Die beiden Staatschefs schreiten eine Phalanx von Kindern ab, die Luftballons schwenken
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Bejubelt von Kindern: Putin und Kim Jong-un in Pjöngjang

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"Genießen Sie die Show": Will Putin von Nordkorea lernen?

Russlands Präsident ist in Pjöngjang. Der Besuch wird mit einer bewusstseinsverändernden Visite des rumänischen Machthabers Ceaușescu am selben Ort 1971 verglichen. Kommentatoren können sich vorstellen, dass Putin ähnlich leicht beeinflussbar ist.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Ob er persönlich jemals in Nordkorea war, das sei dahin gestellt, aber der russische Rechtsaußen Igor Skurlatow bezeichnete das Land als "schön und gepflegt" und lobte Russlands Präsidenten Wladimir Putin dafür, dass dieser "die Eier habe", dorthin zu reisen (externer Link). "Russland braucht neue geopolitische Partner wie frische Luft. Keine 'Spinner' wie China und Indien, sondern echte und verlässliche, obwohl man in der großen Politik, glauben Sie mir, auch mit denen reden und scherzen muss, die bei Ihnen Abscheu und Ekel hervorrufen." Als Schriftsteller und Professor hat sich der Nationalist Skurlatow eigentlich auf Dauernörgelei verlegt, aber anlässlich von Putins Aufenthalt in Pjöngjang gab er sich vorbehaltlos begeistert.

"Ganz erstaunliches Land"

"Genießen Sie erst mal die wunderschöne Show", empfahl auch der viel beschäftigte Kreml-Propagandist Sergej Markow seinen russischen Landsleuten: "Es wird sowieso nichts öffentlich bekannt werden. Alle echten Verhandlungen finden nicht nur im geschlossenen Kreis statt, sondern sind sogar streng geheim, um sie vor den Vereinigten Staaten zu verbergen. Wir werden die Ergebnisse später erfahren. Und nicht einmal durch undichte Stellen. Wie soll es die in Nordkorea geben? Und Putin hat auch dafür gesorgt, dass sie abgedichtet werden."

Für TV-Korrespondent Alexander Sladkow hat Nordkorea "Megatonnen-Potential": "Das ist ein ganz erstaunliches Land. Ich habe dort einen Monat gearbeitet. Selbst in China gibt es nicht eine so penibel eingehaltene Disziplin der Menschen." Putin selbst ließ es sich nicht nehmen, eine Tournee der Balletttruppe des Theaters von Wladiwostok durch Nordkorea als "großen Erfolg" zu preisen und vermehrte Urlaubsreisen russischer Pauschaltouristen in nordkoreanische "Badeorte" anzukündigen.

Begeisterung über die Diktatur von Kim Jong-un auch beim russischen Rechtsradikalen und kremlnahem Star-"Philosophen" Alexander Dugin (externer Link): "Nordkorea ist wunderbar." Dugin verglich die bizarre "Chuch'e"-Ideologie, die in Pjöngjang propagiert wird, allen Ernstes mit dem Denken des wegen seiner zeitweiligen NS-Begeisterung umstrittenen deutschen Philosophen Martin Heidegger: "Hier ist alles inbegriffen - Unabhängigkeit, Freiheit, zivilisatorische Souveränität."

"Sie werden lachen"

In Nordkorea werde ein "absolut himmlischer Stolz" gepflegt, so Dugin euphorisch: "Nur ein Ignorant oder ein verabscheuungswürdiger Liberaler, ein Sklave des Westens, kann über 'Chuch'e' lachen. Wir brauchen die gleiche Ideologie – das russische Juche, das heißt ein Königreich des russischen Menschen, die Dominanz und Autorität der russischen Machart." Allgemein wird die schillernde Ideologie von Kim Jong-un und dessen Vorfahren als fanatisches Streben nach Autarkie verstanden, gepaart mit einem grotesken Personenkult.

Möglicherweise wolle Putin davon lernen, argwöhnt der russische Politologe Andrei Nikulin (externer Link). Nicht nur er erinnert an den Besuch des seinerzeitigen rumänischen Machthabers Nicolae Ceaușescu (1918 bis 1989) im Juni 1971 in Pjöngjang: "Sie werden lachen, aber zu Beginn seiner Regierungszeit galt Nicolae Ceaușescu als großer Liberaler. Er knüpfte Beziehungen zum Westen, machte der Intelligenz Zugeständnisse und verurteilte offen die Niederschlagung des Prager Frühlings."

