Im umkämpften Gebiet Kursk stehen Soldaten in Kampfmontur
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Der russische Generalstabschef Gerassimow zeichnet Frontsoldaten aus

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"Wahre Anakonda": Ist Waffenstillstand für Putin gefährlich?

"Wahre Anakonda": Ist Waffenstillstand für Putin gefährlich?

Kreml-Propagandisten geben sich plötzlich vorsichtig abwartend, was die Aussichten für einen Waffenstillstand betrifft. Der Kreml will sich für eine gründliche Prüfung Zeit nehmen, Beobachter warnen: "Die Schwäche Russlands ist offensichtlich."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

"Es wäre eine sehr, sehr unangenehme Überraschung für mich, wenn es zu einem Waffenstillstand käme, ohne dass wir gewinnen würden", so der russische TV-Propagandist Alexander Sladkow auf seinem Telegram-Kanal: "Persönlich kann ich mich an keinen einzigen Waffenstillstand erinnern, den die Ukraine eingehalten hätte."

Militär-Kolumnist Anatoli Matwitschuk schimpfte in einem Interview: "Ein 30-tägiger Waffenstillstand könnte eine deprimierende Wirkung auf die russischen Kämpfer haben. Unsere Soldaten und Offiziere sind beflügelt, sie schlagen den Feind, der Sieg steht ihnen bevor. Unmotivierte Unterbrechungen militärischer Operationen demoralisieren die Truppe. Die Kämpfer könnten das Gefühl haben, dass ihnen der Sieg gestohlen wurde."

"Frieden ist besser als Krieg"

Doch so martialisch geben sich keineswegs alle russischen Beobachter, ganz im Gegenteil. Nachdem Kreml-Sprecher Dmitri Peskow auf einer Pressekonferenz darum gebeten hatte, "nichts zu überstürzen" und ankündigte, der Kreml wolle sich erst einmal alle nötigen Informationen beschaffen, gaben sich manche Propagandisten plötzlich deutlich zurückhaltender. Dazu könnte auch das Rekord-Haushaltsdefizit von umgerechnet rund 27 Milliarden Euro allein in den Monaten Januar und Februar dieses Jahres beigetragen haben: Putins Krieg wird schier unbezahlbar.

Der kremlnahe Politologe Sergei Markow listete jeweils die Argumente für und gegen einen Waffenstillstand auf und vermutete, Putin werde sich gewiss ein paar Tage Zeit lassen, bevor er sich abschließend äußere: "Frieden ist besser als Krieg. Es ist besser, den Verlust von Menschen und Ressourcen zu stoppen. Die russische Gesellschaft will Frieden. Alle Partner Russlands in der Welt, allen voran die Länder des Globalen Südens, fordern Schritte in Richtung Frieden. Mit Trump kann man Geschäfte machen."

"Wir müssen Einsatz erhöhen"

Der russische Militärblogger Oleg Sarow machte sich sogar lustig über seine Propaganda-Kollegen, die sich sofort gegen jedwede Verständigung mit den USA und der Ukraine ausgesprochen hatten: "Wissen Sie, was diejenigen, die sich vehement gegen einen Waffenstillstand ausgesprochen haben, später sagen werden? Sie werden sagen: Alle Entscheidungen dafür waren richtig, ich unterstütze sie voll und ganz. Ich war zwar ursprünglich gegen einen Friedensplan, ohne dass alle Bedingungen Russlands erfüllt werden, jetzt jedoch, wo alle Bedingungen akzeptiert wurden, bin ich dafür."

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Politologe Georgi Bovt verwies darauf, dass der russische und amerikanische Geheimdienstchef miteinander telefonierten und mutmaßt, dass hinter den Kulissen längst Tatsachen geschaffen werden: "Die Räumung des von der Ukraine besetzten russischen Gebiets bei Kursk könnte Teil der Vereinbarungen in Dschidda (und nicht nur dort) gewesen sein, in der Erwartung, dass Moskau unter solchen Bedingungen einem Waffenstillstand zustimmen würde."

Das wäre deshalb höchst brisant, weil es den militärischen Erfolg russischer Truppen bei ihrem "Vormarsch" erheblich schmälern würde, wenn sich herausstellen sollte, dass sich die Ukraine zuvor zu einem Rückzug verpflichtet hat.

"Tücke liegt im Detail"

Einer der wichtigsten Militärblogger mit 506.000 Followern wundert sich nicht, dass ein "scharfes Dementi" aus dem Kreml zu einem Waffenstillstand "erwartungsgemäß" ausgeblieben sei: "Die Tücke liegt im Detail. Wir sind jedoch fast sicher, dass das, was die Amerikaner Kiew zur 'Unterzeichnung' vorlegten, zuvor in Verhandlungen mit Moskau abgesprochen wurde." Auf einem der großen Polit-Portale war sogar zu lesen: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass Putin nach weiteren Konsultationen einem Waffenstillstand zustimmen und diesen nach einem Telefongespräch mit Trump bekannt geben wird."

"Jahr der Ernüchterung und Einsicht"

Mehrere russische Blogger betonten, dass die Kriegsbegeisterung an der Front deutlich geringer sei als bei den Propagandisten im Hinterland. Nur etwa ein Fünftel der Bevölkerung wolle einen vorbehaltlosen Sieg: "Sieht so aus, als ob das Jahr 2025 für Russland ein Jahr der Ernüchterung und Einsicht wird."

Trumps Umarmungen werden von einem der maßgeblichen russischen Kommentatoren gar als "Schlingen einer wahren Anakonda" bezeichnet, die Putin die Luft abdrückten: "Moskau ist nicht in der Lage, die gesamte Ukraine zu unterwerfen. Daher wird Putin hinsichtlich der Erreichung der Ziele der Spezialoperation Kompromisse eingehen müssen. Die Schwäche Russlands ist offensichtlich und wird gezielt ausgenutzt."

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