Bayerische Polizisten kontrollieren am Grenzübergang Kiefersfelden
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Migration: "Abschreckung funktioniert im Asylbereich nicht"

Migration: "Abschreckung funktioniert im Asylbereich nicht"

Kaum eine politische Debatte wird derzeit so hitzig geführt wie die um Migration. Ministerpräsident Söder verweist gern auf Dänemark oder Schweden. Aber das hätte für Deutschland auch negative Konsequenzen, sagt Migrationsexperte Constantin Hruschka.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Es sind Zahlen, die manche deutsche Politiker beeindrucken: 2023 wurden in Schweden – umgerechnet auf je eine Million Einwohner – 850 Asylanträge gestellt, in Dänemark 387 und in Deutschland 3.900. Rang eins im EU-Vergleich. Friedrich Merz (CDU), Markus Söder (CSU) und andere schlussfolgern: Dänemark und Schweden sollten Vorbild für Deutschland sein.

Constantin Hruschka, einer der besten Kenner der europäischen Migrationspolitik warnt, dass die dänischen und schwedischen Asylmodelle nur bedingt auf Deutschland übertragbar seien; zudem haben sie auch negative Konsequenzen. Hruschka ist Jurist und Experte für internationales und europäisches Migrationsrecht, forscht am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München und beleuchtet im BR24-Interview für "Possoch klärt" (Video oben, Link unten) die deutsche Asylpolitik sowie die Debatte darum.

BR24: Was macht Deutschland Ihrer Ansicht nach alles falsch in der Asylpolitik?

Constantin Hruschka: Deutschland konzentriert sich vor allem auf den Versuch, den Zugang zu erschweren, statt sich in der Asylpolitik darauf zu konzentrieren, zu schauen, wer einen Schutzbedarf hat und das möglichst gut und schnell herauszufinden. Das führt dann dazu, dass man langwierige Verfahren hat, die dazu führen, dass man Schwierigkeiten hat, Personen deutlich zu sagen, wenn sie keinen Schutz in Deutschland bekommen.

Migration: Machen es Schweden und Dänemark besser?

BR24: Bei der Debatte um Zuwanderung, Migration, Asyl fällt häufig aus Kreisen der Union der Vergleich mit Dänemark und Schweden. Machen diese Länder es denn wirklich besser als Deutschland?

Hruschka: Sie machen es jedenfalls anders und der Vergleich hinkt vor allem, wenn man beide in einem Atemzug nennt, weil Schweden hatte eine sehr liberale Migrationspolitik und hat die jetzt quasi auf das Niveau abgesenkt, das die meisten europäischen Staaten, also auch Deutschland, haben. Das heißt, Schweden ist gar nicht ernsthaft restriktiver als Deutschland. Bei Dänemark ist es ein bisschen anders. Aber Dänemark ist eben auch nicht an das gesamte europäische Recht in dem Bereich gebunden.

BR24: Gibt es dennoch etwas, das Deutschland von Dänemark oder Schweden lernen könnte?

Hruschka: Ich denke, man muss sich die Frage stellen: Welchen Effekt hat eine restriktive Asylpolitik auf die Migrationspolitik? Wir erleben jetzt schon die Effekte, die Deutschland mit der Abschreckung erzielen will. Die Abschreckung funktioniert im Asylbereich gar nicht so gut. Da gehen die Zahlen zwar zurück, aber auch, weil insgesamt die Zahlen in Europa zurückgehen, während die Zahlen der Fachkräfte, die man anwerben möchte, runter gehen, weil immer mehr Personen lieber andere Länder als Fachkräfte wählen als Deutschland.

Im Video: Was machen Schweden und Dänemark anders bei der Migration? Possoch klärt!

"Deutschland konzentriert sich zu sehr darauf, Asylanträge nicht zu prüfen"

BR24: Was ist Ihrer Ansicht nach der Schlüssel für eine erfolgreiche Asylpolitik?

Hruschka: Aus meiner Sicht hat eine erfolgreiche Asylpolitik im Grunde zwei wichtige Aspekte: Die Personen, die Schutz brauchen, bekommen Schutz und bekommen diesen möglichst schnell. Und die Personen, die keinen Schutz brauchen, erhalten möglichst schnell die Antwort, dass sie nicht bleiben dürfen. Weil: Je länger die Personen im Land sind, ohne ein Aufenthaltsrecht zu haben, umso schwieriger wird es, die Personen davon zu überzeugen, dass sie das Land verlassen und auch die zwangsweise Durchsetzung, also Abschiebungen werden schwieriger, je länger die Person im Land ist.

