Nach dem Ampel-Aus hat Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, Anfang kommenden Jahres die Vertrauensfrage zu stellen. Wenn es nach ihm geht, würde es dann im März Neuwahlen geben.
Vielen geht das nicht schnell genug, etwa Oppositionspolitikern wie CDU-Chef Friedrich Merz oder dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Laut ARD-DeutschlandTrend extra wollen auch zwei Drittel der Deutschen schnelle Neuwahlen. Auf X fordern einige Nutzer, dass die Opposition den Kanzler durch ein konstruktives Misstrauensvotum stürzen soll. Manche behaupten, die Union aus CDU und CSU würde ein solches Misstrauensvotum aufgrund ihrer "Brandmauer" zur AfD nicht stellen.
Söder: "Möglicherweise begibt man sich dann in die Hand von Gruppen wie der AfD"
Das stimmt: Politisch wäre es für die Union aufgrund der "Brandmauer" äußerst riskant, ein konstruktives Misstrauensvotum zu beantragen. Denn ein konstruktives Misstrauensvotum ist nur dann möglich, wenn es einen Gegenkandidaten gibt. Den muss die Fraktion aufstellen, die den Antrag stellt. Das Votum wäre nur erfolgreich, wenn eine absolute Mehrheit, also mindestens die Hälfte der Bundestagsabgeordneten, diesen Kandidaten zum neuen Bundeskanzler wählen würde. Daher der Zusatz "konstruktiv" - ein nicht-konstruktives Misstrauensvotum ohne neuen Kanzler lässt das Grundgesetz nicht zu. Grund dafür sind Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik: Damals musste ein Misstrauensvotum nicht "konstruktiv" sein - was dazu beitrug, dass Regierungen instabiler waren. Anders als bei einer gescheiterten Vertrauensfrage, wo das möglich ist, würde ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum jedoch nicht zu Neuwahlen führen. Es gäbe dann lediglich einen neuen Bundeskanzler bei gleichbleibender Sitzverteilung.
Wenn die Union ein konstruktives Misstrauensvotum beantragen würde, könnte das also zur Folge haben, dass AfD-Fraktionsmitglieder Merz wählen und zu einer Mehrheit verhelfen. Söder sagte in einer Pressekonferenz dazu: "Man wäre dann angewiesen auf Stimmen, die für die Demokratie an der Stelle nicht gut wären. Möglicherweise begibt man sich dann in die Hand von Gruppen wie der AfD."
Sowohl CDU als auch CSU haben eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen - unter anderem mit der Begründung, dass sie in Teilen rechtsextrem ist. In einem CDU-Papier mit dem Titel "Unsere Haltung zu Linkspartei und AfD" heißt es zum Beispiel: "Zwischen Union und AfD kann es nur klare Kante und schärfste Abgrenzung geben. Koalitionen oder irgendeine andere Art der Zusammenarbeit sind für aufrechte Christdemokraten ausgeschlossen. Das wäre ein Verrat an unseren christdemokratischen Werten."
Als im Februar 2020 der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD und Union zum Thüringischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, stürzte das die Union in eine kurzzeitige Krise. Das damalige bundespolitische Führungspersonal rund um Angela Merkel, Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder kritisierte den Vorgang scharf, Kemmerich trat kurze Zeit später wieder zurück.
Rechenspiele bleiben theoretischer Natur
Auch vor dem Hintergrund dieses Ereignisses und seiner politischen Auswirkungen ist es unwahrscheinlich, dass die Union ein Misstrauensvotum beantragen wird - auch wenn sie es rein rechnerisch könnte. Denn dafür braucht es ein Viertel aller Stimmen im Bundestag, so steht es in Paragraph 97 der Geschäftsordnung des Parlaments. Die Union stellt mit 196 Abgeordneten 26,7 Prozent des Bundestages, der in der noch laufenden Legislaturperiode insgesamt 733 Sitze hat.
Eine absolute Mehrheit hätten Union und AfD zusammen rein rechnerisch noch nicht. Gemeinsam hätten die beiden Fraktionen lediglich ungefähr 37 Prozent der Stimmen im Bundestag. Selbst Union, FDP und AfD kämen im aktuellen Bundestag nicht auf über die Hälfte aller Abgeordneten. Um eine Mehrheit bei der Abstimmung über den Gegenkandidaten zu erlangen, müssten auch noch die sieben ehemaligen Fraktionsmitglieder der AfD und/oder Abgeordnete des BSW und/oder der Linkspartei mitstimmen. Ohne Abgeordnete der AfD ist keine Mehrheit bei einem Misstrauensvotum möglich - es sein denn, auch die Grünen treten wie die FDP aus der Regierungskoalition aus und stimmen mit.
Fazit
Die Union will aufgrund ihrer "Brandmauer" gegen die AfD kein Misstrauensvotum im Bundestag beantragen. Das deutete Söder bei der Pressekonferenz der CSU am Donnerstag an. Zwar hätten CDU und CSU auch allein genügend Mandate, um einen entsprechenden Antrag einzubringen. Wer ein Misstrauensvotum beantragt, muss auch einen Gegenkandidaten als Kanzlernachfolger zur Abstimmung stellen. Dafür braucht es eine absolute Mehrheit im Bundestag. Dabei würde die Union riskieren, dass ihr Gegenkandidat Merz von der AfD mit gewählt wird.
Im Video: Söder zum Scheitern der Ampel-Regierung (7.11.2024)
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