Achter Verhandlungstag im Prozess um den Tod eines Mädchens im Kinderheim in Wunsiedel: Am Montagvormittag hat der Sachverständige Dr. Thomas Wenske im Landgericht Hof Einblicke in die Vita und das emotionale Verhalten des 26-jährigen Angeklagten gegeben. In seinem psychiatrischen Gutachten sah der Sachverständige in der Vorgeschichte des Mannes zwar einige Anzeichen für dissoziales Verhalten, allerdings keine diagnostizierbaren psychischen Störungen. Aus Sicht des Sachverständigen ist der Angeklagte deshalb voll schuldfähig.
- Zum Artikel: Kinderheime: "Es gibt Situationen, da is keiner vorbereitet"
Sachverständiger: Angeklagter aus "schwierigen Verhältnissen"
Der Angeklagte habe seit dem Kleinkindalter in schwierigen Verhältnissen gelebt: Er war bereits mit drei Jahren ins Kinder- und Jugendhilfezentrum in Wunsiedel gekommen, nachdem er eigenen Angaben nach auch Gewaltausbrüche des Vaters gegen die Mutter erlebt hatte. Im Alter von etwa neun bis zehn Jahren hat sich sein leiblicher Vater das Leben genommen, 2019 beging auch der Bruder Suizid. Dieser war zeitweise mit ihm im Kinderheim in Wunsiedel untergebracht und galt laut des Gutachters als wichtigste Bezugsperson für den Angeklagten.
Insgesamt sei die Kindheit des Angeklagten von einem häufigen Wechsel zwischen Heimen, Pflegefamilien und Psychiatrien geprägt gewesen. Dadurch sei es für ihn nie möglich gewesen, tiefere und vertrauensvolle Verbindungen einzugehen. Er habe nicht die Chance gehabt, ein "Urvertrauen" zu entwickeln. Als Erwachsener habe der heute 26-Jährige dann aber "die Kurve gekriegt" und sich ein eigenständiges Leben aufgebaut.
Kauf und Ausbau des Hauses überforderten Angeklagten finanziell
Er habe eine Ausbildung bei einer Bäckerei in Selb begonnen, später dann bei einer Großbäckerei in der Oberpfalz als eigenen Angaben nach Jahrgangsbester abgeschlossen. Schließlich habe er als Müllwerker beim Kommunalunternehmen Fichtelgebirge (Kufi) sogar eine Festanstellung im öffentlichen Dienst erreicht. Der Kauf und Ausbau eines Hauses hätten ihn und seine Lebensgefährtin dann aber finanziell überfordert: Eigenen Schätzungen zufolge betragen die Schulden des Angeklagten etwa 210.000 Euro.
Hinsichtlich der Sexualität des Mannes attestierte ihm der Gutachter eine gewisse Neigung zu sadomasochistischen Fantasien, die sich der Angeklagte gegenüber seiner Lebensgefährtin nicht anzusprechen getraut hatte. Als Nebenströmung sei zudem auch eine gewisse Neigung zu Pädophilie erkennbar. Beides sei bisher nicht stark genug ausgeprägt, um als alleinige Motivation ein tatsächliches Handeln auszulösen. In einer Situation, wie sie nach bisherigen Erkenntnissen in der Tatnacht vorgelegen haben soll, können die Neigungen jedoch ein Handeln auslösen, wie es dem Angeklagten vorgeworfen wird – so der Sachverständige.
"Typisches Verhalten": Schuld bei anderen zu sehen
Der Gutachter sagte weiter, "es sei ein typisches Verhalten", die pädophilen Neigungen zu verleugnen und die Schuld bei einer anderen Person zu sehen. Exakt dies hatte der Angeklagte in einer Einlassung am ersten Prozesstag gemacht. Damals hatte er durch seinen Anwalt verkünden lassen, dass der Anlass zum sexuellen Missbrauch der zehnjährigen Lena von einem damals Elfjährigen ausging. Der Junge soll laut Anklageschrift das zehnjährige Mädchen nach dem sexuellen Missbrauch durch den 26-Jährigen getötet haben.
Mädchen tot im Kinderheim Wunsiedel gefunden
Die zehn Jahre alte Lena war Anfang April 2023 leblos in einem Bett des Kinder- und Jugendhilfezentrums in Wunsiedel aufgefunden. Laut den Ermittlungen war der 26 Jahre alte Angeklagte zuvor durch ein offenes Badfenster ins Innere des Heims gelangt. Dort soll er sich auf die Suche nach Wertgegenständen gemacht und dabei den elfjährigen Jungen getroffen haben. Im Beisein des Jungen soll der 26-Jährige das Mädchen sexuell missbraucht haben. Später soll es dann zu einem Streit zwischen dem Elfjährigen und Lena gekommen sein, bei dem der Junge sie mit einem LED-Band erwürgt haben soll. Der heute Zwölfjährige ist strafunmündig.
Vergangene Woche war bekannt geworden, dass ein Sachverständiger Vorwürfe gegen die Ermittler erhebt. Er kritisierte die Befragung des 12-jährigen Jungen als äußerst problematisch und keinen internationalen Standards entsprechend.
Am Mittwoch sollen im Prozess vor dem Landgericht Hof die Plädoyers - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - gehalten werden.
Im Video: Kinderheim-Prozess Wunsiedel - setzte Polizei Jungen unter Druck?
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!