BR24: Das klingt logisch und einfach und das sagt die Migrationsforschung schon lange – warum klappt das aber in der Praxis einfach nicht in Deutschland?

Hruschka: Die Lösungen sind natürlich nicht einfach, weil es um einzelne Menschen geht. Das heißt, ich muss auch Verfahren aufstellen, die quasi im Einzelfall Entscheidungen ermöglichen, die auch nicht immer ganz einfach sind. Aber meine Grundthese und auch das, was wir in der Forschung rausgefunden haben, ist, dass Deutschland sich zu sehr drauf konzentriert: Wie schaffe ich es, einen Asylantrag nicht prüfen zu müssen statt die Ressourcen, die da sind und die auch investiert werden, daran zu setzen, dass man sagt, bei dieser Person muss einmal geschaut werden, ob sie Schutz braucht und das muss möglichst schnell gehen. Das ist aus meiner Sicht eine Fehlallokation von Ressourcen.

Zurückweisungen an der Grenze "helfen niemandem"

BR24: Das hieße, die Diskussion um Zurückweisungen an der Grenze sind nicht zielführend?

Hruschka: Es ist niemandem geholfen, wenn man das Ganze europäisch denkt, wenn Personen, die irregulär migrieren, irgendwo im Niemandsland zwischen Polen und Deutschland oder zwischen Österreich und Deutschland stehen und dort nicht weiterkommen und dann versuchen, irgendwie weiterzukommen. Das verlängert nur den gesamten Prozess. Das heißt, wenn ich so etwas machen möchte, dann muss ich das Ganze europäisch machen und auch akzeptieren, dass Deutschland als wirtschaftsstarkes Land ein attraktives Land ist. Da geht es nicht um die Frage, wie sind die deutschen Gesetze, sondern die Attraktivität Deutschlands kommt daraus, dass es ein großes Land ist, ein bekanntes Land und ein wirtschaftlich erfolgreiches Land.

BR24: Beißt sich da die Katze dann nicht in den Schwanz? Die Europäische Union hat Schwierigkeiten, eine gemeinsame Linie durchzusetzen, Ungarn schert aus, Deutschland will strenger werden…

Hruschka: Ja, die letzten Jahre haben gezeigt, dass die EU-Kommission als Hüterin der Verträge ihrer Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Länder europäisches Recht einhalten, nicht in der Weise nachgekommen ist, wie man das gerne sehen würde. Mehr Vertragsverletzungsverfahren wären sicher richtig gewesen. Vor allem auch der Versuch einer Verständigung mit den Ländern, die bereit sind, Migrationspolitik europäisch zu denken, weil das werden immer weniger. Die ungarische Regierung denkt seit Jahrzehnten nicht europäisch in diesem Bereich. Dann muss man halt vielleicht versuchen, eine Lösung ohne Ungarn zu finden.

Gefährdet der Streit um die strengere Asylpolitik den europäischen Zusammenhalt?

BR24: Der EU geht es aber doch auch darum, generell niedrigere Asyl-Zahlen zu haben, oder?

Hruschka: Mir geht es nicht darum, zu sagen, es müssten höhere Zahlen seien, aber um einen Fokus auf die Binnenvertreibung. Man sieht es eben an Schweden und an Dänemark: Das hat einen Abdrängungseffekt. Die Personen sind ja da, dann müssen es andere Länder machen, die aber auch zum Schengenraum gehören. Das heißt, dieser Abdrängungseffekt, der hilft niemandem, europäisch und darüber eine Verständigung zu finden wäre aus meiner Sicht das Richtige. Es geht nicht darum, zu sagen, wir machen alle Grenzen oder vor allem alle Außengrenzen auf, sondern es geht darum, zu sagen, wenn die Personen da sind, wir akzeptieren erstmal, dass die Personen da sind und wissen, was wir tun müssen, nämlich den Schutzbedarf möglichst schnell feststellen, damit möglichst früh Klarheit ist, was die Person für Möglichkeiten hat und was dann auch der Staat für Handlungsmöglichkeiten behält.

