US-Präsident Joe Biden
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Bidens TV-Interview nach Debatten-Debakel: Ein Befreiungsschlag?

Es war das erste TV-Interview nach seinem desaströsen Auftritt im TV-Duell gegen Trump: US-Präsident Biden stellte sich den Fragen des Fernsehsenders ABC. Auch wenn es keine großen Patzer gab – die Debatte dürfte es kaum beeinflussen. Eine Analyse.

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Es waren dramatische zehn Tage für Joe Biden. Am Donnerstag vergangener Woche stand er 90 Minuten in einem Studio und bestätigte in den Augen vieler die Bedenken, die es um seine erneute Kandidatur gibt: Im TV-Duell gegen Donald Trump war er kaum zu verstehen, brachte viele Sätze nicht zu Ende und lieferte insgesamt einen blamablen Auftritt.

Die Fragen, ob er dem Amt körperlich und geistig noch gewachsen ist, die gab es bereits davor – allerdings hauptsächlich in den Medien. Sein Auftritt in der Fernsehdebatte war jedoch ein Katalysator und brachte die Debatte in die Mitte der demokratischen Partei.

Rückzugsforderungen werden lauter

Mittlerweile haben sich vier demokratische Kongressabgeordnete offen gegen seine erneute Kandidatur gestellt. Die New York Times berichtete, Biden selbst denke über einen Rückzug aus dem Rennen nach und habe mit einem Vertrauten dieses Szenario besprochen. Biden und das Weiße Haus dementierten. Mehrere Medien berichten zudem, dass in Mark Warner einer der einflussreichsten Senatoren eine Initiative plant, gemeinsam mit Parteikollegen den Präsidenten von einem Rückzug überzeugen zu wollen.

Biden will mit allem, was er hat, diese Welle aufhalten. Er absolvierte seit dem TV-Duell mehrere Wahlkampfauftritte. Seine teils kämpferischen Reden sollen Zweifel an seiner Fitness zerstreuen. Helfen sollte auch das Interview mit George Stephanopoulos, Moderator beim Fernsehsender ABC. Bei dem Gespräch wurde nichts geschnitten oder editiert, erklärte Stephanopoulos anschließend. "Wir haben nichts verändert."

Biden: "Ich war krank, ich fühlte mich schrecklich"

Ein ungefilterter Blick auf den Präsidenten sollte es also werden. Knapp 22 Minuten sprachen die beiden (externer Link) – und in denen ging es viel um Bidens Fitness und das TV-Duell. Biden nannte erneut Erschöpfung als Grund für seinen schwachen Auftritt. Auf Stephanopoulos‘ Nachhaken, dass er sechs Tage in Camp David, dem Landsitz des Präsidenten, Zeit zur Vorbereitung hatte, entgegnete Biden das, was sein Team schon während der Debatte den Medien mitteilte: Er habe eine Erkältung gehabt.

"Ich war krank, ich fühlte mich schrecklich", sagt Biden im ABC-Interview. Er hielt auch eine Corona-Infektion für möglich. Aber es sei kein Virus gewesen, "ich hatte einfach nur eine richtig schwere Erkältung".

"Hatte die Lage einfach nicht unter Kontrolle"

Für den Auftritt übernahm er die Verantwortung: "Das war mein Fehler, von niemandem sonst". Und weiter: "Ich hatte einfach einen schlechten Abend, ich weiß nicht, warum". Auf die Frage, wann er gemerkt habe, dass es nicht laufe, antwortete er aber mit einer weiteren Begründung, nämlich Trump: "Es wurde mir bewusst, dass ich einen schlechten Abend habe, als ich realisierte, dass – selbst wenn ich eine Frage beantwortete und obwohl sein Mikrofon aus war – er immer noch am Rufen war. Ich habe mich davon ablenken lassen. Ich will das damit nicht begründen, aber ich hatte die Lage einfach nicht unter Kontrolle".

Biden sah bei dem Interview besser aus als im TV-Duell, er war besser zu verstehen. Viele Fragen zu seinem körperlichen und geistigen Zustand beantwortete er mit einer Aufzählung seiner politischen Erfolge. Ob er sich einem Test zur geistigen Fitness von unabhängigen Ärzten unterziehen lassen würde, verneinte er. Er absolviere jeden Tag einen kognitiven Test – nämlich den Wahlkampf.

Wer könnte ihn abhalten? "Der Allmächtige"

Mehrfach versuchte Stephanopoulos von Biden zu hören, was passieren müsste, dass er sich zurückzieht. Er nannte als Beispiel eine Intervention von Politikern aus der demokratischen Parteispitze. Schlussendlich antwortete Biden: "Wenn der Allmächtige herunterkommt und sagt 'Joe, verabschiede dich aus dem Rennen', dann würde ich mich aus dem Rennen verabschieden."

