Als kleine Spartengewerkschaft mit kaum 40.000 Mitgliedern könnte die GDL kaum so viele Streiks wie in den vergangenen Jahren finanzieren – oder sich zumindest nicht dem hohen wirtschaftlichen Risiko aussetzen, das damit verbunden ist. Zum Vergleich: Bei den anderen, teils wesentlich größeren Gewerkschaften wie der IG Metall, Verdi oder der mit der GDL konkurrierenden Eisenbahnergewerkschaft EVG ist man nicht so streikfreudig. Doch die GDL steht nicht allein da.
DBB Beamtenbund und Tarifunion finanzieren GDL-Streik mit
Beim Streikgeld wird die kleine Gewerkschaft vom großen DBB Beamtenbund und Tarifunion mit seinen 1,3 Millionen Mitgliedern unterstützt. Die sollen über ihre "Aktionskasse" genannte Streikreserve beim letzten großen Lokführerstreik von 2021 mehr als die Hälfte des Streikgelds übernommen haben.
Nicht alle Beamten sind glücklich darüber, auf diese Weise Arbeitskämpfe anderer Gewerkschaften mitzufinanzieren, wo sie doch als Beamte selbst gar nicht streiken dürfen. Die Verbindung des dbb zu GDL stammt noch aus einer Zeit, als Lokführer noch Bahn-Beamte waren. Viele der insgesamt 40 Arbeitnehmerorganisationen, die der Tarifunion angehören, sind praktisch Opfer der Privatisierungswelle der 80er und 90er Jahre geworden und stehen als Gewerkschaften immer noch fest zusammen.
GDL-Chef Weselsky besetzt auch beim dbb eine Schlüsselrolle
Der langjährige GDL-Chef Claus Weselsky hat die strategische Bedeutung des DBB für seine Gewerkschaft schnell erkannt und auch hier seinen Einfluss gesichert. Seit 2012 ist Weselsky nun schon stellvertretender DBB-Bundesvorsitzender, zuständig vor allem für die nicht-verbeamteten Mitglieder.
Anfang Dezember 2023 – vor den Warnstreiks zu Weihnachten – ermahnte DBB-Chef Ulrich Silberbach die Lokführergewerkschaft, es nicht zu übertreiben: "Es wäre ein Unding, wenn unsere Aktionen Streiks der eigenen Mitgliedsorganisation torpedieren würden", so Silberbach in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung. Es gelte vor allem, immer Rücksicht zu nehmen auf die Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst.
Unbefristete Streiks vermutlich nur eine Drohkulisse
Die Drohung mit unbefristeten Streiks steht zwar bei der Lokführergewerkschaft GDL nach einer entsprechenden Urabstimmung im Raum. Aber so etwas ist Routine. Niemand geht ernsthaft davon aus, dass GDL-Chef Claus Weselsky so weit gehen würde, tatsächlich in einen Ausstand zu treten mit offenem Ausgang und ohne Zeitangaben.
Aus diesem Grund kann die Deutsche Bahn AG anhand von zeitlichen Vorgaben immer noch versuchen, einen Notfahrplan aufrecht zu erhalten. Ein Grund ist auch, dass in der Regel nicht alle GDL-Mitglieder zum Streik aufgerufen sind und daher auch weiter Lohn und Gehalt bekommen.
Streikgeld: Zehn Euro die Stunde für hochqualifizierte Lokführer
Für die Gewerkschaft hat das den Vorteil, dass sie nicht für alle Mitglieder Streikgeld zahlen muss. Das beträgt für den ersten Streik bei der GDL bis zu 75 Euro pro Tag, ausgehend von 10 Euro in der Stunde. Bei weiteren Streiks dann an jedem Tag maximal 100 Euro.
Nach Berechnungen des Handelsblatts kamen 2021 bei einem ähnlich langen Arbeitskampf Kosten von fast fünf Millionen Euro zusammen für 8.500 GDL-Mitglieder im Ausstand.
Etwa die Hälfte übernahm die Dachgewerkschaft DBB, mit der sich die GDL in einer Tarifunion befindet. Das heißt, dass beide von den Tarifabschlüssen profitieren.
