Symbolbild: Doktorhut balanciert auf einer Bleistiftspitze
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Plagiatsvorwürfe: Zufall oder politisches Kalkül?

Plagiatsvorwürfe: Zufall oder politisches Kalkül?

Nicht zum ersten Mal platzen Plagiatsvorwürfe in einen Wahlkampf. Zuletzt aber war die Aufregung darüber größer als die nachgewiesenen Fehler. Was steckt hinter den Vorwürfen gegen den Grünen-Kanzlerkandidaten Habeck und wer ist der Plagiatsjäger?

Der Kanzlerkandidat war vorbereitet. Es sei ihm bekannt gewesen, erklärte Robert Habeck (Grüne), dass der "Plagiatsjäger" Stefan Weber seine Doktorarbeit (ebenso wie die seiner Frau) seit langem auf Fehler durchsuche. Darum, so Habeck in einem Video und in der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Habeck?" (externer Link), habe er die Universität Hamburg um eine Überprüfung seiner Dissertation gebeten - bei der lediglich "ein paar Ungenauigkeiten" gefunden (externer Link) worden seien.

Webers Vorwürfe und das Dementi der Universität

Kurz nach Habecks Äußerungen veröffentlichte das rechte Internetportal Nius des Ex-"Bild"-Redakteurs Julian Reichelt einen Text, der sich auf Recherchen des "Plagiatsjägers" Stefan Weber stützt: Habeck habe in seiner Doktorarbeit vorgetäuscht, "Geistesgrößen im Original gelesen zu haben, während er seine Quellen aus den Arbeiten anderer Wissenschaftler nur abgeschrieben" habe.

Die Universität Hamburg widerspricht den Vorwürfen. An Habecks "wissenschaftlicher Eigenleistung" bestehe kein Zweifel, er habe "weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen", so die Universität. Lediglich einzelne Zitate und Fußnoten sollten überarbeitet werden, weil heute in der wissenschaftlichen Praxis andere Regeln gälten als zum Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Plagiatsjäger im Revier der Politik

Stefan Weber bleibt bei seiner Auffassung. Der selbsterklärte Plagiatsjäger ist in der deutschen Politik kein Unbekannter: Der Salzburger Kommunikationswissenschaftler und Autor des Buchs "Auf 'Plagiatsjagd'" hat mit seinem Team bereits hunderte wissenschaftliche Arbeiten untersucht - aus eigenem Antrieb, gegen Bezahlung durch Medien oder (wie im Fall des österreichischen EU-Kommissars Johannes Hahn) im Auftrag politischer Gegner. Schon vor der letzten Bundestagswahl 2021 hatte Weber Vorwürfe gegen die damalige Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und den damaligen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet erhoben, denen er unsaubere Arbeit in ihren Büchern vorwarf.

Selbst im US-Wahlkampf war Weber präsent: Der rechtskonservative US-Publizist Christopher Rufo hatte die demokratischen Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris beschuldigt, eine Passage ihres Buches aus Wikipedia übernommen zu haben - und sich dabei auf Weber berufen.

Daheim in Österreich machte Weber zuletzt allerdings selbst Schlagzeilen: durch einen Prozess, bei dem er wegen übler Nachrede gegen den Rektor der Uni Klagenfurt verurteilt wurde (standard.at; externer Link).

Der Fall Guttenberg und die Folgen

In Deutschland haben Plagiatsjäger - bisweilen wiki-basierte "Jagdgemeinschaften" wie GuttenPlag oder VroniPlag - bereits mehrere politische Karrieren (zumindest zeitweise) beendet. Der spektakulärste Fall war 2011 jener des damaligen Verteidigungsministers und CSU-Hoffnungsträgers Karl-Theodor zu Guttenberg. Nachdem ihm grobe Fehlleistungen in seiner Dissertation nachgewiesen wurden, trat er von allen politischen Ämtern zurück und zog mit seiner Familie in die USA.

In den Jahren darauf folgten Rücktritte unter anderem von Annette Schawan (CDU), Silvana Koch-Mehrin (FDP) und 2019 Franziska Giffey (SPD).

Video: Aufstieg und Fall des Karl-Theodor zu Guttenberg

Karl-Theodor zu Guttenberg mit Frau Stephanie
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Karl-Theodor zu Guttenberg mit Frau Stephanie

Große Aufregung um kleine Fehler

Auffällig allerdings: in den vergangenen Jahren wurden entsprechende Anschuldigungen von Universitäten und Gutachtern meist als unbegründet zurückgewiesen.

So attestierte die Uni Bayreuth der Dissertation von AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel nur einzelne Zitierfehler und leitete kein Verfahren ein. Auch von den Vorwürfen, die Stefan Weber und Nius gegen die SZ-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid erhoben hatten, blieb nach Prüfung durch die Universität Salzburg nicht mehr viel übrig.

Der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug, sieht Versuche der Skandalisierung kritisch: "Dass die Vorwürfe gegen Habeck jetzt – kurz vor der Bundestagswahl – erhoben werden, ist gewiss kein Zufall, sondern politisch motiviert. Eine wissenschaftsinterne Überprüfung von Doktorarbeiten auf diese Weise zu instrumentalisieren, wäre der eigentliche Skandal."

Wenn die KI die Spuren verwischt

Vielleicht auch deshalb haben Plagiatsjäger inzwischen nicht nur Dissertationen im Fadenkreuz, sondern auch private Buchveröffentlichungen - siehe Baerbock und Laschet.

In den USA, wo die Plagiatsuche noch ideologiegetriebener abläuft als hierzulande, prophezeit der Plagiatsexperte Miguel Roig indes, dass Plagiatsprüfungen in der heutigen Form ohnehin bald der Vergangenheit angehören. Der Grund: Künstliche Intelligenz. "Statt einen Text wörtlich zu übernehmen, ist es ein Leichtes, einen Chatbot um eine Neuformulierung zu bitten", so Roig.

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