Claudia Köhler, Haushaltsexpertin der bayerischen Grünen-Fraktion, ärgert sich. Daran, dass CSU und Freie Wähler mit ihrer Regierungsmehrheit im Landtag letztlich über die Verteilung der Haushaltsmittel bestimmen können, hat sich die Oppositionspolitikerin gewöhnt. Doch dass Abgeordnete der Regierungsfraktionen in ihren Stimmkreisen schon Geldzusagen machen, bevor darüber im Parlament überhaupt diskutiert wurde, hält Köhler für "bedenklich".
"Mein Eindruck: CSU und FW kümmert das Parlament wenig", sagt die Grünen-Abgeordnete. "Sie warten eine Debatte und Abstimmung gar nicht mehr ab, wollen Geld nach Gutsherrenart verteilen."
Sondertopf: 90 Millionen Euro "Fraktionsreserve"
Auslöser für Köhlers Unmut ist die Kommunikation von CSU- und FW-Abgeordneten über die sogenannte Fraktionsreserve in Höhe von 90 Millionen Euro. Dank dieses Sondertopfes können die Regierungsfraktionen jedes Jahr Geld für mehrere hundert Projekte freigeben. Die Opposition spricht von "Spielgeld", weil Abgeordnete der Regierungsfraktion die Möglichkeit bekämen, Mittel in ihren Stimmkreis zu leiten, zum Beispiel für eine Kirchensanierung oder eine Skisprungschanze.
Für das laufende Jahr stellten CSU und FW vor knapp einem Monat vor, welche Projekte mit welcher Summe unterstützt werden sollen. Kurz darauf verbreiteten mehrere Abgeordnete über ihre Social-Media-Kanäle die Botschaft, wie viel Geld sie für ihre Region "rausholen" konnten – für Videoüberwachung, eine Festplatz-Neugestaltung, ein Cheerleading-Team, eine Software für den Sportschützenbund.
Grüne: "Missachtung des Parlaments"
Allerdings sind die Millionen aus der Fraktionsreserve kein sofort und frei verfügbares Geld, vielmehr gilt: Bevor der erste Euro fließt, braucht es Beratungen und Beschlüsse über entsprechende Änderungsanträge im Haushaltsausschuss, damit später das Plenum die Förderungen mit dem Nachtragshaushalt verabschieden kann.
Köhler hält es für eine "Missachtung des Parlaments", dass Abgeordnete dies nicht abwarten, bevor sie Bürgern Wohltaten versprechen. "Wenn sich die Regierungsfraktionen schon aus dem öffentlichen Geld in schwierigen Zeiten eine Selbstbedienung von 90 Millionen Euro für die eigenen Stimmkreise genehmigen, sollten sie zumindest noch das Parlament achten und das Verfahren einhalten."
Beschwerde bei Landtagspräsidentin
Als Beispiel nennt die Grünen-Politikerin die Ankündigung von Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU), dass für eine Machbarkeitsstudie zur Verlängerung der U6 zum Münchner Flughafen "jetzt 75.000 Euro als Anschub- und Teilfinanzierung zur Verfügung gestellt werden" (externer Link). Laut Köhler steht das Geld noch lange nicht zur Verfügung. Sie stellte daher eine schriftliche Anfrage zum Plenum und wollte von der Staatsregierung wissen, wie sie den Zeitpunkt der Bekanntgabe noch vor Beratungen im Landtag bewerte. Antwort des Verkehrsministeriums: Der Entwurf zum Nachtragshaushalt sehe die Finanzierung dieser Machbarkeitsstudie vor.
"Stimmt nicht", ärgert sich Köhler. "Ganz im Gegenteil: Sonst hätte es ja gar keinen Änderungsantrag gebraucht." Dieser sei erst nach der Antwort des Ministeriums im Haushaltsausschuss behandelt worden. "Der Beschluss des Nachtragshaushalts, so dass die Summe dann wirklich im Entwurf steht, ist dann sogar erst im April." Dass ein Ministerium "die Unwahrheit" sage, sei eine "neue Qualität".
Daher reichte sie Beschwerde bei Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) ein: "Sowohl Mitglieder des Kabinetts als auch die Ministerien sollten meines Erachtens dafür Sorge tragen, dass das Parlament geachtet wird, Anträge ordentlich debattiert und Beschlüsse nicht vor der Abstimmung verkündet werden."
Ministerium: "Durchsichtiges Manöver" der Grünen
Das Verkehrsministerium teilt auf BR-Anfrage mit, der Änderungsantrag zur Machbarkeitsstudie habe Köhler zum Zeitpunkt ihrer Anfrage schon vorgelegen. "Angesichts der eindeutigen Mehrheitsverhältnisse und der klaren politischen Aussage war der positive Beschluss im Haushaltsausschuss absehbar."
Die Ministeriumsantwort habe auch im Sinne einer "möglichst transparenten Kommunikation" den Antrag schon berücksichtigt. "Die Aussagen der Abgeordneten sind lediglich ein durchsichtiges Manöver, um einen gewöhnlichen Vorgang künstlich zu skandalisieren und sich damit zu profilieren."
CSU: "Absurde" Vorwürfe
Als "absurd" weist der CSU-Abgeordnete und Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Josef Zellmeier, die Vorwürfe zurück. "Sämtliche Initiativen werden im Haushaltsausschuss umfassend beraten und oft genug stimmt auch die Opposition den Projekten zu." Es gehe um wichtige Vorhaben wie Schul-Renovierungen und Unterstützung von Bahnhofsmissionen.
Das letzte Wort habe dann immer das Landtagsplenum. "Ein vollkommen demokratisches Verfahren, auf dessen Schritte wir auch ausdrücklich hingewiesen haben." Er empfehle den Grünen, ihre Energie in die Sacharbeit zu stecken und Probleme der Menschen zu lösen. "Denn auch dafür ist ein Parlament da."
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