Grenzkontrollen - Kiefersfelden (Archivbild)
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel
Audiobeitrag

Grenzkontrollen - Kiefersfelden (Archivbild)

Audiobeitrag
>

Grenzkontrollen: Gemischte Gefühle in Mittelmeerländern

Grenzkontrollen: Gemischte Gefühle in Mittelmeerländern

Die Entscheidung der deutschen Regierung, weitere Kontrollen an Grenzen einzuführen, wird auch in Ländern aufmerksam verfolgt, die nicht an Deutschland grenzen. Aber etwa auf Italien und Griechenland könnte die Maßnahme indirekt durchschlagen.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Die deutsche Ankündigung, an weiteren Grenzen Kontrollen aufzunehmen, wird von Italiens Regierung zurückhaltend kommentiert. Das sei eine "legitime Entscheidung", die Italien respektiere, erklärt das Innenministerium in Rom. Eine weitere Bewertung wolle man derzeit nicht vornehmen.

Italien kontrolliert selbst

Italiens stramm rechte Regierung betont immer wieder, sie wolle irreguläre Migration bekämpfen. Mit diesem Argument hat Italien im Oktober 2023 an der Grenze zum EU-Nachbarland Slowenien Kontrollen eingeführt, obwohl nach den Schengen-Regeln zwischen den beiden Ländern freier Verkehr möglich sein sollte.

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei "Brüder Italiens" betonte, der Schritt sei eine befristete Sondermaßnahme. Die Schengen-Regeln seien eine große Errungenschaft, erklärte Meloni im November 2023. Im Juni verlängerte Italien allerdings die Grenzkontrollen, zunächst bis Mitte Dezember.

Mehr Migranten in Italien erwartet

Fachleute gehen davon aus, dass die deutsche Entscheidung in der italienischen Regierung aber Unruhe auslösen dürfte. Der Migrationsforscher Prof. Christopher Hein von der Universität LUISS in Rom erwartet, dass die Zahl der irregulären Migranten in Italien steigen wird. Denn viele Menschen vor allem aus Afrika und dem arabischen Raum, die zunächst in Italien ankommen, reisen derzeit bald weiter nach Norden, vor allem nach Deutschland. Wenn diese Möglichkeit durch Grenzkontrollen erschwert wird, "dann bleiben die Menschen hier und die Zahlen werden natürlich in Italien hochgehen", erwartet der Jurist.

Ankündigungen italienischer Politiker, die Zuwanderung übers Mittelmeer zu stoppen, seien zum Teil realitätsfern, findet Hein. An Landgrenzen Menschen abzuweisen, wie es Deutschland jetzt vorhat, sei grundsätzlich denkbar, sagt Hein, auch wenn solche Rückweisungen in vielen Fällen rechtlich sehr problematisch seien. Aber wenn Menschen mit Booten und Schiffen an Italiens Küsten ankommen, könne man sie "nicht einfach wieder ins Meer schmeißen", betont der Migrationsforscher.

Einschränkung der Freizügigkeit unpopulär

Wenn Italiens Ministerpräsidentin Meloni sich grundsätzlich zu offenen Grenzen in der EU bekenne, ist das nach Einschätzung von Hein mehr als ein Lippenbekenntnis. Grenzkontrollen brächten für Privatleute wie auch für Wirtschaftsunternehmen Wartezeiten und Staus, die auch in Italien unpopulär sind.

Wenn auch Österreich dem deutschen Vorbild folgen sollte, und es etwa am Brennerpass wieder Kontrollen gibt, würde das in der italienischen Bevölkerung für große Verstimmung sorgen, erwartet der Forscher.

Schwankungen bei Migrantenzahlen

In Italien ist die Frage, wie mit den zahlreichen Migranten, die vor allem übers Mittelmeer in Land kommen, seit Jahren Dauerthema. Die Parteien, die jetzt unter der Führung der postfaschistischen "Brüder Italiens" zusammenarbeiten, hatten vor der Wahl vor zwei Jahren angekündigt, dass sie die Zahl der Migranten deutlich senken würden.