Lösung der Asylkrise: Schengen abschaffen, weniger Europa?

BR24: Liegt dann ein Lösungsansatz im anderen Extrem: Schengen abschaffen, weniger Europa?

Hruschka: Das ist aus meiner Sicht das politische Ziel derer, die jetzt anfangen, von deutschen Außengrenzen zu sprechen und die Binnengrenzen meinen, nicht die Flughäfen und Seehäfen, und dass es darum geht, quasi weniger Europa zu haben. Was das für fatale wirtschaftliche Folgen haben kann, wenn man sich wirklich abschottet, hat man in der Corona-Zeit gesehen, und ich denke, das ist etwas, wo niemand hin will, aber das Bewusstsein dafür, was die wirtschaftlichen Nebeneffekte von einem abgeschotteten Deutschland sind, das ist so nicht vorhanden, weil man es so nicht spürt bisher, weil die Grenzkontrollen ja auch nur punktuell sind.

Im Audio: Migrationsexperte Constantin Hruschka über die europäische Asylpolitik

Ein Mann mit Brille, mittleren Alters, in Anzug und weißem Hemd; es ist der Migrationsexperte Constantin Hruschka
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Machen Schweden und Dänemark eine bessere Asylpolitik, Herr Hruschka?

"Strengere Asylpolitik schwächt auch die Fachkräftezuwanderung"

BR24: Was wären denn weitere Folgen einer strengeren Asylpolitik in Deutschland?

Hruschka: Das sind Dinge, die dann nicht auf die Migrationspolitik beschränkt sind, beziehungsweise die dann auf die ganze Migrationspolitik ausstrahlen und die besteht ja nicht nur aus der Asylpolitik. Wenn man sich insgesamt die Zahlen anschaut, ist die Asylmigration ein geringer Teil dessen, was es an Zuwanderung nach Deutschland gibt. Viel dieser Zuwanderung ist quasi auch gewollt, insbesondere natürlich die Freizügigkeit für Staatsangehörige anderer EU-Staaten, aber eben auch die Fachkräftezuwanderung. Die wird natürlich auch schwieriger, wenn Deutschland sich abschottet.

Das heißt man wird unattraktiver, aber eben nicht nur für Personen, die Asyl wollen, sondern auch für Personen, die hier arbeiten wollen, vielleicht für Personen, die über die Grenzen arbeiten. Die langen Staus, die dann ausgelöst werden durch Grenzkontrollen führen dazu, dass Arbeitswege länger werden von Personen, die in Deutschland arbeiten und vielleicht in Polen oder in Österreich wohnen. Und diese Effekte müsste man mit beleuchten, bevor man sagt, es geht um eine restriktivere Politik wie Schweden oder Dänemark. Weil bei Schweden oder Dänemark habe ich eben eine ganz andere Grenzsituation, eine viel kürzere Grenze, viel weniger Effekte, viel weniger transnationale Migration.

Das müsste man in Deutschland durchaus mitberücksichtigen. Und es wird ja momentan auch mitberücksichtigt, weil man die Grenzkontrollen nicht so scharf macht, wie man sie machen könnte. Auch, weil es natürlich nicht genug Ressourcen gibt.

"Wenn ich mich abschotte, habe ich eher eine höhere Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags"

BR24: Sehen Sie einen klaren politischen Willen in Deutschland, wie die Asylpolitik verändert werden soll?

Hruschka: Ich sehe momentan eine Diskussion, die aufgrund einzelner Kriminalitätsereignisse sich in der Richtung bewegt hat, die irrational ist. Natürlich ist diese Sicherheitsgefahr real, die zum Beispiel von islamistischem Terrorismus ausgeht. Aber auch das ist eine Frage, die müsste ich eher europäisch lösen, denn islamistischer Terrorismus arbeitet vernetzt. Wenn ich mich abschotte, habe ich im Grunde eher eine höhere Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlags, als wenn ich europaweit zusammenarbeite.

Ich denke, diese Fehlwahrnehmung, dass man es in Deutschland irgendwie besser könnte, weil man dann mit nationalen Maßnahmen effektiver ist, das ist etwas, das das europäische Projekt im Grunde schon widerlegt hat. Aber wir haben das Wissen nicht mehr aktuell, weil es schon so lange so ist, dass Binnengrenzkontrollen abgeschafft sind.

BR24: Danke für das Gespräch.

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