Nach mehr als 15 Monaten Krieg im Gazastreifen haben sich Israel und die islamistische Hamas nach Angaben des Vermittlers Katar auf eine Waffenruhe und den Austausch von Geiseln und palästinensischen Häftlingen geeinigt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was bedeutet das Abkommen für Israel?
Sollte die zunächst für sechs Wochen vereinbarte Waffenruhe auch ein dauerhaftes Ende des Kriegs einleiten, dürfte es mit Blick auf die Konfliktparteien trotzdem kaum wirkliche Gewinner geben. Weder hat Israel sein Kriegsziel erreicht, die Hamas vollständig zu zerstören, noch werden im Zuge dieses Abkommens sofort alle Geiseln aus dem Gazastreifen befreit. Immerhin einige der verbliebenen Geiseln könnten aber rasch freikommen. Es wird erwartet, dass das israelische Sicherheitskabinett am heutigen Donnerstag über das Abkommen abstimmt.
Was bedeutet das Abkommen für die Hamas?
Die islamistische Hamas, die sich als Widerstandsbewegung gegen Israel bezeichnet, hat ihre wichtigsten Anführer und weitgehend die Kontrolle im seit 2007 von ihr beherrschten Gazastreifen verloren. Die Zukunft ihres Kampfs gegen den jüdischen Staat ist ungewiss.
Die größten Verlierer und Leidtragenden des Krieges sind aber fraglos die Hunderttausenden betroffenen Zivilisten in Gaza sowie die Geiseln und deren Angehörige. Für sie alle bedeutet das Abkommen nun etwas Hoffnung.
Wie stabil ist das Abkommen?
Die Vereinbarung steht auf wackeligen Füßen – schon allein, weil sich Israels Regierung und die Hamas gegenseitig geschworen haben, einander zu vernichten. Angesichts des tiefen Misstrauens ist offen, ob sich beide Seiten über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden und ob bestimmte Passagen jeweils anders ausgelegt werden.
Beobachter warnen deswegen, dass nach der ersten Phase der Waffenruhe die Kämpfe wieder beginnen könnten – zumal es auf beiden Seiten Befürworter einer Fortsetzung des Krieges gibt. Andererseits gibt es in der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza wie auch in Israel eine große Sehnsucht danach, dass die Waffen nach 15 Monaten Krieg schweigen.
Wie läuft die Freilassung der Geiseln jetzt ab?
Binnen sechs Wochen sollen in einem ersten Schritt zunächst 33 der insgesamt 98 verbliebenen Geiseln in der Gewalt der Hamas freigelassen werden. Zu der ersten Gruppe gehören Frauen – darunter Soldatinnen – sowie zwei Kinder unter fünf, ältere und kranke Menschen.
Ungewiss ist weiter, wie viele der Geiseln, die während des beispiellosen Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023 in den Gazastreifen verschleppt worden waren, noch am Leben sind. Israelische Krankenhäuser haben sich auf die Aufnahme zutiefst traumatisierter und teilweise auch kranker und verletzter Geiseln vorbereitet. Am 16. Tag der Waffenruhe sollen laut Plan die Verhandlungen über die zweite Phase – und damit die Freilassung der restlichen Entführten – beginnen.
Kommt jetzt endlich mehr Hilfe in den Gazastreifen?
Das ist zumindest die Hoffnung der Zivilisten und der Hilfsorganisationen, die sich um Zugang in das von Israel abgeriegelte Küstengebiet bemühen. Der wichtige, seit acht Monaten geschlossene Grenzübergang Rafah zwischen Gaza und Ägypten könnte schon am heutigen Donnerstag wieder öffnen. Rund 600 Lastwagen mit Hilfsgütern seien für die Einfuhr vorbereitet worden, sagte ein Vertreter des ägyptischen Roten Halbmonds im Nord-Sinai.
Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal. Mehr als 90 Prozent der palästinensischen Bevölkerung leiden nach UN-Angaben starken Hunger. Es fehlt an Wasser, Notunterkünften, Arzneimitteln und Dingen des täglichen Bedarfs.
Kann in Gaza der Wiederaufbau beginnen?
Dafür ist es noch viel zu früh. Ein Wiederaufbau soll nach Worten von US-Präsident Joe Biden erst in der dritten Phase der Waffenruhe beginnen – also nach Phase zwei, in der alle verbliebenen Hamas-Geiseln freikommen sollen.
Zudem ist fraglich, wer das weitgehend zerstörte Küstengebiet künftig regieren soll. Israel und die Hamas liegen bei ihren Vorstellungen weit auseinander. Israel lehnt eine weitere Hamas-Herrschaft kategorisch ab. Die Hamas hingegen fordert eine Garantie, dass der Krieg endet – wohl auch, um sich neu aufzustellen und ihre alte Machtposition wieder einzunehmen.
Der scheidende US-Außenminister Antony Blinken hatte zuletzt einen Plan für die Zukunft des Gazastreifens mit folgenden Kernprinzipien skizziert: Zum einen brauche es eine von Palästinensern geführte Regierung, die den Gazastreifen mit dem Westjordanland vereint und der dortigen Autonomiebehörde unterstellt ist. Zum anderen dürfe es langfristig keine militärische Besetzung des Gazastreifens durch Israel geben.
Haben Donald Trumps Drohungen gewirkt?
Der bevorstehende Machtwechsel in Washington scheint ein Faktor für die Fortschritte in den Verhandlungen gewesen zu sein. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden hat zwar stets zu Israel gehalten, aber auch zunehmend Kritik an der Kriegsführung in Gaza geübt.
Bidens designierter Nachfolger Donald Trump hingegen ist als Verbündeter Netanjahus bekannt und es ist fraglich, wie stark seine Regierung die israelische Seite in die Schranken weisen wird. Trumps Drohungen an die Hamas, im Nahen Osten werde ohne Freilassung der Geiseln bis zu seiner Amtseinführung "die Hölle losbrechen", waren vor diesem Hintergrund wohl durchaus ernst zu nehmen.
Mit Informationen von dpa
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