Die Tat war kurz und heftig: Mit einem Messer hat ein Mann am Freitag Teilnehmer einer islamkritischen Kundgebung auf dem Mannheimer Marktplatz angegriffen und mehrere Menschen verletzt. Unter den Verletzten ist auch der verfassungsschutzbekannte Islamkritiker Michael Stürzenberger aus Bayern. Ein attackierter Polizist ringt um sein Leben. Gegen den mutmaßlichen Attentäter ist inzwischen ein Haftbefehl wegen versuchten Mordes erlassen worden. Nach der Tat stellen sich viele Fragen.
Was ist passiert?
Auf dem Youtube-Livestream der islamkritischen Pax Europa (BPE) ist alles genau festgehalten: Die ersten Minuten ist alles ruhig auf der Kundgebung der BPE in Mannheim. Die ersten Menschen versammeln sich um den Stand. Im Hintergrund hört man den Islamkritiker Michael Stürzenberger, wie er sich mit einer anderen Person unterhält.
Dann, nach mehr als zwölf Minuten, fokussiert sich alles auf den Tatverdächtigen, wie er auf Stürzenberger offenbar mit einem Messer einsticht. Es folgen wilde Rufe: "Messer weg, Messer weg." Der Tatverdächtige läuft weiter, sticht offensichtlich auf einen Polizisten ein. Dann wird er niedergeschossen.
Wie schwer sind die Verletzungen?
Landeskriminalamt (LKA) und Staatsanwaltschaft Karlsruhe teilten am Freitagnachmittag mit, der Polizeibeamte habe bei dem Einsatz "einen Verletzten aus dem unmittelbaren Gefahrenbereich bringen" wollen. Dabei habe der Tatverdächtige den Beamten angegriffen und ihn mit seinem Messer "mehrmals von hinten in den Bereich des Kopfes gestochen". Laut dem LKA sind die Verletzungen lebensgefährlich und der Beamte ist inzwischen in ein künstliches Koma versetzt worden.
Über das Ausmaß und die Schwere der Verletzungen der anderen Betroffenen könne bislang keine Aussage getroffen werden, hieß es von den Ermittlern. Rettungskräfte brachten die Verletzten in verschiedene Kliniken, wo sie zum Teil notoperiert wurden. Laut dem LKA-Sprecher handelt es sich bei allen Verletzten außer dem Beamten um Teilnehmer der Kundgebung. Ob sie auch Mitglieder von Pax Europa sind, sei noch unklar. Auch der Täter sei operiert worden und zurzeit nicht vernehmungsfähig.
Stürzenberger meldete sich indes mehrfach via Messenger-Dienst Telegram zu Wort. Auch er sei operiert worden. Die OP sei gut verlaufen. "Es war richtig knapp gestern", schrieb der 59-Jährige am Samstagvormittag auf der Plattform Telegram. Er habe mehrere Stichverletzungen erlitten, eine davon im Gesicht. Eine Wunde am Oberschenkel habe "erheblichen Blutverlust" verursacht.
Ist der Tatverdächtige ein Islamist?
Nach Spiegel-Informationen handelte der Tatverdächtige nach Einschätzung der Ermittler wohl aus islamistischem Motiv [externer Link, möglicherweise Bezahl-Inhalt]. Gesichert sei dies aber noch nicht. "Was uns am meisten umtreibt, ist die Frage nach dem Motiv", hieß es aus dem baden-württembergischen Landeskriminalamt.
Nach SWR-Informationen kommt der 25-jährige Verdächtige aus Südhessen. Er ist 1999 in Herat in Afghanistan geboren und 2014 nach Deutschland gekommen. Er ist afghanischer Staatsbürger, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Für den polizeilichen Staatsschutz und den Verfassungsschutz in Deutschland ist der Mann nach SWR-Informationen ein Unbekannter, also nicht mit extremistischen Positionen oder Straftaten aufgefallen. Er hat offenbar den Recherchen zufolge einen gültigen Aufenthaltstitel für Deutschland. Zunächst gestaltete sich die Identifikation des Mannes als schwierig, weil er keinerlei Ausweispapiere oder persönliche Gegenstände bei sich hatte und nach der Schussverletzung durch die Polizei ins Krankenhaus gebracht wurde.
Aus dem LKA heißt es, zahlreiche Fragen seien noch ungeklärt und Gegenstand der Ermittlungen. "Was ist das für ein Messer? Woher stammt das? Hat er das Messer gekauft?" Über die Antworten darauf wolle man auch herausfinden, ob der Festgenommene die Tat geplant oder ob es sich um einen spontanen Angriff gehandelt habe. Die für politische Delikte zuständige Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ermittelt.
Am Freitagabend hat die Polizei zusammen mit Spezialkräften die Wohnung des mutmaßlichen Täters im hessischen Heppenheim durchsucht. Dabei sind Datenträger sichergestellt worden, die man nun untersuche.
Wie verhielt sich der Verdächtige wenige Minuten vor der Tat?
Wenige Minuten vor der Tat sieht man den tatverdächtigen Attentäter im Youtube-Livestream zur Kundgebung gehen. Der Verdächtige trägt eine Kappe und schaut immer wieder auf sein Handy. Er verhält sich anfangs ruhig, scheint die Lage zu beobachten. Auch sucht er offensichtlich die Nähe zu Stürzenberger.