"Er folgerte, dass ihn die Menschen liebten"

Bewusstseinsverändernd sei dann allerdings die Visite in Nordkorea gewesen, und zwar so sehr, dass selbst das sowjetische Politbüro Angst bekommen habe: "Ceaușescu freute sich angeblich wie ein Kind, als er beobachtete, wie die Menschen in der Volksrepublik zum großen Führer Kim Il Sung beteten. Und ihm wurde klar: So muss man leben. Und er versuchte, es nachzuahmen." Mit Blick auf Putins Aufenthalt fügte Nikulin an: "Alle Charaktere in dieser Geschichte sind fiktiv, eventuelle Ähnlichkeiten zufällig, falsche Schlussfolgerungen bösartig."

Exil-Politologe Abbas Galljamow meinte mit Blick auf Ceaușescus bizarre Prägung [externer Link]: "Die Psyche von Putin war in den letzten Jahren nicht sehr stabil, daher ist nicht ausgeschlossen, dass er dem nordkoreanischen Weg nacheifern möchte." Ceaușescu habe jedenfalls den Schluss gezogen, dass ein echter Herrscher nicht der Erste unter Gleichen sein sollte, wie es im Kommunismus eigentlich üblich war – sondern er sich in einen "lebendigen Gott" verwandeln müsse: "Er folgerte, dass ihn die Menschen letztlich liebten und kein Grund bestehe, ihnen zu untersagen, das auch öffentlich zu zeigen: Sie sollen sich nicht dafür schämen müssen, ihren Gefühlen auf dieselbe Weise freien Lauf zu lassen, wie es auch Nordkoreaner und Chinesen taten."

Russische Leser wussten aus eigener Erinnerung zu berichten, dass Ceaușescu "inspiriert" aus Pjöngjang zurückgekommen sei: "So wurde beispielsweise die Propaganda in Schulen und Universitäten intensiviert, die strengste Zensur im Land eingeführt und eine große Anzahl 'patriotischer Programme' im Fernsehen ausgestrahlt, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Größe der Rumänen zu preisen."

"Seien Sie besser vorsichtig"

Die These von Nikulin ist weder originell noch neu, aber von skurriler Aktualität. Rumänische Beobachter spekulieren schon seit Jahrzehnten, dass Ceaușescu dem äußeren Aufwand, mit dem er in Pjöngjang empfangen wurde, nervlich nicht gewachsen war. Das nordkoreanische Regime hatte das extrem opulente Zeremoniell angeblich ein ganzes Jahr vorbereitet und soll sich darüber wirtschaftlich ruiniert haben. Aus dem Netz kam dazu der Rat: "Wenn Sie Freunde haben, die eine Reise nach Nordkorea planen, seien Sie besser vorsichtig! Sie wissen nicht, wie sehr es sie durcheinanderbringen könnte. Sie sollten auch misstrauisch werden, wenn Ihr eigener Präsident ziemlich scharf darauf zu sein scheint, nach Nordkorea eingeladen zu werden." Nordkoreas Diktator Kim Il Sung erwiderte den Besuch von Ceaușescu übrigens wegen "innerer Angelegenheiten" damals nicht (externer Link).

"Pjöngjang komfortabelste Stadt der Welt"

Wie auch immer: Russische Kommentatoren können sich gut vorstellen, dass Putin ähnlich leicht beeinflussbar ist wie sein einstiger rumänischer Amtskollege, zumal ihn 10.000 Nordkoreaner am Flughafen bejubelten und die von der Propaganda mobilisierten Massen 30 Kilometer Spalier gestanden sein sollen: "Er drückte seine Bewunderung dafür aus, wie sich Pjöngjang in den letzten 24 Jahren [seit seinem letzten Besuch dort] verändert habe. Russische Stadtplaner pflichteten mit der Bewertung bei, unter den komfortabelsten Städte der Welt belege Pjöngjang den ersten Platz", so Politologe Konstantin Kalaschew ironisch.

