Die richtige Absicht attestieren die geladenen Experten dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) übereinstimmend: Das Ziel, die Akzeptanz erneuerbarer Energien in Bayern zu steigern, indem die Gemeinden sowie Menschen vor Ort finanziell von neuen Windrädern und Solarparks profitieren. Von dieser Intention sei auch Aiwangers Gesetzentwurf getragen, sagt der Energiereferent des Bayerischen Städtetags, Florian Gleich, im Wirtschaftsausschuss des Landtags. Einig ist er sich mit den anderen Experten im Saal aber auch darüber: In der aktuellen Form wäre das Gesetz kontraproduktiv.
Florian Gleich fordert eine "Neuregelung", Daniel Caspari vom Genossenschaftsverband Bayern verlangt "eine umfassende Überarbeitung". Grundsätzlich gelte: "Lieber kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz." Andreas Kießling von der Bayernwerk AG betont: "Nichts übers Knie brechen." Und Frank Sondershaus von der Fachagentur Wind- und Solarenergie mahnt, sich Zeit für ein gutes Gesetz zu nehmen.
Verpflichtende Beteiligung geplant
Das bayerische Kabinett hatte den Gesetzentwurf im vergangenen Jahr beschlossen. Er sieht eine verpflichtende Beteiligung von Gemeinden und ihren Bewohnern am Erlös von Wind- und Solarparks vor Ort vor: Bei neuen Windrädern und Photovoltaik-Freiflächenanlagen sollen künftig 0,3 Cent pro eingespeiste Kilowattstunde Strom an die Gemeinde und Bürgerbeteiligungsprojekte gehen.
Aiwanger sagte im Herbst, alle Kommunen und Einwohner sollten einen finanziellen Nutzen von den Anlagen haben. "Die verschiedenen Möglichkeiten der Beteiligung ermöglichen passgenaue Lösungen für jedes Projekt in Bayern."
Vielfältige Bedenken
Städtetag und Bayerischer Gemeindetag kritisieren die Verknüpfung der Gemeinde- mit der Bürgerbeteiligung. Dadurch werde das Verfahren zu komplex. Die Gemeinde sei es nicht gewohnt, "für die finanziellen Interessen einzelner Bürger zu verhandeln", sagt Gleich. Der Genossenschaftsverband verweist darauf, dass Bürgerenergie-Genossenschaften nicht in das vorgegebene Raster passten. "Mit dem vorliegenden Entwurf verschlechtert sich die aktuelle Situation bei der Teilhabe und damit auch die Akzeptanz." Für den Verband kommunaler Unternehmen ist der Entwurf "wirtschaftsfeindlich".
Bernd Wust vom Landesverband Erneuerbare Energien Bayern warnt vor "sehr viel zusätzlicher Bürokratie" durch das Gesetz. Darüber hinaus richtet er eine grundsätzliche Mahnung an die Politik: "Jedes Mal, wenn wir den Menschen suggerieren, dass Atomkraft auch eine Lösung wäre, verlieren wir die Akzeptanz für den nächsten Windpark. Und da können wir sozusagen fünf Beteiligungsgesetze machen - wir kriegen diese Diskussion am Ende nicht mehr eingefangen."
CSU kritisiert Ministerium
Nach dem Willen Aiwangers hätte das Gesetz noch in diesem Frühjahr beschlossen werden sollen. Daraus dürfte nichts werden: Sogar die CSU und damit die größte Regierungsfraktion geht mittlerweile auf Distanz. Die Ausschuss-Vizevorsitzende Kerstin Schreyer stellt für die CSU-Fraktion klar, dass der Entwurf in dieser Form "nicht zustimmungsfähig" sei. "Wir werden hier aus meiner Sicht noch einige Schleifen brauchen."
Deutliche Kritik äußert Schreyer am Wirtschaftsministerium. Die vorgetragenen Bedenken seien "von vornherein bekannt" gewesen. Ihr Appell ans Ministerium: "Nehmen Sie ernst, was hier gesagt wurde." Die CSU-Politikerin bittet um ein Gesetz, das Probleme löse und "nicht so viele Probleme schafft, dass nachher alle unzufrieden sind", betont sie. "Ein paar Zufriedene hätte ich ganz gerne."
"Nicht mit dem Kopf durch die Wand"
Am Ende verteidigen nicht einmal Aiwangers Freie Wähler den Gesetzentwurf. "Wir sollten, denke ich, jetzt nicht mit dem Kopf auf die Schnelle durch die Wand", sagt der FW-Abgeordnete Rainer Ludwig. Es brauche einen Entwurf mit dem "möglichst größtem gemeinsamen Nenner". Hier sieht Ludwig die Verbände in der Pflicht, einen Kompromiss zu erarbeiten. Es sei "nicht originär die Aufgabe der Politik, jetzt hier eine Lösung zu finden".
Eine Forderung, die Ausschuss-Chefin Stephanie Schuhknecht (Grüne) als "Bankrotterklärung" kritisiert. Es sei "ureigenste Aufgabe der Politik, die Dinge zusammenzubringen". Ziel müsse ein schlankes Gesetz sein. "Da bin ich sehr gespannt, wie jetzt die Koalitionäre den Weg dorthin finden." SPD-Energieexperte Florian von Brunn sagt: "Ein derart schlechtes Gesetz muss man erst einmal zustande bringen." Es müsse komplett überarbeitet werden.
Diese Einsicht hat sich auch in Aiwangers Haus durchgesetzt. Eine Vertreterin des Wirtschaftsministerium kündigt intensive Gespräche mit den Verbänden an. Zudem werde man beobachten, ob sich nach der Regierungsbildung die Rahmenbedingungen im Bund ändern. Nach der Sommerpause werde dann "hoffentlich ein beratungsreifes Gesetz" vorliegen.
Wieder Gegenwind für Freie-Wähler-Chef Aiwanger. Jetzt liegt sein Gesetz für die Bürgerbeteiligung bei Wind- und Solarparks erstmal auf Eis.
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