Der Beamtenbund DBB war es auch, der die GDL schon zur Schlichtung drängte. Es wird spekuliert, weil es für ihn sonst zu teuer geworden wäre. Ein Problem ist, dass eine Einigung oft schwieriger wird, je länger ein Streik dauert. Beide Seiten können sich im Konflikt immer weiter voneinander entfernen. Bei Deutsche Bahn AG und GDL lässt sich das bereits beobachten. Irgendwann droht der Arbeitskampf sinnlos zu werden, weil er zu keinem positiven Ergebnis mehr führt.
Längere Streiks bedeuten großen Lohnverzicht
Das Streikgeld bedeutet für die Betroffenen eine deutliche Einbuße, auch wenn es ohne Abzüge von Steuern oder Sozialabgaben ausgezahlt wird. Diese Lohnlücke, entstanden durch die Streiktage, muss der anschließende Tarifabschluss zunächst einmal auffüllen.
Bei einem längeren Streik kann sich die wirtschaftliche Position der Arbeitnehmer deshalb immer weiter verschlechtern. Scheitert der Streik, bleiben diese Einkommensverluste ohne dass es anschließend zu entsprechenden Lohnerhöhungen kommt.
Die streikende Gewerkschaft muss also immer aufpassen, dass sie den Bogen nicht überspannt und die Motivation der Mitglieder falsch einschätzt, wenn sie immer weiterstreikt.
So ist selbst die mächtigste deutsche Gewerkschaft, die IG Metall, mit ihrem Streik für eine 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland 2003 krachend gescheitert. Die IG Metall hatte einerseits den Widerstand der Arbeitgeber unterschätzt und auch die Streikbereitschaft ihrer Mitglieder.
Gegenmaßnahme: Aussperrung kann gerechtfertigt sein
Hinzukommt, dass der Arbeitgeber – wenn die Lage eskaliert – auch zum Mittel der Aussperrung greifen kann und dann gar keine Löhne mehr zahlt. Dann müsste die Gewerkschaft alle Mitglieder entschädigen oder den Streik abbrechen.
Eine Aussperrung ihrer Lokführer und anderer GDL-Mitglieder könnte für die GDL im Vergleich zum letzten großen Streik von 2021 mit den vier- bis fünffachen Kosten verbunden sein.
Bevor es zu unbefristeten Streiks kommt, die für die Gewerkschaft zu hohen Ausgleichszahlungen von Streikgeld führen, gibt es noch andere Möglichkeiten: Bei einem sogenannten Wellenstreik ist nur ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder zum Ausstand aufgerufen, in wechselnden Abteilungen und von unterschiedlichen Schichten, mal tagsüber, mal nachts. Darauf kann der Arbeitgeber kaum noch reagieren und die Deutsche Bahn AG könnte dann zum Beispiel keinen Notfahrplan mehr aufrechterhalten.
Schlichtungsvereinbarung von beiden Seiten abgelehnt
Bis 2021 gab es bei der Deutsche Bahn AG noch eine Schlichtungsklausel, die zunächst von der Bahn und später auch von der Gewerkschaft GDL abgelehnt wurde. Diese Klausel besagte, dass beide Seiten sich zunächst auf Gespräche mit einem unabhängigen Schlichter einlassen, wie 2017 mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke).
Auch diesmal drängt sich bei Beobachtern der Eindruck auf, dass es ohne einen Schlichter schwer werden könnte, weil Bahn und Lokführergewerkschaft fast nur noch aneinander vorbeireden und keine gemeinsamen Positionen für Verhandlungen mehr finden.
- Zum Video: Arbeitsalltag im Lokführerstand
In der aktuellen Lage hält Ramelow die Situation aber für zu verfahren, um mit einer Schlichtung zu beginnen. Dafür brauche man zunächst ein schlichtungsfähiges Angebot des Arbeitgebers, sagte Ramelow. Das habe die Bahn AG bislang vermissen lassen, die das allerdings ganz anders sieht.
Ein Schlichterspruch bringt häufig den Durchbruch
Es kann vorkommen, dass beide Seiten gezwungen sind, einen Spruch des Schlichters zu akzeptieren. In der Regel kann dieser Schlichterspruch von den Tarifkommissionen der Gewerkschaften und von den Arbeitgebern aber immer noch abgelehnt werden. Es kann außerdem den seltenen Fall einer Zwangsschlichtung geben, nach der beide Konfliktparteien sich dem Schlichterspruch quasi unterwerfen müssen. Aber davon ist man bei der Deutsche Bahn AG derzeit meilenweit entfernt.
Video: Industrie fürchtet Milliardenschaden durch GDL-Streik
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