Die beiden Staatschefs in einer schwarzen Limousine vor einem roten Teppich
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Im Dienst-Mercedes: Putin und Kim Jong-un

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"Hilft gegen Einsamkeit": Putins Nordkorea-Reise ängstigt Russen

Während Putin von "Brüderlichkeit" spricht und Pjöngjang überschwänglich für Militärhilfe dankt, sind russische Beobachter skeptisch. Sie fürchten Arbeitsmigranten und vergleichen Kim Jong-uns Diktatur mit einem Gefängnis.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Unsere Freunde sind mittlerweile die Hooligans aus Teheran, die Taliban und Pjöngjang, sowie die Roten Garden aus Peking. Fehlt nur noch Räuber Hotzenplotz! Was soll ich sagen, es hat nicht geklappt, dass wir uns wie 'Timur und sein Trupp' (bekanntes sowjetisches Kinderbuch, Anm. d. Red.) behaupteten, also pfeifen wir alle Revolutionäre aus dem Gebüsch", so der russische Politologe Andrei Nikulin über Putins Staatsbesuch in Nordkorea. Er nahm sich die Freiheit, daran zu erinnern, dass Russland einst selbst Sanktionen gegen Diktator Kim Jong-un unterstützt und dessen Politik als "völlig inakzeptabel" bezeichnet hatte. Inzwischen hat sich der Kreml notgedrungen umorientiert, nicht zuletzt wegen Waffenlieferungen und eines dramatischen Arbeitskräftemangels.

"Die Bewohner unserer Metropolen und Großstädte sind es gewohnt, die schmutzigsten und schwierigsten Arbeiten anderen zu überlassen", so der russische Politologe Dmitri Michailitschenko (externer Link). Deshalb bleibe Putin angesichts der Integrationsprobleme mit islamischen Einwanderern aus Zentralasien keine andere Wahl, als massenhaft Nordkoreaner und Vietnamesen anzuheuern: "Die Entscheidung, sie in den russischen Arbeitsmarkt aufzunehmen, ist bereits gefallen und wird umgesetzt. Emotionale und moralische Bewertungen sollten wir den Dissidenten und den regierungsnahen Propagandisten überlassen."

"Traum von gut der Hälfte unserer Landsleute"

Allerdings beschleicht Michailitschenko das ungute Gefühl, dass die von ihm erwarteten Nordkoreaner als Anhänger einer totalitären Gesellschaft "systematisch" überwacht werden müssten: "Das heißt, sie werden sich ruhig verhalten. Gleichzeitig muss bei etwaigen Ausschreitungen berücksichtigt werden, dass es sich um sehr verbitterte Menschen handelt, die in einer ungewohnten Umgebung sehr eng zusammenhalten." Ob es "im Laufe der Zeit Millionen von Nordkoreanern" sein werden, wie der Politologe prophezeit, das sei dahingestellt. Er rechnet jedenfalls nicht damit, dass sich die fernöstlichen Migranten jemals in Russland integrieren: "Andere Mentalität, andere Kultur."

Was die Arbeitswelt in Nordkorea betrifft, fasste sie ein russischer Leser so zusammen: "Ein Leibeigenschaftssystem, bei dem alle Leibeigenen dem Staat für einen garantierten Teller Suppe rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Der Traum von gut der Hälfte unserer russischen Landsleute. Der nackte Horror für die andere Hälfte." Ein weiterer verwies darauf, dass selbst dieser eine Teller Suppe für die Nordkoreaner aus China importiert werden müsse. Die "Vorteile" der Diktatur beschrieb ein russischer Augenzeuge so: "Wir staunten über den Verkehr dort. 85 Prozent gehen zu Fuß oder nehmen öffentliche Verkehrsmittel. 14 Prozent haben ein Fahrrad, ein Prozent besitzt ein Auto. Der Traum jedes Städteplaners."

"Russische Behörden sind beeindruckt"

In Putins Propaganda-Artikel, den er zum Auftakt seines Besuchs in Nordkorea veröffentlichen ließ, ist allerdings lediglich von einer "Vertiefung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen" und "alternativen Handelsmechanismen" die Rede, um sich gemeinsam gegen westliche Sanktionen zu wehren. Kein Wort über Arbeitsmigranten, sondern lediglich über mehr Austausch zwischen den Universitäten und "humanitäre" Zusammenarbeit, womit Moskau zum Beispiel eine Belebung des Tourismus meint. Außerdem dankte Putin Nordkorea für die "starke Unterstützung" beim Krieg gegen die Ukraine.

Politologe Georgi Bovt erinnerte daran (externer Link), dass Russland 2007 mit Nordkorea eine Quote von 40.000 Arbeitsmigranten vereinbart hatte, von denen viele trotz der nachfolgenden Sanktionen unter dem Deckmantel von "wissenschaftlichen Austauschprogrammen" geblieben seien: "Möglicherweise gibt es Tausende solcher 'verdeckter' Arbeitskräfte, hauptsächlich in Sibirien und im Fernen Osten. So beantragte in diesem Jahr allein die Region Nowosibirsk zweitausend Bauarbeiter aus Nordkorea. Die russischen Behörden sind beeindruckt davon, dass Nordkoreaner im Gegensatz zu Gastarbeitern aus zentralasiatischen Ländern unter strenger Parteikontrolle stehen und keine eigenen ethnischen Vereinigungen gründen. Daher kann es in diesem Bereich zu neuen Vereinbarungen kommen."

