Nach langen Bemühungen scheint eine Waffenruhe zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas möglich. Bei Israelis und Palästinensern in Bayern überwiegen die Zweifel, dass die Vereinbarungen zu einem Frieden führen könnte.
Joshua Heinrich ist Vorstandsmitglied im Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft München und verfolgt die Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. Grundsätzlich sei er optimistisch. Er betont, dass kein Deal perfekt sein könne, solange die Hamas noch Macht in Gaza hat. Ein langfristiger Deal, bei dem sämtliche Geiseln freikommen, wäre für ihn die richtige Lösung.
Heinrich kritisiert die mögliche gestaffelte Freilassung der Geiseln in drei Phasen, da sie Unsicherheit schafft, sieht aber auch, dass immerhin die Hoffnung in der aktuellen Entwicklung wieder aufkeimt, die vielen bisher gefehlt habe. Seit dem 7. Oktober engagiert sich Heinrich in München, organisiert sich mit Freunden in Chatgruppen und demonstriert für die Freilassung der Geiseln. Er glaube an den Staat Israel und daran, dass dieser aus der aktuellen Situation lernt und sich besser auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet.
Persönliche Betroffenheit: Familie in Israel und militärischer Dienst
Auch M., ein 49-jähriger Münchner mit jüdischen Wurzeln, verfolgt die Entwicklungen im Gaza-Konflikt täglich. Er möchte "zum Schutz für seiner Familie" im BR24-Interview anonym bleiben. Die aktuelle Situation bewegt ihn persönlich stark, da er nicht nur durch Nachrichten, sondern auch durch den direkten Kontakt zu seiner Familie in Israel betroffen ist. Seine Schwester lebt in Israel und einer seiner Verwandten ist beim Militär. M. sieht die Hoffnung in der geplanten Freilassung der Geiseln, aber er bezweifelt, dass mit der Hamas ein dauerhafter Konsens erreicht werden kann.
Waffenruhe als unsicherer Hoffnungsschimmer
Jamal Farhouda ist Vorstand der palästinensischen Gemeinde München. Er sieht die Waffenruhe ebenfalls zurückhaltend: "Im ersten Moment klingt das Ganze hoffnungsvoll und positiv. Doch wenn man die Realität betrachtet, fällt es schwer, diese Waffenruhe mit Freude zu begrüßen." Im Gazastreifen lebe ein Großteil seiner Familie: Geschwister, Onkel und Tanten. Von seinen Angehörigen seien viele in den vergangenen Monaten im Krieg gestorben, schreibt er BR24.
Seine verbliebenen Verwandten "leben in einem Zustand von Hoffnungslosigkeit, Erschöpfung und Verzweiflung, den niemand von außen wirklich nachempfinden kann." Infrastruktur sei zerstört und es fehle an medizinischer Versorgung. Die Waffenruhe sei jetzt wichtig, aber er stellt sich die Frage, wie die Menschen im Gazastreifen angesichts der Zerstörung langfristig überleben sollen. Farhouda schreibt: "Die Sorgen, dass dieser Genozid nicht wirklich aufhört, sondern unter einem anderen Deckmantel weitergeführt wird, überwiegen. Es ist schwer zu glauben, dass der israelische Staat seine Politik ändern wird, während die Welt weiterhin zusieht."
Autorin: Spaltung kann überwunden werden
Versöhnlich, aber auch verzweifelt, wirkt Joana Osman. Die Schriftstellerin aus dem Raum München hat eine deutsche Mutter und einen palästinensischen Vater. Der palästinensische Teil ihrer Familie lebt im Libanon, Osman hat aber auch engen Kontakt zu Freunden in Gaza, und engagiert sich im palästinensisch-israelischen Friedensdialog. Am Telefon betont sie die tiefe Resignation in der Region, vor allem bei ihren israelischen Bekannten: "Das Wort Frieden existiert im Sprachgebrauch kaum noch."
Über die nun im Raum stehende Waffenruhe freue sie sich, sei aber letztlich skeptisch. Die Führungen beider Seiten seien zynisch und abgehoben, für eine Versöhnung brauche es eine radikale politische Kehrtwende in Israel und auf palästinensischer Seite. Und die sei nicht zu erkennen. Allerdings lebe gleichzeitig auch der Dialog weiter. Dies sei ihre Hoffnung: "Das zeigt, dass die Spaltung überwunden werden kann." Wichtig sei jetzt die gegenseitige Anerkennung der Traumata auf beiden Seiten: "Nur gemeinsam können wir die Wunden heilen."
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Im Video: Was nach der Einigung passierte.
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