Vor einem historischen Gasthaus sitzen Besucher an Tischen unter Sonnenschirmen.
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Der Fichtelgebirgsverein hat nach einem halben Jahr Pause das Waldsteinhaus wiedereröffnet. Die neuen Pächter kommen aus der Ukraine.

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Waldsteinhaus: Ukrainische Wirtsfamilie übernimmt Berggasthof

Das Waldsteinhaus des Fichtelgebirgsvereins ist wieder eröffnet. Und zwar quasi als ein ukrainisches Familienunternehmen. Dass es in dem Traditions-Gasthaus weiter fränkisch schmeckt, bleibt trotzdem garantiert.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Franken am .

Im Waldsteinhaus des Fichtelgebirgsvereins ist schon ab den Morgenstunden Trubel. "Es war vom ersten Tag an einiges los, und jetzt wird es immer mehr und mehr", sagt Davyd Chapinsky, erwachsener Sohn der Wirtsfamilie. Es komme deutlich mehr Kundschaft als erwartet. Er bedient heute, und macht das mit Leidenschaft – schnell, aber nicht eilig, mit aufmerksamem Blick. Genau wie die ungefähr gleichaltrige Liliya: "Man merkt, die Leute freuen sich, dass hier wieder offen ist. Und wir freuen uns, dass sie sich freuen."

Berggasthöfe bewirtschaften ist nicht so leicht

So geht es auch dem Fichtelgebirgsverein (FGV). Diese Woche hat er sein Waldsteinhaus offiziell wiedereröffnet – erste Gäste wurden aber bereits einige Zeit zuvor empfangen. "Das ist eminent wichtig, nicht nur für uns als Verein, sondern natürlich auch als einer der Leuchttürme innerhalb des Fichtelgebirges", sagt FGV-Hauptvorsitzender Rainer Schreier. Der Große Waldstein ist Kreuzungspunkt zahlreicher Wanderwege, das Gast- und Unterkunftshaus hier hat eine 150-jährige Geschichte, aber jetzt war es ein halbes Jahr lang wegen Pächterwechsel und Umbau geschlossen.

Dass es nicht länger war, darüber war der Verein erleichtert. Denn in der Vergangenheit gab es zum Beispiel am Seehaus nahe dem Schneeberg große Schwierigkeiten, einen neuen Betreiber zu finden. Berggasthäuser mit ihrer anspruchsvollen Zufahrt und dem stark schwankenden Publikumsandrang seien schwieriger zu bewirtschaften als andere, sagt Schreier. Man muss die richtigen Leute dafür finden. Mit der neuen Pächterfamilie ist er sehr zufrieden.

Ukrainische Wirtsfamilie mit drei Generationen

Das Haus ist jetzt sozusagen fest in ukrainischer Hand. Ein Familienbetrieb mit drei Generationen: Eltern, drei erwachsene Kinder, Großmutter. Die Wirtsfamilie hat die Ukraine schon lange vor dem russischen Überfall verlassen – vor etwa 20 Jahren.

Zunächst aber lebten sie eineinhalb Jahrzehnte in Süditalien. Auch dort hatten sie bereits ein Restaurant geführt. "Genauso groß, hundert Plätze, es war eine Pizzeria", erzählt Pächterin Oleksandra Chapinska. Ihr Mann Tomasz Link ergänzt: "Die Unterschiede in der Gastronomie zwischen den Ländern sind groß." Nicht nur bei den Speisen, sondern auch bei den Erwartungen der Gäste. Italienische Gäste wollten aufmerksam umsorgt werden, so die Erfahrung der Gastronomen. Vielen Deutschen dagegen sei vor allem wichtig, dass es schnell geht.

Für den fränkischen Geschmack ein fränkischer Koch

Auf solche Erwartungen stellen sie sich ein. Damit es schmeckt, wie die Gäste gewohnt sind, haben die ukrainischen Gastronomen Wert darauf gelegt, einen deutschen Koch einzustellen: Martin Bauer. Er arbeitet als einziger Nicht-Ukrainer unter lauter Ukrainern, und fühlt sich offenbar ziemlich wohl dabei. David Chapinsky, den er schon vorher kannte, hat Bauer angeworben.

Angeblich kann der erfahrene Koch inzwischen auch einige Brocken Ukrainisch – wie "Dawai, dawai", also "Vorwärts". Aber eigentlich wirkt er eher wie ein gemütlicher Typ. Obwohl er auch weiß, mit dem "Stoßgeschäft" in so einer Ausflugsgaststätte umzugehen, wo gerne mal unangemeldet 40-köpfige Wandergruppen hereinschneien und dann schnell ihr Schnitzel wollen. "Von null auf hundert" bedeute das.

Viele Kriegsflüchtlinge wollen hier arbeiten

Generell gibt es auf dem Waldsteinhaus kaum Probleme mit Personalmangel, versichert die Wirtsfamilie. Denn Bedienungen, Aushilfen und Putzkräfte rekrutieren sie leicht in der ukrainischen Community. Sie kennen viele, denen sie nach der Ankunft vor zwei Jahren geholfen haben, und die sich jetzt über den Arbeitsplatz freuen. Sie selbst haben da ohnehin kein Problem: Liliya hat noch in Italien Abitur gemacht und in Marktredwitz bei Scherdel Industriekauffrau gelernt. Dort arbeitet sie auch noch, das Waldsteinhaus ist für sie ein Nebenjob.

Davyd hat dagegen "das gute bayerische Abitur", damit zieht er sie gerne auf. Statt mit einem Studium anzufangen, wie er erst überlegt hatte, managt er jetzt erst einmal das Gastrounternehmen mit. Eine Entscheidung, mit der er sehr zufrieden ist: "Wir wollten eigentlich immer ein Restaurant haben, das mitten im Wald steht, mit frischer Luft, Touristen und so weiter." Er liebe es, mit den Menschen zu sprechen. "Die meisten Leute sind begeistert, dass das Ukrainer machen." Das bedeutet Beschäftigung auch für Kriegsflüchtlinge. Und ein Traditionswirtshaus ist wieder offen. Vom wiedereröffneten Waldsteinhaus, da haben viele etwas.

Mutter und Tochter am Ausschank
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Liliya Shelehey und Oleksandra Chapinska haben mit der ganzen Familie den Betrieb am Waldsteinhaus im Griff.

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