Die kritischen Reaktionen auf den Besuch von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) Ende Juni im Spessart haben die Region beschäftigt und tun das weiterhin. Von falschen und von demokratiefeindlichen Aussagen ist die Rede. Kommunalpolitiker haben ihre Kritik schließlich in einem offenen Brief an Aiwanger zusammengefasst. Darauf hat der Minister nun reagiert, ebenfalls mit einem offenen Brief.
Aiwanger weist Kritik zurück
Im besagten Brief schreibt Aiwanger, er sei als zuständiger Minister verantwortlich dafür, "Fehlentwicklungen" auf den Flächen der Bayerischen Staatsforsten zu verhindern. Von seinen Kritikern fordert er das Recht ein, sich an dem Meinungsbildungsprozess zu beteiligen. "Mit Blick auf den Naturschutz halte ich den Mehrwert durch ein Biosphärenreservat in Anbetracht der bereits unter Schutz stehenden Flächen für nicht gegeben, aus Sicht des Waldschutzes und insbesondere der Eichenwirtschaft klar kontraproduktiv", heißt es in Aiwangers Schreiben.
Miltenbergs Landrat Scherf: "Respektlosigkeit sondergleichen"
Aiwanger solle auf Stammtischparolen verzichten, hatte zuvor dagegen der Bund Naturschutz gefordert und bezog sich auf die Aussage, dass eine Biosphärenregion eine "Schnapsidee" sei. Das soll Aiwanger bei einem Besuch im Spessart gesagt haben. Miltenbergs Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) sagte auf Nachfrage von BR24: "Es ist doch eine Respektlosigkeit sondergleichen, wenn Hubert Aiwanger den Menschen im Spessart vorschreiben will, dass wir uns mit dem Thema Biosphäre und den Chancen für unseren Spessart nicht weiterbeschäftigen dürfen. Er tritt sämtliche Prozesse eines demokratischen Rechtsstaats in die Tonne!".
Er kritisiert auch Aiwangers Aussage, der Spessart solle mit dem Spatz in der Hand zufrieden sein. Scherf: "Das werden wir nicht akzeptieren, dass Zukunft im Rest Bayerns stattfinden soll und wir im Spessart von Hubert Aiwanger den Mund verboten bekommen!" Mit seinen haltlosen Aussagen spalte Aiwanger die Region und habe verbrannte Erde im Spessart hinterlassen.
Offener Brief von Kommunalpolitikern
Diese Beschimpfungen seien, falls sie so gefallen sein sollten, ehrenrührig, unverschämt und einem Stellvertretenden Ministerpräsidenten unwürdig. So haben es Main-Spessart-Landrätin Sabine Sitter (CSU), Aschaffenburg-Landrat Alexander Legler (CSU), Miltenberg-Landrat Jens Marco Scherf (Grüne) und Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) in ihrem offenen Brief an den Wirtschaftsminister geschrieben.
Insgesamt 15 Punkte listen die Politiker auf und zeigen damit die Verärgerung über Aiwangers Auftreten in der Region. Insbesondere die Bezeichnung der Befürworter der Biosphärenregion als "dumm" wäre zu werten als eine "bisher einmalige, noch nie dagewesene Entgleisung und Respektlosigkeit eines Mitglieds der Bayerischen Staatsregierung sowohl in verbaler als auch in persönlicher Hinsicht".
Biosphärenregion Spessart: Schaden von mehreren hundert Millionen Euro?
Der Wirtschaftsminister, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Bayerischen Staatsforsten, hatte zuvor behauptet, dass eine Biosphärenregion einen Schaden von mehreren hundert Millionen Euro bedeuten würde – für die Staatsforsten und für die Kommunen, wenn sie Gemeindewald für eine Kernzone hergeben.
Wie Aiwanger zu dieser Aussage kommt, ist unklar. Von Seiten des Landratsamts Main-Spessart, wo die Fäden des Projekts zusammenlaufen, heißt es: "Wie viele Hektar letztlich aus der Nutzung genommen werden, kann aktuell nicht gesagt werden, da die Gebietskulisse für eine Biosphärenregion noch gar nicht steht." Außerdem seien sämtliche Flächen, die seitens des Freistaats aktuell als Kernzonen in Aussicht gestellt wurden, bereits heute aus der Nutzung genommen. Hier könne also gar kein ökonomischer Verlust entstehen. Und weiter: "Sämtliche Flächen, die seitens der Kommunen bislang freiwillig als Kernzonengebiete in Aussicht gestellt wurden, sind schwer zu bewirtschaften bzw. sogar schon aus der Nutzung genommen. Auch hier entsteht kein großer ökonomischer Verlust", heißt es auf BR24-Nachfrage.
Eines der Streitthemen: Bekämpfung des Eichenprachtkäfers
In einer Pressemitteilung seitens Aiwangers Ministerium heißt es außerdem, dass der Eichenprachtkäfer in einer Kernzone nicht mehr bekämpft werden dürfe und damit großflächig Eichenwälder zerstören könnte. Diese Aussage sei schlichtweg falsch, heißt es von Seiten des Landratsamts Main-Spessart. "Das bedeutet: auch in der Kernzone besteht die Möglichkeit, vom Borken- oder Prachtkäfer befallene Bäume zu entnehmen, da bei den doch recht kleinen Kernzonenflächen relativ schnell eine erhebliche Beeinträchtigung des benachbarten Waldes eintreten kann." Nachzulesen sei dies in der Naturschutzgebietsverordnung für die Kernzonen in der Rhön.
Im aktuellen offenen Brief entgegnet Aiwanger: "Ihre Einschätzung, dass man in einer künftigen Kernzone beispielsweise den Eichenprachtkäfer bekämpfen könnte, halte ich für reichlich unrealistisch". Er schätze das genau andersherum ein.
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