Der Präsident mit einem Manuskript in der Hand
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Putin bei seiner Rede im russischen Außenministerium

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"Das wird nicht gut enden": Steckt Putin in einer "Sackgasse"?

Mit einem propagandistischen "Friedensplan", der einem Ultimatum gleicht, will der russische Präsident Stärke zeigen. Im eigenen Land überzeugt er damit nicht: Er suche lediglich Schuldige für das eigene Versagen und gehe vor China "auf die Knie".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Um es auf den Punkt zu bringen: Putin und das russische Außenministerium trafen sich auf eine Runde autogenes Training", so ein russischer Leser ironisch über einen sehr kurzfristig angekündigten Auftritt des russischen Präsidenten vor seinen Diplomaten. Kurz vor der in der Schweiz stattfindenden internationalen Ukraine-Konferenz wollte Putin wohl ein propagandistisches Signal senden und legte einen "Friedensplan" vor.

Allerdings verlas er sein umfangreiches Manuskript eher lustlos, räusperte sich unablässig und atmete immer wieder so hörbar, dass es rein akustisch fast schon einem Seufzen gleichkam. So sagte Putin, er wolle das aktuelle "tragische Kapitel" der russischen Geschichte hinter sich lassen und neue Seiten aufschlagen. Sogar von "guter Nachbarschaft" mit Europa, "Schritt für Schritt", war plötzlich die Rede. Aber Putin drohte auch damit, dass "die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen andere sein" würden, wenn der Westen seine Vorschläge ablehne.

"Hat er seine eigenen Worte vergessen?"

Der Auftritt enthielt insgesamt wenig Neues und glich eher einem Ultimatum. Wenn alle ukrainischen Soldaten die von Russland teilweise besetzten und per fingierter "Volksabstimmung" annektierten Gebiete räume, werde Moskau einlenken, so Putin. Allerdings dürfe die Ukraine niemals eine NATO-Mitgliedschaft beantragen.

Von einer "Entnazifizierung" und "Entmilitarisierung" der Landes, wie Moskau die angestrebte Installation einer Marionettenregierung in Kiew bisher stets umschrieb, war allerdings keine Rede mehr, was vielen russischen Beobachtern auffiel: "Hat er seine eigenen Worte schon vergessen?" Außerdem nutzte Putin die Gelegenheit, abermals wortreich auf die USA und deren angeblich "aggressiven Messianismus" zu schimpfen, was angesichts der verschärften Sanktionen allerdings eher beleidigt klang.

Der Auftritt sei mindestens "seltsam" gewesen, urteilten fachkundige Blogger und legten nahe, dass Putin aus einer Position der Schwäche handelte: "Natürlich wird Moskau versprechen, nicht noch einmal anzugreifen. Aber wer wird das jetzt noch glauben? Unabhängig davon brachte mich die Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen zum Lachen."

"Wir werden trotzdem das Feuer einstellen"

"Offenbar will der Kreml damit sicherstellen, dass diese Aussagen letztlich zum Hauptthema des Treffens in der Schweiz werden – und nicht die Friedensformel Selenskyjs", so Kreml-Propagandist Sergej Markow: "Die Hauptsache ist, dass Verhandlungen mit dem Westen unmöglich sind, weil der Westen nur seinen Willen durchsetzen will und die Interessen anderer Länder nicht respektiert. Alle Länder der Welt können jederzeit Opfer westlicher politischer Aggression werden. Das kollektive Sicherheitssystem wurde vom Westen zerstört. Die allgemeine Botschaft ist, dass der Westen die Welt in die Katastrophe führt."

Ein weiterer russischer Propagandist formulierte so offenherzig wie unfreiwillig komisch: "Putins Ultimatum wurde nicht an die Ukraine, sondern an den Westen gerichtet. Warum klang es stellenweise etwas kantig? Weil es früher Verhandlungen gab, bei denen wir ausgetrickst wurden. Die Forderung nach Überlassung der Regionen Cherson und Saporischschja ist eine Wiedergutmachung für diese Täuschung. Darüber hinaus liegt auf der Hand, dass wir das Feuer trotzdem einstellen, wenn der schläfrige Joe [Biden] morgen aufwachen und sagen sollte: 'Okay, lasst uns miteinander reden', aber wir sollten es nicht übereilen. Er wird es ohnehin nicht sagen und deshalb werden wir nicht aufhören."

"Jetzt ist jeder Rückzug eine Niederlage"

Das innerrussische Echo auf Putins Einlassungen fiel abgesehen von Propagandisten fast durchweg negativ aus [externer Link]: "Nur wer sich längst darüber im Klaren ist, dass es völlig sinnlos und unmöglich ist, die ursprünglich gesetzten Ziele zu erreichen, kann regelmäßig auf Verhandlungen und die Einrichtung einer Sanitärzone zu sprechen kommen", so ein Kommentator.

Andere spotten über die "Angst" Putins vor der NATO, nannten das Ganze eine "Clownerie" oder hielten ihn gar für "wahnhaft": "Seit wann können es sich Zwerge leisten, dermaßen arrogant zu sein?" Der Punkt, ab dem es keine Rückkehr mehr gebe, sei leider überschritten, urteilten Leser, allerdings in einem gänzlich anderen Sinne, als es der Kreml suggeriere.

