Montag, 13 Uhr in Dachau. Barbara Niedermeier sitzt in ihrem Büro im Pfarrverband Sankt Jakob und schreibt an einer Predigt für eine anstehende Beerdigung. Eigentlich ein normaler Arbeitstag für die Gemeindereferentin, wäre da nicht die neongelbe Arbeitsjacke, die über ihrer Stuhllehne hängt. Notfallseelsorge steht in großen Buchstaben auf dem Rücken geschrieben.
Einsatz in Extremsituationen
Barbara Niedermeier hat Bereitschaftsdienst als Notfallseelsorgerin. Das heißt: Die Leitstellen von Einsatzkräften und Rettungsdiensten informieren sie, beispielsweise nach schweren Unfällen, Gewalttaten oder plötzlichen Todesfällen. Niedermeier kümmert sich um die, die zurückbleiben. Sobald das Handy, das vor ihr auf dem Schreibtisch liegt, klingelt, fährt sie los.
Dort, wo sie hinkommt, befinden sich die Menschen oft in Extremsituationen. Die meisten würden ihr erst einmal erzählen, was passiert ist, sagt Niedermeier. "Das tut ihnen gut." So merke sie auch schnell, ob die jeweilige Person ein soziales Netzwerk habe, ob es Angehörige oder Kinder gebe. "Wenn da gar nichts kommt, dann frage ich die Betroffenen: Gibt es jemanden, den sie gerne bei sich hätten?"
Dreimal am Tag schrillt der Alarm in München
171 Einsätze gab es letztes Jahr im Landkreis Dachau, abgedeckt wurden sie von der Ökumenischen Notfallseelsorge und dem Kriseninterventionsdienst des Bayerischen Roten Kreuzes. Beide leisten psychosoziale Notfallversorgung und teilen sich die Bereitschaftszeiten auf.
In München dagegen gibt es rund 1.000 Einsätze pro Jahr, der Alarm schrillt hier knapp dreimal am Tag. Damit das versorgt werden kann, sind feste Kriseninterventionsdienste dauerhaft auf der Straße. Trotzdem kann es vorkommen, dass zusätzliche Unterstützung notwendig ist, erklärt Pastoralreferent und Notfallseelsorger Gerhard Wastl – wie am 13. Februar.
MANV-Alarm: "Es war gleich klar, da ist was Größeres passiert."
An diesem Donnerstag ploppt bei ihm ein Alarm auf dem Handy auf: MANV. "Das ist ein Stichwort, das Mediziner und Sanitäter gleich verstehen: Massenanfall von Verletzten. Es war also gleich klar, da ist was Größeres passiert."
Wastl fährt zum Münchner Stiglmaierplatz. Dort war kurz zuvor ein Auto in das Ende einer Demonstration gefahren. Ein Anschlag, bei dem fast 40 Menschen verletzt wurden, zwei von ihnen starben später im Krankenhaus.
Ziel als Notfallseelsorger: Menschen zu stabilisieren
Sein erster Einsatzort ist die Zeugensammelstelle im Löwenbräukeller. "Da hat die Polizei alle Menschen gesammelt, die in der Nähe waren, die Augenzeugen waren, darunter auch Leichtverletzte. Alle die, die wo man meint, die müsse man betreuen", sagt Wastl. Mit ihnen versucht er ins Gespräch zu kommen und sie zu stabilisieren.
Das sei das Ziel, so der Notfallseelsorger, dass "am Ende des Gesprächs ein Mensch ein Stückweit mehr bei sich angekommen ist, stabiler ist. Ein früherer Lehrer hat mal gesagt: Wir trösten nicht, wir stabilisieren."
Sein Einsatz endet nicht an dem Tag. Beim Gedenkgottesdienst ist Gerhard Wastl in seiner Notfallseelsorgerjacke unterwegs, ein paar Tage später besucht er Mitglieder von Verdi, die den Anschlag miterlebt haben.
Bedarf an Notfallseelsorge nimmt zu
Der Bedarf an Notfallseelsorge nimmt zu, diesen Eindruck hat auch Timo Grünbacher, der die Notfallseelsorge in der Erzdiözese München und Freising leitet. Ein Grund sei, "dass bei den Einsatzkräften, die uns ja alarmieren, dieser Dienst immer stärker bekannt wird und auch immer stärker geschätzt wird." Denn das, was die Notfallseelsorge macht, können Einsatzkräfte nicht leisten: seelsorgerische Unterstützung zu geben.
In Dachau bei Barbara Niedermeier bleibt es heute allerdings ruhig. Ihre Bereitschaftsschicht geht ohne große Vorkommnisse zu Ende.
Wenn Sie etwas erlebt haben, mit dem Sie nicht allein zurechtkommen und darüber sprechen wollen, können Sie sich jederzeit an die Telefonseelsorge oder an die Krisen- und Lebensberatung "Münchner Insel" wenden. Beratung erhalten Sie unter der kostenlosen Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222.
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