Früher pendelte Lena Prytula ständig zwischen Nürnberg und Erlangen, ihrem Wohnort und der Universität, hin und her. "Seit November fühle ich mich dabei nicht mehr sicher", sagt die jüdische Lehramtsstudentin. Deshalb studiert sie soweit wie möglich zuhause, besucht Seminare und Vorlesungen meist digital. "Es ist eine wahnsinnige Einschränkung für mich, auch mental. Ich will bald mein Staatsexamen schreiben, da verpasse ich einiges", beklagt sie.
Ihr Rückzug ins Private hat mit Anfeindungen zu tun, vonseiten eines Kommilitonen, dem sie nicht persönlich begegnen will. Er ist auch Lehramtsstudent und Lena hat ihn als eher links eingestellt wahrgenommen. Alles begann, nachdem sie auf einer Solidaritätskundgebung für Israel im vergangenen Oktober in Nürnberg die Taten der Hamas öffentlich verurteilte.
Lehramtsstudent vergleicht Israel mit NS-Regime
"Daraufhin kamen Kommentare, in denen er sagt: 'Ich habe dich eigentlich als sympathisch kennengelernt, aber was du da machst, ist genau der Rechtspopulismus, den man eigentlich bekämpfen sollte'". Dass sie für ihre Solidarität mit Terroropfern als "rechts" bezeichnet wurde, konnte Lena Prytula nicht fassen. Noch weniger eine weitere Aussage ihres Mitstudenten. "Dann hat er gesagt: 'Ihr Juden macht jetzt genau das gleiche mit den Palästinensern, was man euch vor 80 Jahren angetan hat.'"
Lange hat sie überlegt, wie sie damit umgehen soll, dass ein Mitstudent Israel mit der NS-Diktatur vergleicht. Und dass er sie dafür angreift, als deutsche Jüdin, deren Familie aus der Ukraine stammt.
Wie sicher sind Hochschulen für jüdische Menschen?
Der Angriff auf einen Studenten in Berlin hat eine Debatte über die Sicherheit von Jüdinnen und Juden an Universitäten losgetreten. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, fordert etwa die Entlassung von Studierenden nach solchen Vorfällen. "Wenn der Kampf gegen Antisemitismus ernst genommen wird, müssen antisemitische Straftaten zur Exmatrikulation führen", sagte Schuster.
Um das schneller und leichter umsetzen zu können, will der bayerische Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU) eine Verschärfung des Hochschulrechts prüfen lassen. Außerdem habe man "die Hochschulen aufgefordert, Antisemitismusbeauftragte einzurichten", sagt Blume. "Die großen Universitäten haben Antisemitismusbeauftragte. Ich hoffe, das alle bayerischen Universitäten nachziehen."
Jüdisches Leben: Zwischen Sichtbarkeit und Sicherheit
Auch Lena Prytula wurde von der Antisemitismusbeauftragten ihrer Uni unterstützt. Den Hörsaal meidet sie trotzdem bis heute. Und auch in öffentlichen Verkehrsmitteln versteckt sie ihre Religion. "Ich fühl mich nicht so wohl, man weiß nie, wie die Menschen um einen herum ticken." Sie blickt selten auf ihr Handy, um nicht als Jüdin erkannt zu werden, wenn bestimmte Themen in ihrer Timeline in den sozialen Medien auftauchen. Auch ihren Davidstern trägt sie nur noch unter der Kleidung.
Lena Prytula ist keine Ausnahme, wie die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) in ihrem Bericht für die Zeit nach dem 7. Oktober schreibt: "Viele Jüdinnen und Juden schränken ihre Sichtbarkeit zunehmend ein, verzichten auf das Tragen von als jüdisch erkennbaren Symbolen und sprechen auf der Straße kein Hebräisch mehr."
Viele Bedrohungen gehen mit Vernichtungsfantasien einher
Die meisten antisemitischen Vorfälle in der Zeit nach dem 7. Oktober geschahen laut den Meldestellen Antisemitismus auf der Straße, 387 Fälle wurden registriert. Antisemitismus im Netz ist auf Platz zwei – jeder fünfte Vorfall passiert online, wie RIAS berichtet. Der Großteil (10 von 11 Fällen) der Online-Bedrohungen gehen laut RIAS "mit Gewalt- und Vernichtungsfantasien bis hin zu Morddrohungen einher". 71 Fälle gab es in Bildungseinrichtungen.
Allein Lena Prytula kann zwei Fälle nennen, bei denen sie selbst betroffen war. Als Lehrkraft an ihrer Schule wurde sie Zeuge, wie einer ihrer Schüler den Hitlergruß zeigte. Sofort ging sie mit ihm zum Direktor. Ihr ist es sehr wichtig, dass solchen Taten Konsequenzen folgen. Auch im Fall des Kommiltonen, der sie antisemitisch attackiert hatte, hat sie Anzeige erstattet. "Er ist ein angehender Lehrer. Ich habe Angst davor, dass jemand wie er einmal jüdische Kinder unterrichtet."
Noch ein weiterer Fall an der Universität
Laut der Antisemitismusbeauftragten der Universität Erlangen-Nürnberg wurde noch ein weiterer antisemitischer Vorfall an der Einrichtung zur Anzeige gebracht. "Dabei handelt es sich um schriftlicher Formen der hetzerische Verleumdung und Holocaustverharmlosung. Dazu gab es eine mittlere zweistellige Zahl an Emails mit teils israelbezogenen antisemitischen Äußerungen", sagt die Professorin Katharina Herkendell. "Direkte verbale oder tätliche Übergriffe gab es nach unserem Kenntnisstand bisher nicht. Was sich dringend ändern muss ist die rechtliche Handhabe im Rahmen des Ordnungs- und Hausrechts, um klar antisemitische Vorfälle schnell und effektiv unterbinden zu können."
Trotz ihres Engagements ist Lena Prytula oft frustriert darüber, dass der Antisemitismus in Deutschland, wie sie sagt, "nur noch lauter wird, nur noch deutlicher, auf den Straßen, in der Schule, auf der Arbeit. Das macht mir Sorgen". Gespräche über das Auswandern in mögliche sichere Länder, seinen unter deutschen Jüdinnen und Juden nicht ungewöhnlich, sagt Lena Prytula.
Um das Thema "Religion und Polarisierung" geht es in der Sendung STATIONEN, am Mittwoch, 14. Februar 2024, um 19 Uhr im BR Fernsehen und in der ARD Mediathek.
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