"Das Problem ist nicht, dass Putin unmögliche Bedingungen für einen Waffenstillstand formuliert hätte", so Exil-Politologe Wladimir Pastuchow, der in London tätig ist, "sondern dass er sie ausgesprochen hat. Jetzt ist jeder Rückzug von ihnen für ihn eine relative Niederlage. Das bedeutet, dass noch immer ein 'harter Kerl' auf uns wartet." Er mutmaßte, dass die weiteren Ereignisse davon abhingen, ob es Russland gelinge, sich mit Gewalt durchzusetzen. Putin habe zur US-Regierung jedwedes Vertrauen verloren.

"Schuhe sind Putin zu groß"

Exil-Politologe Anatoli Nesmijan verbreitete die These, Putin befinde sich in einer ausweglosen Lage, in die ihn einst der britische Premierminister Boris Johnson manövriert habe, als der eine Verständigung zwischen Moskau und Kiew bei Waffenstillstandsgesprächen in Istanbul unterbunden habe [externer Link]: "Die russische Führung sah sich mit Leuten und Kräften konfrontiert, die auf einem viel höheren Niveau waren als sie selbst, auch intellektuell. Moskau kann nicht mehr aus der Sackgasse herauskommen, da überlegene Gegner jeden Versuch ebenso leicht zunichtemachen werden wie bisher. Die Schuhe sind Putin zu groß. Deshalb kann er sich nur auf Gewalt und Ultimaten verlassen, was allen beteiligten Parteien völlig entgegenkommt. Deshalb ist die aktuelle Situation eine Sackgasse." Sowohl China, als auch der Westen seien an dieser Art "Stillstand" derzeit interessiert.

Die soeben verschärften Sanktionen, etwa die erzwungene Aussetzung des Handels mit Dollar und Euro an der Moskauer Börse, hätten das bestätigt, urteilt ein weiterer Polit-Blogger mit 100.000 Fans: "Somit befinden wir uns erneut in einer Sackgasse, in der die Trennung vom US-Dollar von einer Yuan-Ersatztherapie abgelöst wird. Solche Schritte verhindern, dass Russland jemals volle staatliche Souveränität erlangen kann und zwingen es, vor seinen Pekinger Genossen in die Knie zu gehen. Das wird nicht gut enden, aber die Situation entgleitet dem Kreml." Ausgerechnet jetzt auf Chinas Währung zu setzen, wo Peking selbst enorme wirtschaftliche Probleme habe, sei keine gute Idee und werde Russland schwächen.

"Spannungen zu eigenen Bedingungen abbauen"

Blogger Dmitri Sewrjukow ist überzeugt, dass Putin auf Druck der jüngsten Sanktionen zumindest taktisch Friedensfühler ausstrecken muss [externer Link] : "Es ist offensichtlich, dass die aktuelle Rede des Präsidenten, die auf ein ausländisches Publikum zielt, mit den aktuellen Entwicklungen und der Verschärfung der geopolitischen Konfrontation an allen Fronten zu tun hat, einschließlich der ehemals sowjetischen Regionen der GUS-Staaten, und dem erhöhten Sanktionsdruck des Westens auf Russland. Dabei spielt auch die verstärkte militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen eine Rolle. Wie spekuliert wird, konnte der Präsident nicht länger schweigen und erklärte somit, dass Russland zwar prinzipienfest bleiben werde, aber dennoch seine Hand ausstreckt, um sich zumindest auf einige Schlüsselfragen zu einigen und die Spannungen zu seinen eigenen Bedingungen abzubauen."

"Unser Schwachpunkt sind die befreundeten Staaten"

Der Chefkolumnist der auflagenstarken "Moskowski Komsomolez", Michail Rostowski, kam zu dem Fazit, dass das Jubelgeschrei der russischen Propagandisten über die vermeintlich wirkungslosen Sanktionen verfrüht gewesen sei [externer Link]. Der Westen gieße vielmehr eine "mörderische Portion Zement" in alle undichten Stellen: "Unser Schwachpunkt, auf den der Westen mittlerweile von verschiedenen Seiten aus gezielt feuert, ist der Austausch mit befreundeten Staaten. Nehmen wir zum Beispiel ein Land wie China. Es scheint, dass dieser Staat, der dabei ist, Amerika vom Podest der stärksten und größten Volkswirtschaft der Welt zu stoßen, eigentlich keinen Grund hat, 'Nadelstiche' seitens der Vereinigten Staaten zu befürchten. Aber genauso kommt es mir vor."

Russland bekomme die "Schläge der amerikanischen Finanzpeitsche" derzeit in Echtzeit zu spüren. Ob das eines Tages zu einer "glänzenden Zukunft" führe, sei dahingestellt. Rostowski räumt ein, dass es für Putin keine "Zauberpille" gegen US-Sanktionen gebe und der Ball jetzt wieder bei der russischen Zentralbank liege, die auf Rettungsmaßnahmen sinnen müsse: "Ich weiß nicht, welches Gegenmittel sie gegen die nächste amerikanische Schurkerei finden wird. Und wenn, bin ich mir nicht sicher, ob ich es kapieren würde."

Ein weiterer russischer Kolumnist bilanzierte Putins Auftritt denkbar lakonisch: "Die endlosen Klagen des Präsidenten, mit denen er Schuldige für sein eigenes Versagen benennt, sind weniger eine Einschätzung als vielmehr eine Diagnose."

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