Tatsächlich ist die Zahl der irregulären Einreisen in der ersten Jahreshälfte 2024 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um mehr als die Hälfte geschrumpft, auf rund 25 000. Allerdings liegt die Zahl etwa auf dem gleichen Niveau wie in den ersten Halbjahren 2021 und 2022. Und es sei schwer zu beurteilen, was die Gründe für den Rückgang sind, glaubt der Migrationsforscher.

Es sei denkbar, dass Vereinbarungen Wirkung zeigen, die Italien etwa mit Tunesien getroffen hat, um Migranten-Boote zu stoppen. Aber gesichert sei dies nicht. Und Hein weist darauf hin, dass gleichzeitig in Spanien die Zahl der irregulären Einreisen unter anderem über die Kanarischen Inseln steigt. "Da wird dann die heiße Kartoffel innerhalb der EU einfach weitergereicht", kommentiert er.

Griechenland: Angst vor Domino-Effekt

Beim Treffen von Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer stand nach der deutschen Ankündigung das Thema Migration ganz oben auf der Tagesordnung. Richtung Deutschland macht Mitsotakis deutlich: Griechenland könne keine unverhältnismäßig große Last schultern, nur weil es an der europäischen Außengrenze liegt.

Die Regierung sorgt sich vor einem Domino-Effekt Richtung Südost-Europa. Wenn andere Mitgliedsstaaten nachziehen mit Zurückweisungen an der Grenze, dann könnte das Griechenland – als Erstaufnahmeland – in eine schwierige Lage bringen.

Mehr direkte Rückführungen?

Dazu kommt in Athen die Sorge: Deutschland könnte Flüchtlinge direkt nach Griechenland zurückschicken, im Rahmen der Dublin-Verordnung. Demnach ist das Erstaufnahmeland für den Asylantrag zuständig. Doch viele Flüchtlinge reisen von Griechenland aus weiter Richtung Norden und stellen in Deutschland Asyl.

Darunter sind auch Migranten, die bereits einen positiven griechischen Asylbescheid haben. Rückführungen nach Griechenland hat es jahrelang nicht gegeben, weil deutsche Gerichte die Situation in Griechenland als "menschenunwürdig" erachtet haben. Inzwischen sind aber vereinzelte Rückführungen wieder möglich. Athen fürchtet jetzt, das könnte auch in größerem Stil passieren.

Am EU-Migrationspakt festhalten

Grundsätzlich kritisiert Griechenland die Dublin-Verordnung. Umso mehr hat das Land den neuen EU-Migrationspakt begrüßt. Erstaufnahmeländer wie Griechenland sollen entlastet werden. Entweder, indem Geflüchtete in andere EU-Länder gebracht werden. Oder, indem Geld fließt.

Mitsotakis betont: Man solle an diesem Pakt festhalten. Den Grund, warum so viele Flüchtlinge aus seinem Land nach Deutschland weiter wollen, sieht Mitsotakis in der deutschen Sozialpolitik. Durch die Angebote an Geflüchtete übe Deutschland eine große Anziehungskraft aus.

Kritik an Grenzkontrollen

Die von Deutschland geplanten Grenzkontrollen kritisiert der Premier. Solche Kontrollen sollten nicht zur Normalität werden, weil sie grundlegenden Errungenschaften der Europäischen Union schaden würden und die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger einschränkten. An seiner eigenen innereuropäischen Grenze mit Bulgarien wünscht sich Griechenland offene Grenzen. Das würde den Export griechischer Waren erleichtern.

Und die Tourismus-Branche sagt: So könnten Gäste aus Bulgarien oder Rumänien leichter nach Griechenland reisen. Doch auf dem umgekehrten Weg hätten es Flüchtlinge leichter, Richtung Norden zu kommen. Deshalb setzt Bulgarien schon das um, was Deutschland jetzt auch machen will: scharf zu kontrollieren. Für Bulgarien ist das rechtlich leichter: Es ist zwar inzwischen Teil des Schengen-Raums. Aber das beinhaltet bisher nur den Luft- und Seeweg.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!