Auf seinem speziellen Tourenrad mit dem aufgesetzten alten Triathlonlenker, den großen teils selbstgeschneiderten bunten Packtaschen, dem quietschgelben seitlichen Abstandshalter und seinen bunten Radklamotten mit dem großen selbstgebastelten Sonnenschild am Helm fällt der aus dem Rheinland stammende Würzburger Jörg Richter überall auf. Das hat er besonders bei einer Amerika-Tour immer wieder gemerkt. Eines der Kinder in einer Kinderklinik von Las Vegas habe zu ihm gesagt: "You are the stinky sweaty colourful Clown!" - der verschwitzte, stinkende, farbige Clown, der krank Kinder besucht. Richter sieht das nicht als Beleidigung, sondern als Kompliment und Markenzeichen.
Eher "kleine Tour": 4.000 Kilometer durch Europa
Seit neun Jahren radelt Richter jeden Sommer für den guten Zweck. Diesmal sei es eine eher kleine Tour, sagt er. "Nur" rund 4.000 Kilometer und 30.000 Höhenmeter radelt der Würzburger diesmal - durch Deutschland, Österreich, Slowenien, Italien und Frankreich.
Unterwegs besucht er betroffene Familien, Selbsthilfegruppen und Kinderhospize und sammelt Spenden. Manchmal übernachte er auch in den Familien. Die Palliativstationen seien dabei natürlich die "emotional heftigeren Tage", da seien einfach Kinder dabei, die wissen, dass sie sterben werden. Trotzdem: Die genießen das Leben und freuen sich auf den muffeligen, bunten Besuch, sagt der gebürtige Rheinländer, dem man das heimische Idiom auch nach 30 Jahren in Franken noch anhört.
Kontakt zu Höchberger Familie
Bei seiner diesjährigen Benefiz-Tour wird Jörg Richter wieder durch eine Vielzahl an Feuerwehrstationen unterstützt. Dass er nur in jungen Jahren kurz bei der Freiwilligen Feuerwehr war – egal. Die Profi-Feuerwehrleute nehmen ihn überall gerne auf.
In mehr als 600 Feuerwehrstationen hat er bereits geschlafen. Ab und zu schlägt er aber auch das mitgeführte Zelt auf. Vor seinem Aufbruch schaut Richter noch bei Dario und seinen Eltern in Höchberg vorbei.
Als Dario vier war, wurde bei ihm die äußerst seltene Stoffwechselerkrankung Morbus Sandhoff diagnostiziert. Da konnte er noch laufen und sprechen. Fähigkeiten, die er im Verlauf der Erkrankung verloren hat, erzählt seine Mutter Birgit Hardt. Zuletzt bekam er eine Magensonde, weil ihm das Essen immer schwerer fiel. "Und er hat sein herzhaftes Lachen verloren. Mitanzusehen wie das eigene Kind seine Fähigkeiten nach und nach verliere – das sei schon hart, sagt die Mutter.
Seltene Erkrankung Tay-Sachs/Sandhoff
Bei der äußerst seltenen Stoffwechselerkrankung Tay-Sachs und Sandhoff treten immer mehr motorische Ausfälle auf, die in den meisten Fällen zum Tod führen. Durch einen Gendefekt funktionieren dabei ein oder zwei Enzyme nicht oder nur teilweise. Das führt zu Ablagerungen in den Nervenzellen, bis diese absterben. Die Krankheit ist derzeit noch nicht heilbar. Forschungsprojekte, etwa zu einer Gentherapie, scheitern immer wieder an finanziellen Mitteln.
Forschung scheitert an Geld und Aufmerksamkeit
Die Selbsthilfe-Vereinigung "Hand in Hand gegen Tay-Sachs und Sandhoff" wurde von einer betroffenen Familie aus Höchberg bei Würzburg gegründet. Der Verein möchte die Öffentlichkeit informieren und sensibilisieren über die sehr seltenen und schwerwiegenden Erkrankungen.
"Viele Ärzte und Forscher kennen die Krankheit nicht. Dazu sind auch die betroffenen Familien sind mit ihrem Schicksal oft sehr alleine, weil es zu wenig Verständnis gibt", sagt Vereinsgründer Folker Quack, dessen Sohn Dario an Morbus Sandhoff erkrankt ist. Eine Fahrradtour wie die von Jörg Richter sei von der Aufmerksamkeit "unbezahlbar".
Seltene Erkrankungen
Man spricht von einer seltenen Erkrankung, wenn von 2.000 Menschen weniger als ein Mensch betroffen ist. Rund 8.000 dieser Krankheiten sind bekannt. Und jedes Jahr werden neue entdeckt. Insgesamt sind alleine in Deutschland bis zu vier Millionen Menschen betroffen.
Die meisten dieser Krankheiten sind genetisch bedingt und treten bereits im Kindesalter auf. Für die wenigsten gibt es bisher eine geeignete Therapie oder gar Heilung, weil es an Forschung und Medikamenten fehlt.
Betroffene bezeichnen sich oft als "Waisen der Medizin": Sie fallen durch die Raster der Pharmaindustrie und der Forschung. Aber auch die fehlende Awareness, also Sensibilität für das Thema bei Ärzten und Betroffenen, ist ein Problem. Betroffene berichten häufig von monate- oder sogar jahrelangen Odysseen von Arzt zu Arzt, bis sie endlich eine Diagnose erhalten.
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