Wer ist Michael Stürzenberger?
Der 59-jährige Michael Stürzenberger ist einer der führenden Köpfe von Pax Europa (BPE). Die Bewegung beschreibt sich auf ihrer Website als "Menschenrechtsorganisation".
Der bayerische Verfassungsschutz schrieb in seinem Bericht für das Jahr 2022 über Stürzenberger und den bayerischen Landesverband der BPE, es lägen "tatsächliche Anhaltspunkte" dafür vor, dass diese "verfassungsschutzrelevante islamfeindliche Bestrebungen" verfolgten, "die auf eine Abschaffung der Religionsfreiheit für Muslime gerichtet sind". Im jüngsten Bericht der Behörde für das Jahr 2023 tauchen Stürzenberger und die BPE nicht mehr auf. Das liegt nach Angaben des Landesamts für Verfassungsschutz aber nur daran, dass diese weniger aktiv seien. Sowohl Stürzenberger als auch der BPE Landesverband Bayern würden weiter beobachtet.
Der studierte Politikwissenschaftler Stürzenberger war einst Pressesprecher der CSU in München. Im Jahr 2011 stieg er bei der Partei Die Freiheit ein, die alsbald beim Landesverfassungsschutz als islamfeindliche Gruppierung auftauchte.
Wie reagiert die Politik?
Mannheims Oberbürgermeister Christian Specht (CDU) bezeichnete den Messerangriff als Terrorattacke. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einem Attentäter und verurteilte den Angriff. "Die Bilder aus Mannheim sind furchtbar", schrieb Scholz auf der Plattform X. "Mehrere Personen sind von einem Attentäter schwer verletzt worden. Meine Gedanken sind bei den Opfern. Gewalt ist absolut inakzeptabel in unserer Demokratie. Der Täter muss streng bestraft werden."
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zeigte sich bestürzt. "Ich verurteile die Tat in Mannheim aufs Schärfste!", schrieb seine Sprecherin Cerstin Gammelin in Steinmeiers Namen auf der Plattform X. "In unserer Demokratie darf kein Platz für Gewalt sein - Gewalt zerstört Demokratie. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte: "Wenn die Ermittlungen ein islamistisches Motiv ergeben, dann wäre das eine erneute Bestätigung der großen Gefahr durch islamistische Gewalttaten, vor der wir gewarnt haben."
Im Audio: Politikerinnen und Politiker erschüttert über Messerangriff in Mannheim
Wie reagieren Islamisten auf das Attentat?
Unter Islamisten ist insbesondere Michael Stürzenberger schon länger ein Feindbild. Seit Jahren reist er durch Deutschland und spricht öffentlich über sein Islam-Bild. Er provoziert, gilt deshalb auch für Verfassungsschützer als Islamfeind – beim Bayerischen Verfassungsschutz seit 2012 ein "eigenständiger Phänomenbereich, der sich nicht nur auf den Bereich Rechtsextremismus beschränkt" [externer Link].
Anders als im Bereich Islamfeindlichkeit entdecken Islamisten und Rechtsextreme immer wieder auch gemeinsame Schnittpunkte, wenn es sich dabei auch um ein Randphänomen handelt.
Stürzenberger lieferte sich in den vergangenen Jahren immer wieder heftige Wortgefechte mit Islamisten – hauptsächlich in der Münchner Innenstadt. Davon zeugen Videos und BR24-Recherchen. Auch wurde Stürzenberger bei diesen Veranstaltungen mehrfach bedroht.
In den Telegram-Chats ist die Freude groß – über die Attacke am "Feind Allahs". Ein deutscher Islamist, der sich mutmaßlich in Syrien bei einer islamistischen Rebellen-Gruppe aufhält, freut sich offensichtlich über die Tat und hetzt gegen Stürzenberger auch nach dessen Verletzung.
Sind Islamkritiker ein beliebtes Ziel für Islamisten?
Sollten sich die Islamismus-Vorwürfe gegen den Verdächtigen erhärten, dann wäre Stürzenberger nicht der erste Islamkritiker im Fokus von Terroristen. 2022 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf [externer Link] fünf Tadschiken zu mehrjährigen Freiheitsstrafen. Sie hatten unter anderem einen Anschlag auf einen Islamkritiker in Nordrhein-Westfalen geplant und sich sogar schon Pistolen besorgt.
Sie standen zum Zeitpunkt ihrer Planungen via Chat mit einem hochrangigen Mitglied des sogenannten ISPK in Kontakt. Dabei handelt es sich um den afghanischen IS-Ableger – Islamischer Staat Provinz Khorasan. Das hochrangige IS-Mitglied instruierte die Männer. Er wünschte sich laut Urteil "ein Video oder Fotos" von dem getöteten Islamkritiker: "Aus diesem Bildmaterial werde er ein Propaganda-Video erstellen und anschließend im Namen des IS im Internet verbreiten."
- Mehr dazu im Funkstreifzug: Gefahr IS – Wie Rekrutierung und Geldspenden die innere Sicherheit in Deutschland bedrohen
Mit Informationen von dpa
Im Video: Aufnahmen der Messerattacke in Mannheim
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!