demgegenüber in BR24: "Geflüchtete wollen arbeiten".
Statt mit Zwang schnell in den Arbeitsmarkt gedrängt zu werden, sollten die Voraussetzungen für eine gute Berufswahl gefördert werden. Am wichtigsten sei das Erlernen der Sprache: Viele Flüchtende könnten aufgrund von Sprachmängeln nicht in ihren eigentlichen Berufen arbeiten. Wenn sie dann im Billiglohnsektor "geparkt" würden, ohne die Möglichkeit, sich sprachlich oder beruflich weiterzubilden, sei das nicht zielführend für die Integration.
Auch der Bayerische Flüchtlingsrat kritisiert eine "Arbeitspflicht", wie Sager sie fordert: "Eine Politik, die diesen prekären Niedriglohnsektor befeuert, indem sie Menschen in diese Beschäftigungsverhältnisse zwingt, ist vollkommen fehlgeleitet", sagt Katharina Grote vom Flüchtlingsrat. Dass Geflüchtete so schwer in den Arbeitsmarkt gelangten, liege vielmehr an Arbeitsverboten und langen Erlaubnisverfahren von Seiten der Ausländerbehörden und am unzureichenden Angebot an Sprachkursen.
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