"Nordkoreaner schmuggeln massenhaft Bargeld"

Das US-Fachblatt "Foreign Affairs" rät Präsident Biden übrigens dazu, genau hier anzusetzen (externer Link): "Das Kim-Regime erwirtschaftet Einnahmen, indem es Arbeiter ins Ausland schickt, um in der Gastronomie, auf Baustellen und in Ausbeuterbetrieben in aller Welt zu schuften. Diese Arbeiter schmuggeln massenhaft Bargeld nach Nordkorea und betreiben Geldwäsche und Cyberkriminalität. Washington und seine Verbündeten könnten die Lieferketten hinter Produkten, die durch nordkoreanische Zwangsarbeit hergestellt wurden, nachverfolgen und offenlegen und deren Verkauf innerhalb ihrer Grenzen verbieten."

"Werden herausfinden, wie unsere Geliebte tickt"

Der russische Exil-Politologe Anatoli Nesmijan kam darauf zu sprechen, dass der Kreml Putins Nordkorea-Besuch erst sehr kurzfristig offiziell bestätigte, obwohl der Plan längst allgemein bekannt war: "Die Gewohnheit, aus allem eine geheime Spezialoperation zu machen, ist eine alte Denk- und Lebensweise der russischen Führung. Sie macht aus allem ein Geheimnis, auch aus Dingen, die es überhaupt nicht erfordern. Die Mächtigen arbeiten an ihrem Nimbus, in dem sie alles und jedes mit dem Schleier des Geheimnisvollen und der Unverständlichkeit verhüllen."

Im eigenen Land löst Putins Kurztrip nach Pjöngjang gleichwohl wenig Begeisterung aus, abgesehen von staatlich gesteuerten Medien wie der Nachrichtenagentur RIA Nowosti ("Besuch bei Waffenbrüdern") und Propagandisten ("vernünftiger und zeitgemäßer Schritt"). Ganz im Gegenteil, es gibt viel Misstrauen gegenüber Nordkorea und jede Menge Sarkasmus, auch über ein "Partnerschaftsabkommen" zwischen Moskau und Pjöngjang: "Das ist ein echter diplomatischer und geopolitischer Erfolg, von dem wir vor ein paar Jahren noch nicht einmal zu träumen wagten", so einer der Polit-Blogger (164.000 Fans), der sich auch darüber lustig machte, dass Pjöngjang mit Putin-Porträts überflutet wurde. Das kam ihm etwas "unheimlich" vor: "Ein Gewaltherrscher weiß, wie man einen anderen mit Zucker bestreut."

"Leider kann Nordkorea der russischen Regierung wirklich alles geben, was sie gerade am dringlichsten benötigt – 'helfende Hände'", so ein weiterer Blogger, der auf die offenkundigen Gefahren einer Annäherung verweist: "Das wird China verärgern und zweifellos zur weiteren Erniedrigung unseres Staates führen. Wir werden noch herausfinden, wie unsere neue Geliebte tickt."

"Reservat des Totalitarismus"

Unter russischen Lesern dominiert eine Mischung aus Befremdung und Befürchtung, was Putins Stippvisite in Pjöngjang betrifft. Noch vor wenigen Jahren hätten russische Zeitungen Nordkorea als "Reservat des Totalitarismus" geschmäht: "Es ist seltsam, dass solch skandalöse Artikel inzwischen nicht gelöscht wurden, aber vielleicht bereiten sie uns moralisch auf ganz neue Lebensbedingungen vor."

So wird darauf verwiesen, dass Nordkorea nach Angaben der zuständigen UNO-Behörde seine Bevölkerung nur unzureichend ernähren kann. Tatsächlich gibt es widersprüchliche Angaben darüber, wie auskömmlich die tägliche Zuteilung von Nahrungsmitteln in Nordkorea ist, doch die Mindestmengen nach UN-Standard (600 Gramm) werden offenbar auf keinen Fall erreicht.

Flüchtlinge hatten erst kürzlich berichtet, viele von ihnen hätten weder Tagesrationen von 300, noch 400 Gramm erhalten, wie offiziell behauptet wird, sondern gar keine (externer Link) "Da gibt es Luft nach oben", kommentierte ein russischer Beobachter lakonisch. Ein anderer spottete, mit Putin und Kim Jong-un träfen sich zwei vereinsamte Menschen zur Selbsthilfe: "Wir platzen alle vor Stolz."

"Rasen gepflegt, Bäume beschnitten"

Es gebe mehr Russen, die in einem Land leben wollten, in dem "Ordnung" herrsche, als mancher denke, lobte ein Diskutant Nordkorea (externer Link): "Ich habe auf die sauberen Straßen dort geachtet, auf die gut erzogenen Menschen (sie tragen ihren Müll zur Tonne, anders als bei uns, wo sie ihn überall hinwerfen). Der Rasen wird gepflegt und gemäht, die Bäume beschnitten. Von Kindheit an spürt man die Ordnung und die richtige Führung und Bildung der Menschen sowie ihre Liebe zum Vaterland!" Die schlagfertige Antwort eines weniger begeisterten Kreml-Fans: "Auch in Singapur herrscht Ordnung, aber dort werfen sie nicht alle ins Gefängnis."

Allgemeine Zustimmung gab es für angeblich "sehr attraktive nordkoreanische Flugbegleiterinnen in Miniröcken", ergänzt um folgendes augenzwinkernde Lob: "Es ist auf jeden Fall ermutigend, dass man dort keine Narren auf Elektrorollern sieht."

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