Archivbild (6.9.2023): Ein Fahrzeug der polnische Grenzschützer fährt am Grenzzaun auf der polnischen Seite zu Belarus entlang. An der EU-Außengrenze zum Nachbarland Belarus hat Polen einen 5,5 Meter hohen Metallzaun mit Bewegungsmeldern und Nachtsichtkameras errichtet.
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Polnische Grenzschützer an der EU-Außengrenze, Polen.

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Migration: Europäische oder nationale Lösung?

Migration: Europäische oder nationale Lösung?

Mehr Grenzkontrollen, mehr Zurückweisungen, schnellere Verfahren: So will die Bundesregierung irreguläre Migration zurückdrängen. Das ist auch Ziel der schon beschlossenen EU-Asylreform. Kommt sie nun schneller – oder entfernt sich Deutschland davon?

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Das Thema Migration dominiert die politische Debatte – Vertreter der Bundesregierung sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder von der gemeinsamen, europäischen Asylreform als Lösung (kurz: GEAS). Nach jahrelangen Verhandlungen hat sich die EU auf eine verschärfte Asylreform geeinigt. Unter anderem liegt der Fokus auf Kontrollen und Asylverfahren an den EU-Außengrenzen. So sollen Personen aus Ländern mit geringer Anerkennungsquote europäischen Boden erst gar nicht betreten.

Scholz zu Asylverfahren: "Ganz schnell umsetzen"

Die Reform soll ab 2026 gelten – doch so lange will die Bundesregierung nicht warten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte im Bundestag schnellere Verfahren für diejenigen Personen an, die keine Chance auf Asyl-Erfolg in Deutschland haben: "Das werden wir jetzt ganz schnell umsetzen, und wir warten nicht bis zum letzten Moment. Diese Gesetze sind fast fertig geschrieben. Sie werden bald den Deutschen Bundestag erreichen, und sie werden dieses Jahr noch beschlossen werden."

Doch: Es war ohnehin geplant, die GEAS-Reform in diesem Herbst national umzusetzen. So gibt es der Zeitplan der Europäischen Kommission für die Mitgliedsstaaten vor. Das Bundesinnenministerium hat bereits begonnen, an dem sogenannten Implementierungsplan zu arbeiten "und ist hierzu in engem Austausch mit der EU-Kommission", wie es auf BR24-Anfrage heißt.

GEAS: Nach der Reform ist vor der Reform

Von "ganz schnell umsetzen", wie es der Bundeskanzler ankündigt, kann daher nicht die Rede sein. Eher: Nach der Reform ist vor der Reform. Es steht ein "Kraftakt" an, um die europäischen Verordnungen in nationales Recht umzusetzen, wie Migrationsforscher David Kipp im BR24-Interview sagt. Dafür müssen Gesetze in Deutschland erlassen oder das Recht angepasst werden – all das muss im parlamentarischen Verfahren beschlossen werden, was viele Debatten und Anhörungen auch von NGOs oder Verbänden im Bundestag bedeutet. Und: auch die Bundesländer müssen wohl zustimmen. Der politische Prozess: langwierig, zeitintensiv.

Daneben geht es um die praktische Umsetzung – damit einhergehen Fragen nach neuen Einrichtungen für Unterbringungen, Haftplätze, Ausrüstung und Personal. Kipp spricht von schon jetzt überforderten Verwaltungen, Ausländerbehörden, Asylanträgen, die sich stapeln: "Niemand kommt mehr hinterher, wir haben ein Umsetzungsdefizit." Seine Befürchtung: Dass "solche hyperaktiven Diskussionen wie die jetzige dazu beiträgt, dass man Umsetzungsfragen hinten anstellt."

Europäische oder nationale Lösung?

Mit "hyperaktiven Diskussionen" meint er auch Ankündigungen und Pläne der Bundesregierung: Grenzkontrollen, mehr Zurückweisungen und schnellere Asyl-Prüfverfahren an deutschen Grenzen. Doch setzt die Regierung damit nicht einfach die GEAS-Reform um?

Die Maßnahmen mögen in Teilen an die EU-Asylreform erinnern, sagt Lukas Fuchs vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung im BR24-Interview. Aber: Innerhalb der EU-Reform geht es um Kontrollen und Asylgrenzverfahren an den EU-Außengrenzen. Wie Fuchs erinnert, drehen sich die derzeitigen politischen Debatten und Vorschläge in Deutschland aber um Verfahren an den Schengen-Innengrenzen. Er meint: "Das ist keine Umsetzung der GEAS-Reform, sondern ein deutscher Alleingang." Die Regierung riskiere damit die viele Jahre lang debattierte GEAS-Reform, die auch auf europäische Solidarität setze. Nachbarländer wie Österreich oder Polen zeigen sich alarmiert.

Wissenschaftler: Konzentration auf GEAS-Reform

Auch Constantin Hruschka, Professor für Sozialrecht, nimmt eine Nationalisierung der Debatte wahr, und damit ein "Weggehen der europäischen Kooperation". Wie erklärt er sich das, wo doch GEAS geeint war? Landtagswahlen sind das eine, die Signalwirkung an Nachbarländer das andere: "Dass sich nicht nur Deutschland an Recht hält, sondern auch andere Staaten". Das Dilemma aber: Die Debatten hätten auch eine Signalwirkung an ausländische Fachkräfte, die abgeschreckt würden.

Worin sich alle Wissenschaftler einig sind: Die Bundesregierung sollte sich auf die Umsetzung der GEAS-Reform konzentrieren. Asylreformen brauchen Zeit, schnelle Umsetzungen oder kurzfristige Lösungen gebe es nicht – das würde nur falsche Erwartungen wecken. Ob die GEAS-Reform tatsächlich funktioniert, ist offen – bislang existiert sie auch nur auf Papier.

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