"Letztes Jahr war ich nur sehr vorsichtig optimistisch. Heuer bin ich schon deutlich optimistischer, dass der braune Spuk in Wunsiedel hoffentlich vorbei ist. Und das ist vor allem euer Verdienst: Vielen, vielen Dank dafür!" Wunsiedels Bürgermeister Nicolas Lahovnik (CSU) wirkt erleichtert, als er diese Worte am Samstag an die Menschen auf dem Marktplatz richtet. 2023 hatte es – die Corona-Pandemie ausgeklammert – zum ersten Mal seit vielen Jahren keinen rechtsextremen Aufmarsch in Wunsiedel gegeben. Seit Samstag ist nun klar: Auch 2024 sind am Vorabend des Volkstrauertages keine Neonazis für eine Kundgebung nach Wunsiedel gekommen.
Ein friedliches Fest für Demokratie – ohne Polizeihundertschaften
Rund 400 Menschen feierten auf dem Marktplatz das Fest für Demokratie des Netzwerkes "Wunsiedel ist bunt". Aus Sicht der Organisatoren gibt es aktuell genug gute Gründe, um für Demokratie, Freiheit und Toleranz auf die Straße zu gehen – Neonazi-Marsch hin oder her.
Das Wunsiedler Stadtbild war dabei an diesem Vorabend des Volkstrauertages weit weniger von Polizeikräften geprägt als in den vergangenen Jahren. Statt mehrerer Hundertschaften mit Dutzenden Einsatzfahrzeugen an zahlreichen Absperrungen waren nur noch vereinzelt Polizistinnen und Polizisten am Rande des Geschehens sichtbar. Noch am Samstagabend teilte das Polizeipräsidium Oberfranken mit, dass die Einsatzleitung dabei keinerlei Störungen zu verzeichnen hatte.
Neonazis kamen wegen Heß-Grab nach Wunsiedel
Der Ursprung der rechtsextremen Aufmärsche in Wunsiedel war die Grabstätte von Rudolf Heß, der nach seinem Suizid im Jahr 1987 auf dem dortigen Friedhof begraben wurde. In der Folge wurde dieses Grab zu einer Art Pilgerstätte für Neonazis. Nachdem es 2011 aufgelöst und jeder direkte Veranstaltungsbezug auf den Hitler-Stellvertreter verboten wurde, verlagerten sich die Versammlungen der Rechtsextremen als "Heldengedenken" auf den Vorabend des Volkstrauertages. Als Veranstalter war dabei seit 2014 die Neonazi-Kleinstpartei "Der III. Weg" aufgetreten.
Zehn Jahre "unfreiwilligster Spendenlauf Deutschlands"
Das Netzwerk "Wunsiedel ist bunt" ist aus dem breiten, bürgerlichen Widerstand gegen jenen Marsch hervorgegangen. Vor genau zehn Jahren ging sein wohl kreativster Protest dann um die Welt: In einer Geheimaktion wurde der Aufmarsch des "III. Weges" 2014 zum "unfreiwilligsten Spendenlauf Deutschlands" umfunktioniert. Mit Spruchbändern wie "wenn das der Führer wüsste" oder Bananen mit einer Banderole "Mein Mampf" feuerten die Wunsiedler die marschierenden Rechtsextremisten sogar an: Für jeden ihrer gelaufenen Meter gingen Spenden an das Aussteigerprogramm "Exit-Deutschland" – eine Initiative, die Menschen hilft, die mit dem Rechtsextremismus brechen und sich ein neues Leben aufbauen wollen.
"Rechts (laufen) gegen Rechts": Rundstrecke zum Jubiläum
Zum zehnjährigen Jubiläum dieses Erfolges gab es am Samstag einen freiwilligen Spendenlauf für alle – unter dem Motto "Rechts (laufen) gegen Rechts". In der Wunsiedler Innenstadt wurde eine etwa 500 Meter lange Rundstrecke mit ausschließlich Rechtskurven ausgewiesen. Rund 200 Menschen waren dann eine Stunde lang auf dieser Strecke unterwegs: Für jede absolvierte Runde jedes Teilnehmers wird laut "Wunsiedel ist bunt" an gemeinnützige Organisationen gespendet, die sich aktiv für ein demokratisches und tolerantes Miteinander einsetzen.
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