Jahrzehntelang war den US-Amerikanern schon in der Wahlnacht klar, wer sie die kommenden vier Jahre regieren wird. Zwei große Ausnahmen aus der jüngeren Vergangenheit gab es: Im Jahr 2000 kam es beim Duell George W. Bush gegen Al Gore zu Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung in Florida, weswegen es bis Mitte Dezember dauerte, bis der Oberste US-Gerichtshof die erneuten Auszählungen beendete und somit George W. Bush als Sieger feststand.
TV-Sender verkünden Hochrechnungen und "projected winner"
Auch bei der letzten Wahl - Donald Trump gegen Joe Biden 2020 - dauerte es länger. Erst vier Tage nach dem Wahltermin riefen US-Medien Biden zum Sieger aus. Auch dieses Mal könnte es über die Wahlnacht hinaus dauern, bis klar ist, wer auf Joe Biden folgt.
Die ersten Wahllokale schließen um Mitternacht deutscher Zeit. Auf Basis erster Zwischenstände machen die TV-Sender Hochrechnungen und verkünden einen "projected winner" in den jeweiligen Staaten. Bei vielen geht es das relativ schnell: Es gibt Staaten an der Ostküste wie Vermont, die Hochburgen der Demokraten sind. Es folgen weiter westlich Staaten wie Kentucky, die sicher an Trump gehen dürften. Je enger das Ergebnis allerdings ist, desto länger dürfte es dauern, bis US-Medien eine Prognose abgeben.
Interessant wird es, wenn Ergebnisse aus den Swing States kommen. In Georgia schließen die Wahllokale um 1 Uhr deutscher Zeit und in North Carolina um 1.30 Uhr. Manche Staaten - wie Georgia - haben ihre Wahlgesetze geändert, um den Prozess der Auszählung zu beschleunigen.
Warum es bei der US-Wahl 2020 so lange dauerte
Die Wahl 2020 war für amerikanische Verhältnisse eine besondere. Sie fand in der Hochzeit der Corona-Pandemie statt. Die Folge war, dass deutlich mehr Menschen die Briefwahl nutzten: Zum ersten Mal in der Geschichte der USA war die Zahl der Briefwähler höher als die derjenigen, die am Wahltag ins Wahllokal gingen.
Das Auszählen der Briefwahl-Stimmen verlangsamt den Prozess, da sie in vielen Staaten nicht vorab gezählt werden. Dabei müssen Unterschriften abgeglichen werden - gibt es hier Unregelmäßigkeiten, müssen die Stimmzettel gesondert begutachtet werden. Viele Staaten waren auf die Masse der Briefwähler 2020 offenbar nicht eingestellt, weswegen es mit den Ergebnissen dauerte. Dieses Mal dürften sie besser vorbereitet sein.
Hinzu kommt allerdings auch, dass in manchen Staaten Briefwahl-Stimmen noch gezählt werden, wenn sie nach dem Wahltermin kommen, aber noch den Poststempel vom Wahltag haben. Und dann gibt es auch die Stimmen der im Ausland lebenden US-Amerikaner. 2020 war das Rennen in manchen Staaten so eng, dass man erst ein Ergebnis hatte, als alle Stimmen ausgezählt waren.
"Rotes Wunder" und "blaue Verschiebung"
Dieses Mal dürfte die Anzahl der Briefwähler nicht so hoch sein wie 2020, und dennoch werden sie wieder eine besondere Rolle spielen. Die Mehrheit der Briefwähler ist traditionell eher den Demokraten zugewandt, während Republikaner mehrheitlich am Wahltag ins Wahllokal gehen. Die Stimmen von Letzteren werden aber meist zuerst ausgezählt.
Die Folge: Die ersten Zwischenstände in umkämpften Staaten zeigen häufig einen deutlichen republikanischen Vorsprung. Vom "red mirage", dem "roten Wunder", ist dann die Rede. Fließen dann aber nach und nach die Briefwahl-Stimmen mit ein, gibt es häufig den "blue shift", die "blauen Verschiebung" – die Demokraten holen auf und überholen möglicherweise die Republikaner.
Ein weiterer Grund: In ländlichen Gebieten sind die Republikaner stärker. Dort geht es mit der Auszählung meistens schneller, weil die Bevölkerungsdichte nicht so hoch ist. Anders ist es in den Städten: Hier sind die Demokraten meist vorne. Weil die Wahllokale dort aber mehr Stimmen auszählen müssen, dauert es häufig länger. Auch das hat zur Folge, dass viele republikanische Stimmen zuerst ausgezählt werden.
Das "rote Wunder" und Trumps Wahl-Lüge
Obwohl dieses Phänomen bekannt ist, nutzte Donald Trump es, um darauf seine Lüge der Wahlmanipulation aufzubauen. Als er in der Wahlnacht 2020 vor die Kameras trat, sagte er mit Blick darauf, dass in vielen Staaten erst er und dann Biden vorne war: "Wir haben überall gewonnen und ganz plötzlich hörte das auf."
Er sprach deswegen von einem Betrug am amerikanischen Volk und erklärte sich selbst zum Sieger: "Wir waren drauf und dran, die Wahl zu gewinnen und offen gesagt: Wir haben die Wahl gewonnen".
Dass Trump die "red mirage" nutzen wird, um sich zum Sieger zu erklären, kam für viele nicht überraschend. Nur wenige Tage vor dem Wahltermin 2020 wurde eine Aufnahme seines ehemaligen Chef-Beraters Steve Bannon veröffentlicht, in der er genau diese Strategie vorgab. Auch dieses Mal könnte es wieder passieren, dass Trump sich als Sieger proklamiert, ohne dass ein Ergebnis feststeht.
Wann der Sieger feststehen könnte
Sollte es ein deutliches Ergebnis geben, könnte ein Sieger bereits in der Wahlnacht feststehen. Dafür müsste er oder sie einen so klaren Vorsprung haben, dass es nicht auf das Ergebnis aller umkämpften Staaten ankommt. Davon ist allerdings nicht auszugehen. Es sieht nach einem engen Rennen aus.
Wahrscheinlicher ist, dass es in der Wahlnacht eine Tendenz gibt – es aber noch ein oder zwei Tage dauern könnte, bis der endgültige Sieger feststeht. So lange wie letztes Mal dürfte es nach den Erfahrungen von 2020 und den erfolgten Änderungen in vielen Staaten nicht mehr dauern.
Dass Trump das Resultat nicht anerkennen wird, sollte es nicht zu seinen Gunsten ausfallen, halten Beobachter für sehr wahrscheinlich.
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