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Braucht Deutschland eigene Atomwaffen?

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Deutsche Atomwaffen? "Nicht pauschal ausschließen"

Deutsche Atomwaffen? "Nicht pauschal ausschließen"

Ein Europa ohne die USA hätte keinen atomaren Schutzschirm mehr. Fabian Hoffmann vom Oslo Nuclear Project erklärt, warum Deutschland über nukleare Optionen nachdenken sollte und welche Lücken ein US-Rückzug in Europas Verteidigung reißen würde.

Über dieses Thema berichtet: Possoch klärt am .

Eine möglicherweise existenzielle Bedrohung durch Russland im Osten, die fragwürdige Verlässlichkeit der USA im Westen: Europa ist in der Zange. Deutschland hat sich jetzt zu historischen Schulden entschlossen, unter anderem um aufzurüsten. Die Frage nach der atomaren Komponente wird ebenfalls diskutiert: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen oder muss Frankreich sein Arsenal für Europa massiv ausbauen? BR24 hat mit Fabian Hoffmann gesprochen. Er forscht am Oslo Nuclear Project der Universität Oslo zu Nuklearstrategien und internationaler Sicherheit.

BR24: Braucht Deutschland die eigene Atombombe?

Fabian Hoffmann: Vielleicht. Das kommt ganz auf das Sicherheitsumfeld an, in dem sich Deutschland und Europa in den kommenden Jahren und Jahrzehnten befinden. Aber ich würde sagen, dass wir mittlerweile in der Situation sind, wo man es nicht mehr pauschal ausschließen kann und sollte.

Deutsches Atomwaffenprogramm "würde mehrere Jahre dauern"

BR24: Wäre ein eigenes Atomwaffenprogramm überhaupt realistisch?

Hoffmann: Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in Deutschland die relevante zivile nukleare Infrastruktur abgebaut haben. Das Spaltmaterial, das man für nukleare Sprengköpfe braucht, gewinnt man normalerweise über zivile nukleare Infrastruktur. Wenn wir die politische Entscheidung treffen sollten, müssten wir diese Infrastruktur wieder aufbauen. Das würde mehrere Jahre dauern.

BR24: Warum überhaupt über Atomwaffen diskutieren?

Hoffmann: Das große Problem ist, dass Russland ein Nuklearwaffenstaat ist und das größte Nuklearwaffenarsenal weltweit hat. Ohne die US-Amerikaner und ihr Atomwaffenarsenal bildet sich eine Asymmetrie in Europa, wo uns Russland auf der nuklearen Ebene stark überlegen ist. Mit dieser Asymmetrie müssen wir leben und darüber nachdenken, wie wir Russland weiterhin effektiv abschrecken können.

Im Video: Braucht Deutschland eigene Atomwaffen? Possoch klärt!

Die Abschreckungslücke füllen

BR24: Wie gefährlich wäre eine russische nukleare Drohung gegen Europa?

Hoffmann: Russland hat ein enormes Arsenal an nicht-strategischen Nuklearwaffen. Wenn die Amerikaner weg sind aus Europa, wird es auf dieser taktischen nuklearen Ebene sehr schwierig für die Europäer, alleine klarzukommen. Eine Abschreckungslücke entsteht, und diese Lücke müssen wir füllen.

BR24: Würde Putin tatsächlich taktische Atomwaffen einsetzen?

Hoffmann: Wir müssen uns bewusst sein, dass ein Krieg zwischen der NATO und Russland grundsätzlich anders aussehen würde als der jetzige Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Die russischen Entscheidungsträger wissen, dass sie in einem längeren Konflikt mit der NATO unterlegen wären. Russland muss sich überlegen, wie es über kurze Frist diesen Krieg entscheiden kann. In russischen Militärstrategien wird klar gemacht, dass der frühe Einsatz von nicht-strategischen Nuklearwaffen eine große Rolle spielt.

Ein neuer Kalter Krieg?

BR24: Wird die Welt mit mehr Atomwaffen sicherer oder unsicherer?

Hoffmann: Das ist eine hervorragende Frage, die über Jahrzehnte in der Wissenschaft diskutiert wird. Während des Ost-West-Konflikts hat das nukleare Gleichgewicht sicherlich eine Rolle gespielt, dass der Kalte Krieg kalt geblieben ist. Wir sind damals teilweise ein paarmal relativ knapp an einem Nuklearkrieg vorbeigeschrammt: Berlin-Krise oder Kuba-Krise. Diese Krisen passierten relativ früh im Kalten Krieg, woraufhin ein Lerneffekt bei den nuklearen Supermächten einsetzte.

BR24: Was können die französischen und britischen Atomwaffen für Europas Sicherheit leisten?

Hoffmann: Für Deutschland ist der französische Schutzschirm durchaus glaubwürdig. Eine existenzielle Bedrohung für Deutschland würde wahrscheinlich auch eine existenzielle Bedrohung für Frankreich bedeuten. Das große Problem ist, diese erweiterte nukleare Abschreckung glaubwürdig zu gestalten – nicht nur für Deutschland, die Niederlande und Belgien, sondern vor allem für die östlichen Verbündeten. Wenn wir ehrlich sind, ist das jetzige französische Nuklearwaffenarsenal nicht in der Lage, glaubwürdig die Abschreckung über diese Staaten zu erweitern.

Im Audio: Deutschlands theoretischer Weg zur eigenen Atombombe

Fabian Hoffmann
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Fabian Hoffmann forscht am Oslo Nuclear Project der Universität Oslo zu Nuklearstrategien und internationaler Sicherheit.

Deutsche Atomwaffen – ein Risiko

BR24: Sollte Deutschland eine europäische Lösung anstreben statt eigener Atomwaffen?

Hoffmann: Ich glaube, bei beiden Themen gibt es klare technische und politische Herausforderungen. Für Deutschland wäre es nicht trivial, eine eigene Nuklearfähigkeit zu beschaffen. Es wäre auch risikoreich – Russland würde eventuell nicht warten, bis Deutschland eine gesicherte nukleare Zweitschlagsfähigkeit hätte, sondern könnte präventiv Mittel ergreifen.

BR24: Was wäre die Alternative zu eigenen Atomwaffen?

Hoffmann: Ich denke, im Moment liegt die Priorität auf der konventionellen Abschreckung. Wir könnten zum Beispiel Russland androhen, sollte es in einem Konflikt zum nicht-strategischen Nuklearwaffeneinsatz greifen, dass wir konventionell reagieren würden – indem wir Hunderte oder Tausende Langstreckenwaffen auf kritische militärische, eventuell auch zivile Infrastruktur schießen. Wir können Nuklearwaffen auch auf konventioneller Ebene abschrecken.

BR24: Danke für das Gespräch.

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