Steffi Müller und Klaus Erika Dietl im Münchner Atelier von Müller zwischen unzähligen bunten Stoffarbeiten und Objekten.
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Sprudelnde Kreativität: Steffi Müller und Klaus Erika Dietl von beißpony im Münchner Atelier von Müller.

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In den Bahnen der Bienen: Neues beißpony-Album

Sie summen, dröhnen und machen Harfengeräusche: Bienen stehen im Zentrum des neuen Albums der Münchner Band beißpony. "The Small and the Many" steht für einen respektvollen Umgang mit der Natur – und eine intensive Reflexion unseres Lebens.

Über dieses Thema berichtet: Bayern 2 Kulturleben am .

50.000 Arbeiterinnen, 2.000 Drohnen, eine Königin – Königin 51 –, alle aus Bienenstock Nr. 12: Das sind die Beteiligten am neuen beißpony-Album "The Small and the Many". Neben Stephanie Müller, Laura Theis und Klaus Erika Dietl, dem Kern-Trio der Münchner Band. Und neben der türkischen Schlagzeugerin Nihal Saruhanlı und dem Experimentalmusiker Mucho Pitchu.

Keine Sample-Jagd

Letzterer hatte sich eigentlich als Klarinettist und Saxophonist bei beißpony gemeldet. Doch als herauskam, dass er mehrere Bienenhäuser im oberbayrischen Großhub bei Miesbach betreut, kam die Band auf die Idee, seine Bienen zu den Albumaufnahmen dazuzuholen – bzw. die Aufnahmen nach Großhub zu verlegen. Mucho Pitchu war dabei allerdings sehr wichtig, erzählt Steffi Müller, "dass, wenn wir da was gemeinsam mit den Bienen machen, wir uns auch auf die Bienen einlassen. Dass die Bienen nicht so Sample-Jagd-artig ausgebeutet werden. Also im Prinzip, dass die Bienen auch Musiker*innen sind."

Die Bienen bilden das Grundrauschen bzw. Grund-Summen dieses Albums. Wobei dieses sich Einlassen auf die fleißigen Vierflügler auch bedeutet, dass die Band eben nicht einfach nur möglichst lautes Summen aufgenommen und unter ihre Songs gehoben hat. Sondern subtilere Arten des, nunja, Zusammenspiels gefunden hat: "Es gibt diese Waben-Fächer, wie kleine Bilderrahmen kann man sich das vorstellen", erklärt Steffi Müller eine Vorgehensweise. "Da sind Drähte gespannt und wenn da ein Kontakt-Mikro drin ist und eine Biene dran geht, dann hast du vom Klang her eine Zither oder eine Harfe."

Von Bienen lernen?

Zu den Bienen ist das beißpony zufällig gekommen. Die Beschäftigung mit den für das ökologische Gleichgewicht so zentralen Bestäubern hat aber schließlich auch inhaltliche Parallelen zu unser aller Alltag im Spätkapitalismus zutage getragen. So sei das Leben der Bienen zwar stark von Hierarchien geprägt und ähnlich durchgetaktet wie das von uns Menschen.

Trotzdem gebe es bei ihnen auch viele Ruhezeiten – und sie seien weniger gehetzt, sagt Steffi Müller: "Du wachst auf mit den Bienen und dann gibt es diese frühe Morgenzeit, wo die voll lebendig sind. Das ist ja auch eine schöne Zeit, wo die Sonne aufgeht und es riecht alles interessant. Und das ist so eine Zeit, wo ich als Stadtmensch oft nicht mal frühstücke, sondern schnell zur U-Bahn hetze, um weiterzukommen." Auch Laura Theis, die aus ihrer Wahlheimat Oxford zugeschaltet war und den Großteil der Texte geschrieben hat, hat sich von den Bienen inspirieren lassen.

Dabei ist der Band bewusst, dass die Natur ein oft auch konstruierter Sehnsuchtsort für Städter ist. Schließlich kommen sie alle selbst vom Land. Und sind deshalb auch weit davon entfernt, die Bienen einseitig zu verherrlichen: "Da gibt es sicher auch Hierarchien, wenn wir die übertragen würden, fänden wir die gar nicht so toll. Oder Mechanismen, wo dann jemand ausgestoßen wird nach einer bestimmten Zeit."

Die Kunst des Andeutens

Auch die Imker-Werkzeuge sind zu Instrumenten geworden. Ein stetes Schaben, Kratzen, Klappern durchzieht das Album. Das passt sehr gut zur fragilen Stimmung von "The Small and the Many". Beißpony beherrschen die Kunst des Andeutens wie niemand anderes: hier ein leiser HipHop-Beat, dort ein paar vorsichtige Techno-Sounds. Die Band spielt, wo überhaupt, nur kurz mit musikalischen Tropen, um sie dann wie ein uninteressant gewordenes Spielzeug wieder links liegenzulassen.

Das hat Methode, erklärt Steffi Müller: "Ich kann überhaupt nicht mit Ausformulierungen umgehen. Ich liebe es, wenn der Kopf sich selber alles Mögliche zusammenfügen muss, wenn was auch komplex ist und ich nicht sofort alles verstehe. Ich will nicht alles verstehen, sonst würde ich mir Populist*innen reinziehen. Ich mag auch Dinge, die ich nur so anspüren kann, wie wenn mich kurz ein Insekt piekst."

Ganz und gar nicht Zeitgeist

"The Small and the Many" ist ein Album, auf das man sich einlassen muss. Das einen zwingt, genau hinzuhören. Und das ist nicht wenig verlangt in Zeiten einer Aufmerksamkeitsökonomie, bei der der nächste, vielleicht ja noch interessantere Song und jede Ablenkung der Welt stets nur ein Wischen auf dem Handy entfernt ist. Ein Song muss in den ersten 30 Sekunden knallen, so will es die Spotify-Logik.

Beißpony sind solche Überlegungen komplett fremd. Musik traue sich das seltener, so Steffi Müller. Es gebe zwar viel Experimentelles, "aber alles, was dann vielleicht in der Industrie irgendwann relevant ist, da gibt es schon so ein Hinterherrennen: Könnten die Hörer*innen überfordert sein?" Sie denke nie daran, ob jemand überfordert ist, "weil ich grundsätzlich davon ausgehe, dass Menschen einen Kopf haben und gefordert werden wollen und nicht für blöd gehalten werden wollen."

Wer also mehr sucht als das bereits Gewohnte, wird am neuen Beißpony-Album seine Freude haben. Und darf seine eigenen Analogien finden vom Gewusel der Bienen – und dem nicht weniger wuseligen Treiben von uns Menschen.

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Fleißig bauen, bienenstockartig wohnen: Albumcover von "The Small and the Many" von beißpony

The Small and the Many von beißpony ist am 7. Juni bei Rheinschallplatten erschienen.

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