Oliver Bellenhaus saß seit Juli 2020 ununterbrochen in Untersuchungshaft. Er hatte sich unmittelbar nach dem Zusammenbruch von Wirecard den Behörden gestellt und kooperativ gezeigt und galt deswegen als Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. "Nach vorläufiger Beurteilung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der bisherigen Haftdauer, der geständigen Einlassung des Angeklagten und seinen Schadenswiedergutmachungsbemühungen ist die Kammer der Auffassung, dass die angeordneten Auflagen ausreichen, um die nach wie vor bestehende Verdunkelungs- und Fluchtgefahr so weit zu vermindern, dass der Angeklagte auf freien Fuß gesetzt werden kann", teilte das Landgericht München I mit.
Dort läuft seit mehr als einem Jahr der Prozess gegen Bellenhaus. Angeklagt sind außerdem der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun und der ehemalige Chefbuchhalter des Aschheimer Zahlungsdienstleisters, Stephan von Erffa – unter anderem wegen des Verdachts der Marktmanipulation und des bandenmäßigen Betrugs.
Bellenhaus belastete Ex-Vorstandschef Braun immer wieder schwer
Mehrfach hatte Bellenhaus in persönlichen Stellungnahmen und im Rahmen seiner Befragungen vor Gericht das Bild eines Zahlungsabwicklers gezeichnet, in dem das angeblich höchst profitable Geschäft mit sogenannten "Drittpartnern" von Wirecard frei erfunden war. Verträge und Umsatzzahlen seien mithilfe von Excel-Tabellen "gebastelt" worden, immer wieder habe er, Bellenhaus, etwas "frickeln" müssen, wenn zum Beispiel Wirtschaftsprüfer Belege für Händler-Umsätze sehen wollten. Das sogenannte Drittpartner-Geschäft mit ausländischen Firmen wie PayEasy, Al Alam und Senjo habe es nie gegeben.
Damit stellte sich Bellenhaus wiederholt gegen seinen früheren Chef, Markus Braun. Seit Beginn des Prozesses im Dezember 2022 hat der ehemalige Wirecard-CEO vor Gericht darzulegen versucht, dass er und die Wirecard AG von einer Bande rund um den seit Juni 2020 untergetauchten Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek und unter Beteiligung von Oliver Bellenhaus hintergangen worden seien. Mehrfach bezichtigten Braun und seine Verteidiger den früheren Wirecard-Statthalter in Dubai der Lüge.
Morgen steht ein spannender Prozesstag bevor
Der für morgen geplante Verhandlungstag am Landgericht München I dürfte aufgrund der jüngsten Entwicklungen spannend werden. Denn anders als Bellenhaus bleibt Markus Braun weiter in Untersuchungshaft, in der er ebenfalls seit über drei Jahren sitzt. Das Gericht hatte die Anträge seiner Verteidigung auf Beendigung der Untersuchungshaft unter anderem mit der bei Braun bestehenden Fluchtgefahr begründet. Für ihn und sein Team bedeutet die Entscheidung einen Rückschlag.
Allerdings kann Bellenhaus die JVA Stadelheim nur unter Auflagen verlassen. So muss er unter anderem einen festen Wohnsitz nachweisen. Zudem habe er "sämtliche Ausweisdokumente bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen" und ihm werde untersagt, "Kontakt zu den Mitangeklagten und zu (potenziellen) Zeugen aufzunehmen". Auf den Zeitplan des Verfahrens dürften diese Entwicklungen keinen großen Einfluss haben. Die Kammer hat bereits bis Ende dieses Jahres Verhandlungstermine festgesetzt.
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