Angesprochen auf die nationalen Umfragen, schien Biden die Realität zu verweigern. Fast alle Befragungen sehen Trump teils deutlich vorn. Biden jedoch sprach beharrlich von einem "Kopf-an-Kopf-Rennen" und erklärte: "Ich glaube nicht, dass irgendjemand qualifizierter ist als ich, um Präsident zu sein oder dieses Rennen zu gewinnen." Ob er Trump schlagen könne? "Ja, ja, ja, ja", fuhr es Biden heraus. Dass seine Zustimmungswerte so schlecht sind, will er schlicht nicht glauben.

Ging Pelosi auf Distanz zu Biden?

Dass der demokratische Senator Mark Warner eine Initiative plane, um ihn zum Rückzug zu bewegen, kommentierte Biden mit einem: "Mark ist ein guter Mann, er hat auch mal versucht, nominiert zu werden." Er respektiere ihn, aber man habe verschiedene Perspektiven. Dass sich die Spitzen seiner Partei gegen ihn stellen werden, glaubt er nicht. "Das wird nicht passieren."

Allerdings war es jüngst die ehemalige Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die erklärte: Es sei "legitim", nach dem TV-Duell Bedenken zu äußern, ob Biden dem Amt noch gewachsen sei, ob sein Auftritt "eine Episode oder ein dauerhafter Zustand" ist. Hier sahen einige eine erste Distanzierung.

Von den potentiellen Nachfolgern – wie Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom – gab es durch die Bank Unterstützung für Biden in den vergangenen Tagen. Aber das lässt sich auch damit begründen, dass der Verrat geliebt, aber der Verräter gehasst wird. Sprich: Wer sich von den möglichen Nachfolgern zu früh aus der Deckung wagt und öffentlich an Bidens Stuhl sägt, dürfte seine Chancen minieren, ihn zu beerben.

Noch viel Zeit bis zur Wahl im November

Damit sie sich gar keine Hoffnungen machen brauchen, sollte auch dieses TV-Interview helfen. Biden brachte seine Gedanken besser zu Ende als noch vor zehn Tagen bei der Fernsehdebatte, allerdings auch nicht immer. Auf die Frage, ob er während des Duells wahrgenommen habe, dass es schlecht läuft, kam er von seiner Vorbereitung auf die Debatte über ein Treffen des Nationalen Sicherheitsrat zu einer Umfrage der New York Times und von da zu Trump, der in der Debatte 28 Mal gelogen habe.

Hier liegt das Problem: Wäre das Interview vor zwei Wochen gelaufen, hätte man eine solche Antwort als Teil eines normalen Biden-Auftritts gewertet. Sein Kontrahent Trump ist ebenfalls nicht für stets strukturierte Ausführungen und Gedankengänge bekannt. Durch Bidens Performance im TV-Duell allerdings wird jeder rhetorische Lapsus noch genauer beobachtet – und das wird bis zum Wahltermin im November so weitergehen, wenn er im Rennen bleibt.

Souveräner Auftritt – aber hilft er Biden?

Trotz ein, zwei merkwürdig anmutender Antworten war es insgesamt ein aufgeräumter, größtenteils souveräner Auftritt des US-Präsidenten. Bidens Team verteilte zahlreiche Ausschnitte des Interviews in den Social-Media-Kanälen. Der Präsident konnte das desaströse Bild von letzter Woche womöglich etwas korrigieren. Nur ob das reicht, um die Debatte um ihn zu beenden, da waren sich die meisten Kommentatoren einig: Nein.

ABC-Politik-Korrespondentin Rachel Bade sagte anschließend, dass sie in Washington schon vor dem Interview vernommen hatte: "Selbst ein perfekter Auftritt würde das Unvermeidbare nur aufschieben." Der Auftritt beim TV-Duell sei so schlecht gewesen, dass man ihn einfach nicht vergessen könne. Und dass die Fernsehdebatte deutlich mehr Menschen gesehen haben als sein Interview von ABC – davon ist auszugehen.

Drei Viertel der US-Amerikaner halten Biden für zu alt für den Präsidenten-Job, am Ende einer möglichen zweiten Amtszeit wäre er 86 Jahre alt. Die Zweifel an seiner Tauglichkeit wurden über die letzten Monate immer lauter und seine Kritiker erfuhren durch das TV-Duell Bestätigung. Das Interview als Teil von Bidens Strategie, sich zu rehabilitieren, dürfte da nicht die Wende bringen.

Die Debatte um Biden wird bleiben

Der Demokrat Lloyd Doggett aus Texas, der als erster Kongresspolitiker Bidens Rückzug gefordert hatte, bekräftigte nach dem TV-Interview seinen Standpunkt. Im Gespräch mit dem Fernsehsender CNN sagte er: "Jeder Tag, an dem Biden weiter im Rennen bleibt, macht es für jemand Neuen schwieriger, Donald Trump zu schlagen."

Seinen Kritikern hat Biden mit dem Interview keine neuen Gründe geliefert. Doch genug, um Parteimitglieder und Großspender zu beschwichtigen, dürfte es ebenfalls nicht gewesen sein. Die Debatte dürfte weiter köcheln und mit jedem öffentlichen Patzer von Biden, mit jedem Parteikollegen, der seinen Rückzug fordert, weiter befeuert werden.

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