Nur noch wenige Tage, dann entscheiden die US-Amerikaner, ob die Demokratin Kamala Harris das Land die kommenden vier Jahre regiert - oder der Republikaner Donald Trump erneut ins Weiße Haus einzieht. Welche Folgen beide Szenarien hätten, erklärt USA-Experte Dr. Josef Braml im BR24-Interview.
"Europa müsste noch mehr in seine Sicherheit investieren"
BR24: Trump hat gefordert, Ziel und Mission der Nato "fundamental neu zu bewerten". Auch einen Austritt aus der Allianz hat er nicht ausgeschlossen. Was würde das für Europa bedeuten?
Josef Braml: Ein US-Präsident Trump könnte nicht ohne Zustimmung des Kongresses aus der Nato austreten. Doch selbst ohne Austritt wäre die Nato wenig wert, wenn er als Oberbefehlshaber Artikel 5 nach eigenem Ermessen interpretiert und den Verbündeten nur minimal hilft.
BR24: Was könnten die Folgen einer erneuten Trump-Präsidentschaft für die Ukraine sein?
Braml: Europa sollte seine Verteidigung stärken, besonders da China als Militärmacht aufsteigt und die USA sich nach Asien orientieren. Unabhängig von den US-Wahlen müssen die Europäer mehr für ihre Verteidigung gegen Russland und den Wiederaufbau der Ukraine ausgeben. Unter einem möglichen Präsidenten Trump wären NATO und US-Schutzversprechen weniger wert, daher müsste Europa noch mehr in seine Sicherheit investieren.
BR24: Deutschland hat sich ja dem "Zwei-Prozent-Ziel" verpflichtet. Reicht das?
Braml: Es geht jetzt nicht darum, die oft erwähnten "zwei Prozent" der Wirtschaftsleistung für amerikanische Militärgüter auszugeben, um eine mögliche US-Regierung unter Donald Trump zu beschwichtigen. Stattdessen sollten die Europäer eigene militärische Fähigkeiten entwickeln, sowohl konventionell als auch nuklear, um Erpressungen durch eine mögliche zweite Trump-Regierung oder Russland vorzubeugen.
Experte bringt für Ukraine-Hilfen gemeinsame Schulden ins Spiel
BR24: Dafür wären allerdings umfangreiche Investitionen nötig.
Braml: Richtig. In Zeiten begrenzter Haushaltsmittel könnte jedoch jede Umschichtung von Sozialausgaben hin zu Verteidigung oder Ukrainehilfe extremistischen Parteien Zulauf verschaffen, die aufgrund ungelöster Probleme bereits an den Wahlurnen profitieren.
BR24: Wie könnte Deutschland diesem Dilemma begegnen?
Braml: Durch gemeinsame Schulden könnte Europa gestärkt und der Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden, was den Druck auf Sozial- und Verteidigungsausgaben verringern würde. Anstatt ihre Reserven und Ersparnisse in die US-Wirtschaft zu investieren, sollten europäische Länder und Investoren diese Mittel für die Stärkung des Euro, Europas Sicherheit, digitale Infrastruktur und Zukunftstechnologien nutzen, um im globalen Wettbewerb mithalten zu können.
BR24: Im Bereich Wirtschaft plant Trump, massive Zölle einzuführen. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat errechnet, dass eine zweite Trump-Präsidentschaft Deutschland bis zu 180 Milliarden Euro kosten könnte. Sehen Sie die Folgen ähnlich dramatisch?
Braml: Trump nimmt nicht nur China, sondern auch Europa ins Visier. Er droht etwa deutschen Autobauern mit Zöllen, falls sie ihre Produktionsstätten nicht in die USA verlagern. Seine protektionistische Politik würde insbesondere Deutschland, aber auch den USA selbst massiv schaden, da höhere Zölle zur Inflation beitragen und die Kaufkraft verringern. Trump versteht nicht, dass ein Handelsdefizit das Ergebnis eines Haushaltsdefizits ist. Amerika lebt, wirtschaftet und rüstet über seine Verhältnisse.
"Unter Harris würden die USA weniger Schulden machen"
BR24: Ist von Harris eine Außen- und Wirtschaftspolitik zu erwarten, die sich von Bidens unterscheidet?
Braml: Unter Harris würden die USA weniger Schulden machen. Anders als Trump, der die Steuern weiter senken und dafür Zölle erhöhen würde, plant Harris, die Steuern für Großverdiener zu erhöhen. Dabei würde sie jedoch möglicherweise von einer republikanischen Mehrheit in einer der beiden Kongresskammern blockiert werden.
BR24: Würde sich für den Freistaat Bayern etwas ändern, wenn Harris Präsidentin werden würde? Und wie sähe es mit Trump aus?
Braml: Harris würde wohl einmal mehr an der Münchner Sicherheitskonferenz teilnehmen. Bei Trump würden die Veranstalter vergeblich auf seine Anwesenheit hoffen.
Unabhängig vom Ausgang der Wahlen wird der Freistaat Bayern nicht von massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der amerikanischen Rivalität mit China verschont bleiben, die künftig verschärft wird. Die nächste US-Regierung wird insbesondere die Technologiebranche drängen, weniger von China abhängig zu sein. Washington möchte sicherstellen, dass Lieferketten für strategisch wichtige Industrien unabhängiger werden.
Auch bayerische Unternehmen sollten sich auf eine mögliche De-Globalisierung einstellen und ihre Lieferketten unabhängiger von China gestalten, um widerstandsfähiger zu werden. Unternehmen in den Vereinigten Staaten und Europa müssen abwägen, wie sie "Effizienz" und "Resilienz" miteinander in Einklang bringen können. Mit Ansätzen wie "Nearshoring", "Reshoring" oder "Friend Shoring" prüfen sie, ob es sinnvoll ist, Produktionsketten aus China zurückzuverlegen.
Zur Person: Dr. Josef Braml ist USA-Experte und European Director der Denkfabrik Trilaterale Kommission, einer Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien. Promoviert hat Braml an der Uni Passau. Im Verlag C.H.Beck erschien sein mit Mathew Burrows verfasstes Buch "Die Traumwandler. Wie China und die USA in einen neuen Weltkrieg schlittern" sowie "Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können".
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Dieser Artikel ist erstmals am 01.11.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel aktualisiert und erneut publiziert.
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