Nach den schlechten Ergebnissen bei mehreren Wahlen macht die gesamte Grünen-Bundesspitze den Weg frei für einen personellen Neuanfang. Das gaben die Parteivorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour bei einem kurzfristig angesetzten Pressestatement in Berlin bekannt.
Das Resultat vom Sonntag in Brandenburg sei "Zeugnis der tiefsten Krise unserer Partei seit einer Dekade", sagte Nouripour. "Es braucht einen Neustart." Der Bundesvorstand habe entschieden: "Es ist Zeit, die Geschicke dieser großartigen Partei in neue Hände zu legen." Beim Parteitag Mitte November in Wiesbaden solle ein neuer Vorstand gewählt werden.
Lang fordert strategische Neuaufstellung
Lang betonte, es brauche neue Gesichter, um die Partei aus der Krise zu führen. Nötig sei eine strategische Neuaufstellung. "Wir wollen, dass unsere Partei mit größtmöglicher Stärke in den Wettbewerb um die Zukunft des Landes und die Zukunft Europas eintritt."
Es sei jetzt nicht die Zeit, am eigenen Stuhl zu kleben. "Jetzt ist die Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Und wir übernehmen die Verantwortung, indem wir einen Neustart ermöglichen." Lang beendete ihr Statement mit dem Satz: "Es war mir, es war uns eine große Ehre, dieser Partei zu dienen."
Hofreiter: Es war für viele überraschend
Der bayerische Grünen-Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter zeigte sich bei BR24live überrascht. Zwar sei spätestens seit der Brandenburg-Wahl die Nervosität in der Partei sehr groß gewesen. "Aber ich glaube, es war für viele und auch für mich überraschend, dass das heute so passiert."
Auf die Frage, ob er ein möglicher Kandidat für den Parteivorsitz sei, antwortete Hofreiter ausweichend: "Ich glaube, man muss jetzt in aller Ruhe entscheiden, wer die geeigneten Personen sind, um die Partei aus dieser Krise zu führen." Es gelte nun, gemeinsam zu überlegen, "wie es strategisch und personell weitergehen soll".
Davon unabhängig hat die Ampel-Regierung für Hofreiter die Aufgabe, Deutschland bis zur Wahl "vernünftig zu führen". In diesen "gefährlichen Zeiten" wäre es seiner Ansicht nach "sehr riskant", jetzt eine Regierungskrise auszulösen.
Habeck: "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich"
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bezeichnete die Rückzugsankündigung als "großen Dienst an der Partei". Dieser Schritt zeuge von großer Stärke und Weitsicht, sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. "Ricarda Lang und Omid Nouripour beweisen, was für sie der Parteivorsitz bedeutet: Verantwortung." Sie machten den Weg frei für einen kraftvollen Neuanfang. "Das ist nicht selbstverständlich."
Die Niederlagen bei den jüngsten Wahlen seien "unstrittig" vom Bundestrend beinflusst gewesen. "Wir tragen hier alle Verantwortung, auch ich. Und auch ich will mich ihr stellen."
Legte die Partei bei den ersten Landtagswahlen nach dem Start der Ampel noch zu, geht es seit dem vergangenen Jahr nur noch abwärts. Bei den Wahlen in Thüringen und Brandenburg flogen sie aus den Landtagen.
Bayerns Grünen-Chefin: "Schaffen einen Neustart"
Die bayerische Grünen-Landesvorsitzende Eva Lettenbauer dankte den beiden Parteichefs und dem Bundesvorstand für ihre Arbeit und das "Teamwork". Im Kurznachrichtendienst X schrieb sie: "Danke für alles, was ihr für die Menschen, das Land und die Partei geleistet habt." Sie fügte hinzu: "Gemeinsam schaffen wir einen Neustart!"
Auch die bayerische Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze reagierte auf X: "Respekt vor diesem Schritt und danke für eure Arbeit."
Kanzler Scholz erwartet keine Auswirkungen auf Ampel
Die SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil sprachen der bisherigen Grünen-Spitze ihren Dank für eine "verlässliche und vertrauensvolle" Zusammenarbeit aus: "Trotz mancher inhaltlicher Unterschiede war diese Partnerschaft sehr angenehm, weil sie auch menschlich belastbar war."
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erwartet offenbar keine Auswirkungen auf die Ampel-Koalition. Scholz habe mit Lang und Nouripour "eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet" und bedauere ihren Rückzug, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit im Namen von des Kanzlers. Es gehöre in demokratischen Verfahren aber dazu, dass es auch mal Wechsel in Parteiführungen gebe. "Das hat keinerlei Auswirkungen auf die Koalition", betonte Hebestreit.
Als "menschlich immer fair" lobte auch FDP-Chef Christian Lindner die Zusammenarbeit mit den beiden Grünen-Vorsitzenden. "Wir sind gespannt, ob unter neuer Führung ein neuer Kurs entsteht und welche Auswirkungen er auf die Regierung hat."
Mit Informationen von dpa und Reuters.
Im Video: Nach Wahl-Debakel - Grünen-Spitze kündigt Rücktritt an
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