Ähnlich sarkastisch die Anmerkung eines weiteren Star-Bloggers: "Ein Moment diplomatischer Paranoia von Putin und Kim Jong-un wurde auf Video gebannt. Der russische Präsident besuchte seinen Freund, den Diktator. Ganz unironisch wurde er in Pjöngjang mit einem Lied begrüßt, das die Textzeile enthält: 'Ich kenne kein anderes Land, in dem die Menschen so frei atmen können.'" Das alles erinnere an absurdes Theater: "Vereinfacht gesagt geht es darum, den Finger über den roten Knopf zu halten, wenn der 'liebe Freund' beleidigt wird."

"Nachfrage nach 'Super-Gegner' Amerikas"

Putins Reise sei "gut kalkuliert", heißt es bei Sergej Mardan, einem der russischen Ultrapatrioten, überschwänglich (externer Link). Mit dem Besuch steige Russland endgültig aus der bestehenden Weltordnung aus: "Nordkorea ist heute das einzige Land auf dem Planeten, das Amerika kompromisslos den Krieg erklärt, ohne dabei in die Knie zu gehen, ohne Konventionen und Floskeln wie einer 'Entspannung der internationalen Lage', 'für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit' und die heimliche Bereitschaft, überschüssige Souveränität gegen Dollars einzutauschen. Ein Besuch in Nordkorea festigt den neuen Status Russlands als echter Feind der USA. Weltweit besteht eine enorme Nachfrage nach einem solchen 'Supergegner Amerikas' (einem, in dem Amerika selbst einen Feind sieht), um den sich alle globalen Rebellen gegen die 'internationalen Regeln' scharen können."

"Einsatz weiter erhöht"

Ganz anders interpretiert Blogger Dmitri Sewrjukow (54.000 Fans) Putins Staatsbesuch (externer Link). Er wolle damit womöglich einmal mehr eine "koreanische" Lösung des Ukrainekriegs ins Gespräch bringen, also ein Einfrieren des Krieges entlang der erreichten Frontlinie wie nach dem Koreakrieg (1950 - 1953). Auf den ständig beschworenen "Zusammenbruch des Kapitalismus" könne Moskau jedenfalls nicht warten: "Natürlich ist eine solche Annäherung zwischen der Russischen Föderation und der Demokratischen Volksrepublik Korea ein Schritt, den Einsatz weiter zu erhöhen, aber gleichzeitig ist es ein weiteres Argument dafür, sich endlich die Hände zu reichen und die übermäßig angespannte internationale Lage abzukühlen."

Sewrjukow hält Nordkorea aus russischer Sicht für "zuverlässiger" als China, eine unter Propagandisten weit verbreitete Auffassung, die in Peking gewiss keine Begeisterungsstürme auslösen dürfte: "Daher funktioniert das Sprichwort, dass ein alter Freund besser sei als zwei neue, unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr."

"Beide fuhren übrigens Mercedes"

Dass Putin eine Aurus Senat-Staatskarosse aus russischer Produktion im Wert von umgerechnet 400.000 Euro, sowie einen Admiralsdolch und ein Teeservice als Gastgeschenk nach Pjöngjang mitbrachte, trieb Russen "Tränen der Rührung" in die Augen, nicht ganz erst gemeint selbstverständlich (externer Link): "Die hundert Meter hohe Goldstatue kommt vermutlich per Bahnexpress." Eventuell sei Putin allerdings durch seine Stippvisite wirklich schon etwas durcheinander: Er habe Kim Jong-un nämlich bereits im vergangenen Jahr einen baugleichen Wagen, der verdächtig dem Rolls-Royce ähnelt, übersenden lassen: "Und beide fuhren übrigens Mercedes." Pressefotos bestätigten das.

Es gab auch Beobachter, die sich fragten, ob Russlands Lage wirklich so schlimm sei, dass jetzt nur noch derart teure Staatsgeschenke die Situation retten könnten: "Hoffentlich haben sie auch die Stoßdämpfer geschmiert, damit sie nicht quietschen." Über Putins geistige Verfasstheit spottete ein Leser vielsagend: "Wir hatten so einen in unserer Kleingartenkolonie. Er machte jedem Geschenke, er pflückte Blumen aus seinem Beet und verschenkte sie wahllos an Passanten, er borgte sich von den Kindern einen Ball und tollte mit seinem Hund herum, er lebte in seiner eigenen kleinen Welt, war davon überzeugt, dass alle so drauf waren und kapierte nicht, dass er übergeschnappt war."

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